• 23.06.2008 17:05

Whitmarsh: "Eine Ermessensentscheidung"

Der McLaren-Geschäftsführer im Teaminterview über geplante und gemachte Verbesserungen, die Strafen in Magny-Cours und das Silverstone-Heimrennen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Haben sich die aerodynamischen Änderungen, die ihr für dieses Wochenende gemacht habt, auch in der Rundenzeit niedergeschlagen?"
Martin Whitmarsh: "Es ist immer schwierig, die Verbesserungen genau nachzuvollziehen, denn auf der Rennstrecke fährt man selten direkte Vergleiche, um die Unterschiede genau zu quantifizieren. Wenn man unsere Leistung im Rennen aber betrachtet, als wir mit viel Benzin frei fuhren, dann würde ich sagen, dass unsere Leistung vielversprechend war. Das würde darauf hindeuten, dass wir am Frankreich-Grand-Prix-Wochenende konkurrenzfähig waren und das Auto verbessern konnten."

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh sah in Magny-Cours auch zahlreiche positive Zeichen

Frage: "Gibt es vor dem Großbritannien-Grand-Prix noch weitere mechanische oder aerodynamische Verbesserungen?"
Whitmarsh: "Wir als Team wollen bei jedem Rennen eine Verbesserung um 0,15 Sekunden je Runde anstreben. In dieser Woche haben wir einen Drei-Tages-Test in Silverstone und wir wollen dabei eine Reihe von Updates einführen, die unserer Meinung nach diese Verbesserungen bringen. In Frankreich haben wir einige aerodynamische Komponenten neu eingeführt, darunter eine neue Frontflügelanordnung, Winglets und vordere Naben. Diese waren knapp 0,26 Sekunden je Runde wert. Über den Sommer hinweg wollen wir nicht nur weitere aerodynamische und mechanische Verbesserungen erreichen, sondern auch bei den Schmierstoffen und dem Benzin, denn wir wollen uns in jedem Bereich verbessern."#w1#

Noch ist nichts in Stein gemeißelt

Frage: "Welche strategischen Möglichkeiten gab es vor dem Rennen, Lewis von Rang 13 aus wieder nach vorn zu bekommen? Und welches Ergebnis wäre ohne die Durchfahrtsstrafe möglich gewesen?"
Whitmarsh: "Bei Lewis wussten wir, dass wir zwischen zwei oder drei Stopps entscheiden konnten. Wir hatten gehofft, dass er es im Qualifying in die erste Reihe schaffen würde, aber er wurde Dritter. Auch von Rang 13 aus hätten wir eine Zwei- oder Drei-Stopp-Strategie anschlagen können, wenn er frei hätte fahren können. Aufgrund der Durchfahrtsstrafe wurde es eine erzwungene Drei-Stopp-Strategie. Nach der Strafe kam er hinter Nakajima winter heraus. Als er dann wieder vorbei war, war er der schnellste Mann im Feld. Das war ein starker Stint."

"Auch Heikki war extrem schnell, als er freie Fahrt hatte, und er kam nah an einen Podestplatz heran. Wenn man bedenkt, wie nah wie den Top-3 kamen - in einem Rennen, in dem wir mit drei Strafen umgehen mussten -, dann war das ein gutes Ergebnis. Nach Magny-Cours hat Lewis nur fünf Punkte Rückstand auf (Kimi) Räikkönen und zehn hinter Massa. Dass das nach einer Reihe von enttäuschenden Ereignissen so aussieht, zeigt, wie schnell die Meisterschaft mit nur einem Rennwochenende wieder umschwenken kann."

Frage: "Habt ihr vor der Strafe Lewis über Funk gebeten, (Sebastian) Vettel wieder durchzulassen?"
Whitmarsh: "Uns war gar nicht bewusst, dass der Zwischenfall fragwürdig war, das kam erst einige Runden später, als auf den Monitoren zu sehen war, dass es eine Untersuchung gegen das Auto mit der Nummer 20 geben wird. Da haben wir die FIA um Klärung gebeten und wir wurden über den Zwischenfall in Kurve sieben unterrichtet. Als die Wiederholung gezeigt wurde, sah es für uns so aus, als hätte er das andere Auto schon locker überholt, ehe er in der Schikane geradeaus fuhr. Wir haben unsere Meinung der FIA mitgeteilt, aber zu diesem Zeitpunkt war es nicht möglich, Lewis zu bitten, sich wieder zurückfallen zu lassen. Wenn uns es jemand rechtzeitig gesagt hätte, hätten wir den Rennleiter gefragt, ob er möchte, dass wir den Platz zurückgehen. Im Cockpit hatte Lewis ohnehin nicht das Gefühl, dass er einen Fehler gemacht hatte, und brachte es gegenüber dem Team auch nicht zu Sprache."

Strafe wurde sofort akzeptiert

Frage: "Die ersten Reaktionen auf diese Strafe waren weder seitens des Teams noch von Lewis besonders berauschend. Wie ist die Sichtweise einen Tag später?"
Whitmarsh: "Wir sind natürlich enttäuscht und frustriert. Jeder im Team hat in den vergangenen 14 Tagen hart gearbeitet, um die Strafversetzung von Lewis bestmöglich abzufangen. An der Boxenmauer waren wir der Meinung, dass Lewis den Überholvorgang schon vor der Kurve sieben abgeschlossen hatte. Aber da es nicht mehrere Kameraeinstellungen davon gab, war eine genaue Einschätzung schwierig. Damit war es letztlich eine Ermessensentscheidung."

"Wir haben unsere Ansichten dem Renndirektor mitgeteilt und hatten das Gefühl, dass Lewis fair agiert hat. Aber die Entscheidung eines Schiedsrichters ist immer endgültig - damit sind wir einverstanden. Aber ob es schwierig war, diese Entscheidung zu vernehmen? Ja, denn wir haben hart gekämpft, um die Strafversetzung auszugleichen. Aber ob es schwer war, die Entscheidung zu akzeptieren? Nein, gar nicht, denn wir akzeptieren, dass in solchen Momenten die Jungs an der Boxenmauer nicht alle Informationen haben, die den Stewards zugängig sind."

Frage: "Heikkis Fahrt von Rang zehn kommend war sehr beeindruckend. Wie siehst du seine Fortschritte, wo es nun nach Silverstone geht?"
Whitmarsh: "Er hatte nicht nur mehr Benzin als alle anderen, die vor ihm qualifiziert waren, sondern sogar mehr als alle, die durch die Strafversetzung noch vor ihn kamen. Das rückt seine Leistung im Qualifying in das rechte Licht und zeigt, welch außergewöhnlichen Job er in Q3 gemacht hat. Auch die Enttäuschung vom Samstag hat er gut überwunden und fuhr ein fantastisches und kämpferisches Rennen auf einem Kurs, auf dem man schwer überholen kann. Er hatte nur zwei oder drei Chancen, frei zu fahren, und diese Gelegenheiten ergriff er sofort. Zwischen den Runden 42 bis 52 war er der schnellte Fahrer im ganzen Feld, und direkt nach dem zweiten Stopp jagte er in den Runden 52-57 Trulli nach und folgte ihm dann bis ins Ziel."

"Wenn in den Schlussrunden nicht ein Graining seiner Reifen eingesetzt hätte, dann sind wir zuversichtlich, dass er noch vorbeigekommen wäre. Das ist nur ein Beleg dafür, dass er während des Kampfes weder seine eigene Position noch die von Trulli gefährden wollte. Er wird mit seinen Bemühungen sicher zufrieden sein, aber bedauern, dass er nicht weiter vorn starten konnte."

Frage: "Nun geht es für McLaren-Mercedes zu einem der Heimrennen des Teams - nach Silverstone. Warum ist das Rennen so besonders?"
Whitmarsh: "Gemeinsam mit unseren Kollegen von Mercedes-Benz haben wir ja einige Heimrennen, eines davon ist der Großbritannien-Grand-Prix. Es ist für alle im Team ein wichtiges Rennen. Viele denken, dass ein Großteil unserer Belegschaft bei allen Rennen dabei ist, aber in Silverstone sind viele der Angestellten aus Woking und Brixworth dabei. Das sind die Leute, die uns zu einem Sieger-Team machen, daher ist es immer besonders, vor ihren Augen zu fahren."