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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Valtteri Bottas

Warum Valtteri "Blockas" in Zandvoort als "Wingman" für Lewis Hamilton (erneut) versagt hat und Alfa Romeo trotzdem große Freude an ihm haben wird

Titel-Bild zur News: Valtteri Bottas (Mercedes) bei der Siegerehrung zum Grand Prix der Niederlande in Zandvoort 2021

Valtteri Bottas hat den ganz großen Coup in fünf Jahren Mercedes nicht geschafft Zoom

Liebe Leser/-innen,

Valtteri Bottas hatte beim Grand Prix der Niederlande in Zandvoort genau eine Aufgabe: den "Blockas" zu machen und Max Verstappen solange aufzuhalten, bis Lewis Hamilton von hinten in dessen DRS auftaucht und sich so vielleicht doch eine Chance ergibt, den triumphalen Heimsieg und die große Oranje-Party zu verhindern.

Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass das Paket Verstappen & Red Bull am gestrigen Rennsonntag einfach ein schnelleres war als das Paket Hamilton & Mercedes, und dass Verstappen deswegen gewonnen und die WM-Führung zurückerobert hat. Das stimmt auch.

Aber bei seiner einzigen wirklich wichtigen Aufgabe in diesem Rennen hat Bottas versagt.

Es war in Runde 29, als Verstappen in seinem Windschatten auftauchte. Bottas' Softs hatten 29 Runden auf dem Buckel, Verstappens Mediums nur acht. Vorteil für den Lokalmatador, ganz klar.

Aber in Zandvoort, das haben die Rahmenrennen und die ersten 28 Runden bewiesen, gilt praktisch Überholverbot. Wenn sich der Vordermann nicht allzu ungeschickt anstellt, gibt's da einfach kein Vorbeikommen. Sollte man meinen.

Wie Bottas an seiner Aufgabe gescheitert ist

Runde 29 im Grand Prix. Bottas fährt sauber und routiniert durch Kurve 3, das Banking, mit dem sich Mercedes das ganze Wochenende schwergetan hat. Verstappen kann offensichtlich deutlich schneller, aber wo sich eine Überholchance auftun soll, ist schleierhaft. Von hinten rückt Hamilton heran. Soweit alles nach Plan.

Verstappen wird zuerst aufgefordert, er müsse Bottas schnell überholen; das sei "entscheidend" für sein Rennen. Wenig später hört er noch: "Wenn sich die Chance ergeben sollte, kannst du den Überholknopf drücken." Um ein paar PS extra freizusetzen, wenn's drauf ankommt.

Aber das ist gar nicht nötig. Bottas hilft nämlich tatkräftig mit, kommt in Kurve 11 neben die Linie, wurschtelt sich irgendwie durch Kurve 12. In Kurve 13, der überhöhten Zielkurve, ist Verstappen im Windschatten schon so nahe, dass ein Überholmanöver unausweichlich scheint.

Bei Start und Ziel, lange vor Ende der vermeintlich viel zu kurz geratenen Geraden, ist der Spuk auch schon vorbei: Verstappen führt, "Blockas" hat seine Aufgabe nicht erfüllt. Erinnerungen an Le Castellet werden wach. Dort war das ganz ähnlich gelaufen.

Jetzt kann man natürlich darüber diskutieren, wie schwierig es für Bottas war, die Führung in dem Moment zu verteidigen. Und ob Hamilton überhaupt eine Chance gehabt hätte, Verstappen zu attackieren, selbst wenn "Blockas'" Mission erfolgreich gewesen wäre.

Was für Bottas-Verstappen gilt, gilt auch für Verstappen-Hamilton: Überholen in Zandvoort, das ist knifflig. Noch mehr, wenn das schnellere Autos vorn fährt.

Außerdem hatten Bottas' Reifen 21 Runden mehr auf dem Buckel als jene von Verstappen. Aber er war nicht der Einzige im Feld, der mit 29 Runden alten Softs unterwegs war. Beide Ferraris, beide Alpines, Daniel Ricciardo und Yuki Tsunoda waren zu dem Zeitpunkt ebenfalls noch auf ihren roten Startreifen.

Der Blick auf die Sektorenzeiten verdeutlicht das Ausmaß von Bottas Fehler: Allein im dritten Sektor war er in Runde 30 um 0,740 Sekunden langsamer als in Runde 29. Daher, bei allem Respekt: Ein absoluter Topfahrer darf sich nicht so abfrühstücken lassen.

Prognose von Baku scheint sich zu bewahrheiten

Es ist bereits das zweite Mal, dass ich Bottas 2021 schlecht schlafen lasse. In Baku hatte er es geschafft, nach dem Neustart vier Positionen innerhalb einer Runde zu verlieren. Meine Prognose damals, am 7. Juni: "Russell ist Mercedes' Zukunft, Bottas ist die Vergangenheit." Das war, wie wir vermutlich auch bald offiziell erfahren werden, ein ziemlicher Volltreffer.

Und so reiht sich Bottas vor seinem Wechsel zu Alfa Romeo ein in die Liste jener Fahrer, die eigentlich eine glanzvolle Karriere vor sich hatten, aber irgendwie nie den ganz großen Durchbruch geschafft haben.

Giancarlo Fisichella und Jarno Trulli fallen mir da ein, die großen Italo-Talente der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre, die beide an einem gewissen Fernando Alonso gescheitert sind. Rubens Barrichello, vom Talent her sicher ein potenzieller Weltmeister, aber neben Michael Schumacher bei Ferrari immer in der Rolle einer Nummer 2.


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Zuletzt natürlich auch Pierre Gasly und Alexander Albon, sicher keine schlechten Autofahrer, die aber an der Seite von Überflieger Max Verstappen bei Red Bull so aussahen, als seien sie direkt aus der Kreisliga in die erste Bundesliga aufgestiegen.

Bottas hatte das Pech, just in jenen Jahren im besten Auto der Formel 1 zu sitzen, in denen dort der vielleicht beste und statistisch erfolgreichste Rennfahrer aller Zeiten auf dem Höhepunkt seiner Karriere schaffte: Lewis Hamilton.

Nach fünf Jahren, in denen sein Vertrag immer nur um eine Saison verlängert und ihm nie langfristig das Vertrauen ausgesprochen wurde, nimmt Bottas neun Grand-Prix-Siege als Andenken mit. Zum Vergleich: Hamilton gewann im gleichen Zeitraum nicht weniger als 46 Rennen. So deutlich war das zwischen Hamilton und Nico Rosberg nicht.

Bottas und Berger: Da gibt's Parallelen!

Ein bisschen erinnert mich Bottas an meinen Landsmann Gerhard Berger, der an seinen guten Tagen ebenfalls das Talent hatte, für alle (auch die Herren Senna & Co.) unschlagbar zu sein. Man zeige mir den, der einen Bottas in Topform auf seiner Leibstrecke in Sotschi besiegen kann!

Berger hat sich 1990, 1991 und 1992 jedes Jahr aufs Neue eingeredet, dass es diesmal klappen kann mit dem WM-Titel. Aber gegen Ayrton Sennas Klasse war unterm Strich kein Kraut gewachsen.

Berger, Ende 1997 mit zehn Grand-Prix-Siegen in Rente gegangen, hat den Vergleich mit Senna einmal so beschrieben: Er selbst sei in ein paar Kurven 105 Prozent gefahren, in anderen dafür nur 90. Senna hingegen habe sein ganzes Fahren und das Drumherum so perfektioniert, dass er konstant 99 Prozent abrufen konnte. Immer und immer wieder. Und das hat letztendlich den Unterschied gemacht.

George Russell wird im Mercedes bessere Figur abgeben als Bottas das in den vergangenen fünf Jahren geschafft hat. Weil Hamilton fünf Jahre älter geworden ist und der absolute Peak seines Könnens wahrscheinlich nicht mehr vor, sondern ganz knapp hinter ihm liegt. Von jetzt an wird es nicht mehr schwieriger, den derzeit siebenmaligen Weltmeister zu knacken, sondern eher leichter.

Und für Bottas könnte es auch etwas Befreiendes haben, bei Alfa Romeo als etablierter Fahrer erstmals in seiner Formel-1-Karriere in eine klare Führungsrolle zu schlüpfen. Die wird er dort nämlich, ganz egal, wer letztendlich sein Teamkollege wird, sicher übernehmen. Und er wird das gut machen.

Einer der sieben besten Fahrer der Formel 1

Ich halte den 32-Jährigen bei aller Kritik unverändert für einen der sieben besten Fahrer der Formel 1. Frederic Vasseur wird staunen, welch ein Klasseunterschied ein Bottas im Vergleich zu Kimi Räikkönen oder Antonio Giovinazzi ist. Und dass er fünf Jahre lang im besten Team der Formel 1 Wissen und Know-how aufgesaugt hat wie ein Schwamm, macht ihn noch wertvoller.

Fisichella hat bei Force India einen zweiten Frühling erlebt, als er sich einmal von Alonso befreit hatte. Trulli bei Toyota ebenso. Barrichello wäre 2009 im Brawn fast doch noch Weltmeister geworden. Und Berger führte, als er nach drei McLaren-Jahren an Sennas Seite zu Ferrari zurückkehrte, die Scuderia erfolgreich in jene Ära, die mit Michael Schumacher später ihren Höhepunkt finden sollte.


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Bottas' Karriere ist noch lange nicht durch. Er sagt es selbst ganz richtig: Da stecken noch ein paar gute Jahre drin. Aber das mit dem Gewinnen und dem Traum vom WM-Titel, das ist jetzt erstmal vorbei.

Übrigens: Sein Rennen, die Konfusion um die schnellste Runde am Ende und auch weitere Brennpunktthemen wie den eskalierenden Streit zwischen Nikita Masepin und Mick Schumacher sowie den Vorschlag von Ralf Schumacher, Sergio Perez bei Red Bull wieder durch Albon zu ersetzen, haben wir auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de (Jetzt kostenlos abonnieren!) am Sonntagabend ausführlich analysiert. Jetzt das Video (54:50 Minuten) schauen!

Und: Auf Motorsport.com Deutschland gibt's jeden Montag die Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen" hat von meinem Kollegen Stefan Ehlen. Und die behandelt diesmal nicht den triumphalen Heimsieg von Max Verstappen, sondern ... Ach, am besten einfach selbst lesen, und zwar hier!

Ihr

Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.