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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Hermann Tilke

Der "Gähn Prix" beim Saisonfinale der Formel 1 in Abu Dhabi und welche Konsequenzen Streckendesigner Hermann Tilke daraus ziehen könnte

Titel-Bild zur News: Hermann Tilke

Hermann Tilke hat den Yas Marina Circuit entworfen - und zweifelt selbst bereits Zoom

(Motorsport-Total.com) - "Ich habe während eines Rennens noch nie so viele Nachrichten mit einem schlafenden Emoji erhalten", sagt Mercedes-Sportchef Toto Wolff. Und Hand aufs Herz: Ihnen zuhause ging es wahrscheinlich genauso. Das Saisonfinale der Formel 1 in Abu Dhabi war kein Rennspektakel, sondern ein "Gähn Prix", und das hat auch gute Gründe.

Und damit willkommen zu dieser Montagskolumne, bei der ich ausnahmsweise einen "Platztausch" mit meinem Kollegen Christian Nimmervoll gemacht habe. Er übernimmt heute mit seiner Kolumne meinen "Stammplatz" bei de.motorsport.com, und ich bin hier zu lesen. Also dann!

Liebe Leser,

ich habe es gestern Abend schon kurz auf meiner Facebook-Autorenseite angerissen: Abu Dhabi ist der falsche Ort für das Saisonfinale der Formel 1. Darin hat mich das gestrige Rennen noch einmal bestätigt.

Die Anlage an sich, der Yas Marina Circuit, das alles mag erste Sahne sein, absolut grandios und topmodern. Das Streckenlayout und die Rennen, die darauf entstehen, sie sind es nicht - im Gegenteil.

Ex-Champion Kimi Räikkönen soll dazu schon vor Jahren sinngemäß gesagt haben: Die ersten Kurven seien ja noch "okay", aber der Rest des Kurses sei "Shit". Und auch Lewis Hamilton meinte, die Strecke gehöre umgebaut, um besseres Racing zu bieten.

Selbst Hermann Tilke meldet Zweifel an

Selbst Formel-1-Streckendesigner Hermann Tilke, der den Yas Marina Circuit vor inzwischen über zehn Jahren entworfen hat, hat bereits Zweifel angemeldet.

Schon nach dem Grand Prix 2017 sagte er bei 'Sky', man erwäge eine Änderung am Kursverlauf, um das Überholen zu fördern. "Wir diskutieren das", sagte Tilke damals. Passiert aber ist nichts. Und das fällt der Formel 1 in Abu Dhabi immer häufiger auf die Füße.


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Welche Rennen dort sind denn in Erinnerung geblieben und weshalb? 2010 fällt mir da ein, der erste Titelgewinn von Sebastian Vettel mit Red Bull, begünstigt durch den Umstand, dass Fernando Alonso im Ferrari nicht an Renault-Fahrer Witali Petrow vorbeikam.

Oder 2016, als Hamilton an der Spitze mit einer Schleichfahrt versuchte, das Feld so zusammenzuführen, dass sein Titelrivale Nico Rosberg in Bedrängnis geraten und von Sebastian Vettel überholt werden könnte. Hat aber nicht geklappt, Rosberg wurde Weltmeister.

"Ein langes Zeitfahren" statt Rennaction

Und damit sind wir beim Grundproblem in Abu Dhabi angekommen, oder wie es Daniel Ricciardo nach dem gestrigen Rennen formulierte: "Es war praktisch ein langes Zeitfahren." Weil Überholen auf dem Yas Marina Circuit nur mit viel Überschuss (und DRS) möglich ist, sofern man überhaupt zum Vordermann aufschließen kann, trotz zwei langer Geraden.

Denn dafür ist der kurvenreiche letzte Sektor Gift. Dort hat Tilke eine Reihe enger Kurven angelegt, die meisten davon im 90-Grad-Winkel, die obendrein nach außen abfallen. Das sollte eigentlich die Fahrer fordern und die Fahrzeuge besser in Szene setzen, doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Das Feld zieht sich dort auseinander.

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"Weil die Kurven alle nach außen abfallen rutscht man eigentlich nur", erklärt Esteban Ocon. "Es bräuchte mehr Grip. Das wäre der Schlüssel zum Überholen dort. Denn aktuell kannst du einfach nicht dranbleiben. Ein bisschen mehr Überhöhung in den Kurven würde helfen."

Änderungen im großen Stil sind gefordert

Ricciardo dagegen schlägt Maßnahmen in einer anderen Größenordnung vor: "Ich will die Anlage nicht abreißen, weil ich gerne hierherkomme, aber vielleicht lässt sich was am Layout machen." Siehe Bahrain, wo vor einer Woche der "Outer Track", eine alternative Streckenführung ohne "Infield", sein Formel-1-Debüt gegeben hat.

Auch Wolff spricht das Layout an und ob es nicht schon bestehende Möglichkeiten gäbe in Abu Dhabi, die ein Rennen mittels Überholchancen "etwas interessanter" machen könnten. Und ja, diese alternativen Layouts gibt es, aber ob sie für die Formel 1 in Frage kommen, das ist offen.

Fest steht für mich nur: Es braucht eine Änderung. Denn das, was gestern passiert ist, war eines Formel-1-Finalrennens unwürdig, zumal auf einer für mich seelenlosen Anlage, die zwar in einwandfreiem Zustand ist, aber untauglich für einen Grand Prix. Das zeigt sich Jahr für Jahr.

Im aktuellen Zustand ein unwürdiges Finalrennen

Natürlich tragen auch die Fahrzeuge mit ihrer komplexen Aerodynamik zum "Überholproblem" der Formel 1 bei. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. In Abu Dhabi aber scheint vor allem die Streckenführung der limitierende Faktor zu sein. Und das ist schade.

Schade, weil dort für sehr viel Geld eine Rennstrecke gebaut wurde, die praktisch von Anfang an den Anforderungen nicht genügt. Und schade auch, weil sich die Formel 1 immer wieder mit einem echten Langweiler in die Winterpause verabschiedet - und sich so den Vorwurf gefallen lassen muss, man fährt ja nur deshalb das Finale in Abu Dhabi, weil dort mit den Geldscheinen gewedelt wird.


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Höchste Zeit also, dass sich etwas tut. Sei es an der Rennstrecke, dem Layout oder dem Kalender, aber ein Finale auf dem Yas Marina Circuit in seiner jetzigen Form, das schadet der Formel 1 mehr, als dass es nutzt. Denn wie heißt es so schön? Man ist immer nur so gut wie sein letztes Rennen. Und das war leider ein Griff ins Klo.

Sie sehen das genauso oder ganz anders? Dann lassen Sie uns gerne darüber reden! Auf meiner Facebook-Autorenseite oder auf Twitter kommen wir jederzeit ins Gespräch!

Und falls wir uns dort nicht lesen, wünsche ich schon hier eine schöne Winterpause. Der Übergang in die rennfreie Zeit fällt nach dem "Absacker" gestern ja nicht allzu schwer ...

Ihr
Stefan Ehlen

Wer letzte Nacht in Abu Dhabi am besten geschlafen hat? Das erfahren Sie in der Schwesterkolumne meines Kollegen Christian Nimmervoll auf de.motorsport.com. Folgen Sie einfach diesem Link!

Und nicht vergessen: Christian Nimmervoll und ich diskutieren unsere Kolumnen (und alternative Gut- und Schlechtschläfer) noch in einem Videobeitrag. Den finden Sie ab 17 Uhr auf unserem YouTube-Kanal und auf dem YouTube-Kanal unseres Schwesterportals Formel1.de - also abonnieren Sie am besten gleich unsere Kanäle dort, damit Sie nichts verpassen!