• 23.07.2008 09:36

Whitmarsh: "Boxenstopp-Entscheidung war richtig"

McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh über die umstrittene Rennstrategie in Hockenheim und das teaminterne Überholmanöver

(Motorsport-Total.com) - Im Nachhinein ist man immer schlauer - nach diesem Motto betrachtet man bei McLaren-Mercedes die Entscheidung von Hockenheim, Lewis Hamilton während der Safety-Car-Phase nicht zum Tanken zu holen und ihm somit das Leben deutlich zu erschweren. Es ist ja auch alles gut gegangen. McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh blickte im Teaminterview auf die umstrittene Entscheidung zurück und erklärte, warum Hamilton mit seinem Teamkollegen Heikki Kovalainen auffällig leichtes Spiel hatte.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh hält die Strategie-Entscheidung für nachvollziehbar

Frage: "Martin, das Team ist nach einem Vorfall im Qualifying bestraft worden. Was ist dort passiert?"
Whitmarsh: "Wenn man in der Hektik einer Qualifying-Session nur ein wenig Benzin nachfüllen möchte ist es einfacher, dies mit einer kleinen Benzinkanne zu tun als mit der normalen Tankanlage. Artikel 29.2 des sportlichen Regelements besagt allerdings, dass ein Fahrer während des Tankvorgangs zwar im Auto sitzen bleiben darf, aber nur dann, wenn eine von der FIA abgenommene Tankanlage benutzt wird. Sonst muss der Motor abgestellt werden."#w1#

Strafe für falsches Betanken

"Wir haben Heikkis Auto während Q2 bei laufendem Motor - zweifellos inkorrekt - mit einer Tankkanne betankt, aber wir dachten, dass wir im Rahmen der Regeln handeln, denn wir benutzten eine Kanne von 'Intertechnique', die als Zulieferer von der FIA geprüft sind und alle Teams mit dem Tankequipment beliefern. Nachdem wir den Vorfall mit den Stewarts diskutiert hatten, haben wir eingesehen, dass wir gegen das sportliche Reglement verstoßen haben. Wir haben dadurch keinen Wettbewerbsvorteil gehabt und haben die Strafe der Stewarts als fair akzeptiert."

Frage: "Am Sonntagnachmittag habt ihr bei Lewis einen strategischen Fehler gemacht, als ihr ihn während der Safety-Cart-Phase draußen gelassen habt. Was führte euch zu dieser Entscheidung?"
Whitmarsh: "Generell ist es so, dass wenn du einen Grand Prix anführst und schnell unterwegs bist, dann bist du risikoanfälliger als die Piloten hinter dir. Der erste Stint hatte uns gezeigt, dass wir deutlich schneller unterwegs waren als alle anderen. So sehr, dass wir uns entschieden, Lewis schon früh zum ersten Stopp hereinzuholen und ihn dann für einen langen zweiten Stint zu betanken. Als das Safety-Car herauskam, haben wir unsere Optionen durchgespielt. Wir hatten das Gefühl, dass es besser sei, Lewis mit leichtem Auto frei vorne wegfahren zu lassen, anstatt ihn möglicherweise durch einen Stopp in Probleme zu bringen. Es hätte ihn nach hinten verschlagen können. Außerdem wäre Heikki in Schwierigkeiten gekommen, weil er sich an der Box hinter Lewis hätte anstellen müssen."

"Der erste Stint hatte uns gezeigt, dass wir deutlich schneller unterwegs waren als alle anderen." Martin Whitmarsh

"Außerdem wurde unsere Entscheidung durch einige unvorhersehbare Dinge beeinflusst. Zum einen blieb das Safety-Car länger draußen als erwartet. Dadurch reduzierte sich die Anzahl der Runden, in welchen Lewis einen Vorteil hatte. Zweitens gingen deutlich mehr Autos an die Box als wir es erwartet hatten. Das bedeutete, dass zwischen Lewis und Felipe weniger Verkehr war, als das Safety-Car dann hereinkam. Und zu guter Letzt dachten wir, dass Lewis mit wenig Benzin und gebrauchten Reifen einen Vorteil hätte, aber die Strecke hatte sich so entwickelt, dass die Autos mit viel Benzin gut zurechtkamen. Das alles hat unseren Job härter gemacht."

Argumente für die Strategie-Entscheidung

Frage: "Müsst ihr eure strategische Entscheidungsfindung nun hinterfragen?"
Whitmarsh: "Wenn du als führendes Team einen Fehler machst, stehst du natürlich sofort im Zentrum der Kritik. Im Nachhinein ist immer alles klarer. Wir haben das Gefühl, dass wir auf Grundlage unserer Möglichkeiten die richtige Entscheidung getroffen haben. Man darf auch nicht vergessen, dass es bei Lewis einfach weniger eindeutig war, weil wir ihn bei seinem ersten Stopp sehr lange betankt hatten. Wir hatten ein breiteres Benzin-Fenster als die anderen Teams, die schon viel näher am zweiten Stopp waren, als das Safety-Car herauskam. Die konnten natürlich viel einfacher hereingerufen werden. Ich denke, bei Ferrari war die Entscheidung viel deutlicher, denn sie hätten uns auf normalen Wege nicht schlagen können. Wenn es andersherum gelaufen wäre und Massa hätten sie draußen gelassen und der wäre am Ende mit einem ganz kurzen Tankstopp zum Sieg gefahren, dann wären wir ohne Zweifel auch kritisiert worden. Man darf auch die Strategiearbeit bei Nick Heidfeld nicht vergessen, der auch draußen blieb und am Ende Vierter wurde. Diese Strategie war durchaus eine gute Möglichkeit."

Frage: "Das Team hat unlängst bekannt gegeben, dass Teammanager Dave Ryan zum Sportdirektor ernannt wurde. Ändern sich seine Aufgaben?"
Whitmarsh: "Wenn man seine Funktion im Team und seine Entschlossenheit bei seinen Aufgaben sieht, dann dachten wir, dass der neue Titel Sportdirektor am besten seine gewachsenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten bei McLaren widerspiegelt. Dave ist im Team fest verankert, er ist 1974 zu McLaren gekommen. Er hat eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Teams gespielt. Wir müssen Dave für alle seine Leistungen danken: Er ist loyal, offen und ein unglaublich harter Arbeiter. Er ist sicherlich eine Schlüsselfigur bei unseren Renneinsätzen und daher hat er die neue, umfassendere Aufgabe ganz bestimmt verdient. Obwohl seine Aufgaben größer werden, bleibt er dennoch unser Kontaktmann zur weiteren Formel-1-Welt, denn er wird nach wie vor an allen Sitzungen der Teammanager teilnehmen."

"Wir sind Heikki sehr dankbar, dass er die Charakterstärke und die Sportlichkeit gezeigt hat und dieses Opfer brachte." Martin Whitmarsh

Frage: "Es gab einige Diskussionen über die Art und Weise, wie Lewis gegen Ende des Rennens an Heikki vorbei fahren konnte. Kannst du uns erklären, was dort passierte?"
Whitmarsh: "Die Realität war nun einmal, dass Lewis an diesem Tag deutlich schneller war als Heikki. Als Lewis hinter ihm auftauchte, war Heikki sportlich genug, um zur Seite zu gehen. Es war für ihn ganz sicher einen schwierige Entscheidung, die er dort im Cockpit treffen musste. Wir sind Heikki sehr dankbar, dass er die Charakterstärke und die Sportlichkeit gezeigt hat und dieses Opfer brachte. Wir wissen alle, wir hart es für ihn gewesen sein muss."