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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lance Stroll

Racing Point wurde der Sieg in Monza auf dem Silbertablett serviert, Lance Stroll ist damit aber gleich in den ersten Sekunden nach dem Re-Start gestolpert

Titel-Bild zur News: Lance Stroll, Pierre Gasly

Lance Stroll gratuliert Pierre Gasly zum Sieg, der eigentlich seiner war ... Zoom

Liebe Leser/-innen,

nach dem verrückten Grand Prix von Italien wurden mir via Twitter (@MST_ChristianN) eine ganze Reihe Kandidaten für die heutige Kolumne vorgeschlagen. Alexander Albon wurde da zum Beispiel genannt, weil er mit dem besseren Auto als Sensationssieger Pierre Gasly Vorletzter wurde, oder Helmut Marko, weil viele User der Meinung sind, dass seine Junioren in den falschen Autos sitzen.

Daniil Kwjat zählte einer auf, denn in der Vergangenheit sind Red-Bull-Junioren schon bei einem geringeren Leistungsgefälle zum Teamkollegen gefeuert worden. Das, übrigens, glaube ich (kurzfristig) nicht, denn Dr. Marko ist in letzter Zeit irgendwie altersmilde geworden. Bis Kwjat sich einen neuen Job suchen muss, weil er durch Yuki Tsunoda ersetzt wird, vergehen noch neun Rennen.

Max Verstappen würde einem einfallen, um noch kurz im Red-Bull-Universum zu bleiben, weil sich das Thema WM jetzt wohl erledigt hat. Leuchtet mir auch ein.

Toto Wolff? Sicher nicht schlecht geschlafen!

Ein bisschen mehr Fantasie brauche ich schon für den Vorschlag Toto Wolff: Ja, Mercedes mag den Grand Prix von Italien verloren haben, aber die Wahrheit ist, dass Hamiltons Vorsprung in der WM auf den ersten Nicht-Mercedes von 47 auf 54 Punkte angewachsen ist. Kein Grund für schlaflose Nächte.

Valtteri Bottas, ja, hat sicher schlecht geschlafen. Ich lehne mich heute raus und sage: Solange er Hamiltons Teamkollege ist, wird er in diesem Leben nicht mehr Weltmeister. Allerdings: Das habe ich nach Austin 2015 auch über Nico Rosberg geschrieben, und ein Jahr später stand ich mit meiner Prognose da wie ein kompletter Vollidiot.

Bleibt noch Mattia Binotto übrig aus der Liste der Twitter-Vorschläge. Könnte man natürlich machen und argumentieren. Andererseits haben mir meine Eltern irgendwann beigebracht, dass man auf Menschen, die eh schon zusammengefaltet am Boden liegen, nicht auch noch drauftritt, und somit blende ich das Thema Ferrari heute komplett aus.

Darüber und was die Worte "I mog nimma" von Sebastian Vettel zu bedeuten haben, kann ich ja mit meinem Kollegen Stefan Ehlen in unserem inzwischen auch schon traditionellen Montagsvideo reden, das wie immer ab 17:00 Uhr als YouTube-Premiere auf unserem Channel zu sehen sein wird.


Hat Vettel jetzt genug von Ferrari und der F1?

So schlecht war Ferrari in Monza seit 25 Jahren nicht: Hat Sebastian Vettel wirklich keine Lust mehr oder kämpft er sich durch bis zum (Saison-)Ende? Weitere Formel-1-Videos

Und damit sind wir dann auch schon beim letzten Vorschlag, nämlich Carlos Sainz, weil "heute die einzige Möglichkeit auf einen Grand-Prix-Sieg in seiner Karriere war, und das weiß er vermutlich auch". Nicht meine Worte, sondern die eines Twitter-Users.

Ich habe mich zwar letztendlich anders entschieden, aber mit Sainz kommen wir der Sache schon ziemlich nahe. In meinen Augen hätte nämlich ein anderer Fahrer das Rennen in Monza gewinnen müssen, und zwar ganz locker: Lance Stroll. Aber wie Racing Point vulgo Aston Martin diese einmalige Chance verschenkt hat, das war leider genauso sensationell wie der Sieg von Gasly.

Stroll: Dieses Rennen war nicht mehr zu verlieren

Als das Rennen unterbrochen wurde, hätte die Ausgangslage für Stroll jun. besser nicht sein können. Er stand auf der zweiten Startposition hinter Hamilton, aber der hatte sich als Problem spätestens ab dem Zeitpunkt erledigt, als er bei seinem Besuch im Stewards-Room nicht genug Cash eingesteckt hatte, um die Herren davon zu überzeugen, dass sie sich lieber eine Pizza und eine Flasche Chianti gönnen sollen statt ihn zu bestrafen.

Sonst hatte Stroll keine Gegner. Gasly, Räikkönen und Giovinazzi (gleiche Strafe wie Hamilton) sollte er mit einem Vorjahres-Mercedes locker in die Tasche stecken, Sainz hatte am Samstag den viertschlechtesten Topspeed im Feld, Bottas kämpfte das ganze Rennen hindurch mit einem überhitzenden Auto und musste, statt sich im Windschatten heranzoomen zu können, jedes Mal ausscheren, um seinen Motor vor der Parabolica nicht zu überhitzen.

Ricciardo auf P10 war schon relativ weit weg, ebenso Verstappen auf P11 (der wenig später sowieso ausschied). Und vom Regelbuch bekam Stroll auch noch einen Reifenwechsel geschenkt. Es war weit und breit kein Gegner in Sicht. Also gratulierte ich auf Twitter schon mal vorbeugend zum Sieg - ein Tweet, der, das muss ich im Nachhinein zugeben, ziemlich schlecht gealtert ist.

Dass er dann am Start Wheelspin hatte und sowohl Gasly als auch die beiden Alfas besser wegkamen, okay, das wäre zwar einem Hamilton oder Verstappen nicht passiert, darf einem Stroll aber passieren.

Das, was ihm dann bei der Anfahrt zur Variante della Roggia passiert ist, aber nicht.

Stroll hatte gerade das Beschleunigungsduell gegen Giovinazzi verloren (wohlgemerkt: mit einem Mercedes- gegen einen Ferrari-Motor) und war ausgangs Curva Grande offenbar so in die Aufgabe vertieft, sein Motorenmapping auf "Strat 6" zu stellen (Darf man das überhaupt noch?), dass er in der Schikane beinahe in Räikkönens Heck gerauscht wäre und mit vollem Karacho in den Notausgang fuhr.

Er wusste, dass er das Rennen gewinnen muss. Und obwohl er in der Formel 3 gelernt hat, wie das ist, Rennen gewinnen zu müssen, gingen die Nerven mit ihm durch. Wäre das auch dem jungen Verstappen im Toro Rosso passiert? Ich glaube nicht. Die echten Champions sind in solchen Situationen kaltschnäuziger.

Auch beim Perez-Auto Fehler gemacht

Zwischen den beiden Lesmos schlüpfte Stroll dann auch noch Sainz durch, den er zwar in der Ascari-Schikane zunächst wieder auskontern konnte. Aber als Sainz bei Start und Ziel noch einmal am Racing Point, inzwischen mit "Strat 5" (Boxenfunk), vorbeiging, war die Messe gelesen und das Rennen für Stroll nicht mehr zu gewinnen.

Um das alles in den Gesamtkontext zu setzen: Racing Point hat in Monza noch sehr viel mehr falsch gemacht. Würde es nicht die "dumme Regel" (Copyright: Lando Norris) geben, dass während einer Rot-Unterbrechung Reifen gewechselt werden dürfen, wäre Stroll genau wie Hamilton ans Ende des Feldes zurückgefallen und ohne jede Chance gewesen.

Seine Boxencrew hatte es nämlich verschlafen, in derselben Runde einen blitzschnellen Doppelstopp beider Autos zu absolvieren (so, wie es McLaren erfolgreich vorgemacht hat), als das nach Öffnen der Boxeneinfahrt wieder möglich war. Reingeholt wurde nur Sergio Perez.

Das wiederum ist vielleicht im Nachhinein betrachtet ganz gut gewesen, denn erstens reizte Norris vor Perez das Bummeln vor der Einfahrt in die Box maximal aus, um nicht hinter Sainz warten zu müssen (so macht man das richtig), und zweitens brauchten die Mechaniker rechts vorne viel zu lange, um den alten Reifen runter zu bekommen. Stroll hätte erstmal warten müssen.

Als das Rennen in Runde 28 neu gestartet wurde, war Perez nicht mehr Vierter, sondern 14., und das hatte sich die Racing-Point-Crew nur selbst zuzuschreiben. Nicht der erste taktische Griff ins Klo, den das Team 2020 fabriziert hat.

Die Wahrheit ist: Perez' kühne Ankündigung am Samstag, dass er in Monza aufs Podium fahren kann, hat sich im Nachhinein als wahr herausgestellt. Nicht nur Andreas Seidl ist davon überzeugt, dass der rosa Mercedes mindestens das drittbeste Auto im Feld ist, hinter dem Original in Schwarz und (Verstappens) Red Bull.

So, wie Monza 2020 gelaufen ist, hatte Racing Point die Chance auf den Sieg, und zwar mit beiden Autos.

"Copygate": Racing Point hat es überstanden!

Immerhin gibt's für die Familie Stroll dieser Tage auch eine gute Nachricht. Im Chaos nach dem Grand Prix hat Ferrari heimlich, still und leise seine Berufung gegen das "Copygate"-Urteil zurückgezogen. Praktisch, dass die Journalisten gerade anderes zu tun hatten, als das kommuniziert wurde - eine Strategie, die sich schon beim FIA-Ferrari-Deal am letzten Testtag bewährt hat.

Damit bleibt es bei 15 Punkten Abzug und 400.000 Euro Geldstrafe, die Stroll sen. aus der Portokasse zahlt und dem Team normalerweise nicht weiter wehtun sollten. Am Saisonende muss Racing Point mit diesem Auto eigentlich auch so locker WM-Dritter werden. Es sei denn, man leistet sich mehr Rennen wie das gestrige.

Zwar soll über regulatorische Mechanismen sichergestellt werden, dass es 2021 nicht noch einmal eine dreiste Mercedes-Kopie in die Startaufstellung schafft. Aber die Nachricht von der zurückgezogenen Berufung ist womöglich auch für Sebastian Vettel eine gute. Vielleicht fällt es ihm jetzt leichter, doch den Aston-Martin-Vertrag für 2021 zu unterschreiben ...

Ihr

Christian Nimmervoll

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PS: Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat - nach diesem Rennen recht offensichtlich - ist Thema der Kolumne auf unserem Schwesterportal motorsport.com. Gibt's hier nachzulesen!

Und nicht vergessen: Stefan Ehlen und ich diskutieren unsere Kolumnen (und alternative Gut- und Schlechtschläfer) noch in einem Videobeitrag. Den finden Sie im Tagesverlauf auf unserem YouTube-Kanal - den Sie am besten gleich abonnieren, damit sie nichts mehr verpassen!