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Wenn Theorie zur gefährlichen Praxis wird
Die Freigabe des bidirektionalen Funks könnte Fahrer zu hilflosen Marionetten ihrer Teams ? und der Konkurrenz ? machen
(Motorsport-Total.com) - Als sich der Motorsportweltverband FIA im Oktober 2001 zur Weltmotorsportratsversammlung traf, da erhitzte vor allem eine Entscheidung die Gemüter in der Formel 1: Die Freigabe des bidirektionalen Funks. Damit ist es in dieser Saison erstmals nach dem Verbot in der Saison 1993 wieder erlaubt, nicht nur Daten vom Auto an die Box, sondern auch umgekehrt von der Box an die Autos zu übermitteln.

© Renault
Die Formel 1 steuert auf ein riskantes technisches Experiment zu
Das klingt zwar auf den ersten Blick relativ unspektakulär, hat aber weitreichende Auswirkungen. So sind die Teams in der Lage, von der Box aus Parameter des Autos zu steuern, die früher nur der Fahrer selbst oder nach Aufforderung über Funk durch den Renningenieur per Hand einstellen konnte: Bremskraftverteilung, Benzingemisch, Traktionskontrolle und so weiter. Da die in den Augen der FIA sicherheitsrelevanten Funktionen wie Lenkung, Bremsen oder Aufhängungen frei von jeder elektronischen Ansteuerung sein müssen, gab die FIA der Technologie aber auch der Sicherheit zu Liebe den bidirektionalen Funk frei.
Bidirektionaler Funk soll die Sicherheit erhöhen
Auf den ersten Blick klingt alles sinnvoll. Teams und Rennleitung sollen in Zukunft in der Lage sein, beispielsweise in extremen Gefahrensituationen die Autos künstlich einzubremsen oder gar den Motor komplett abzuschalten. In Zonen mit gelben Flaggen werden die Autos auf eine Maximalgeschwindigkeit programmiert, das Safety Car könnte in absehbarer Zukunft ebenfalls durch eine programmierbare maximale Einheitsgeschwindigkeit ersetzt werden.
Doch wo Licht ist, da gibt es auch immer Schatten. Dieser ist zwar im Moment nur in der Theorie vorhanden, doch diese könnte leicht Praxis werden. Sicherlich ist es für die Sicherheit aller Beteiligten zunächst positiv zu bewerten, wenn sich der Fahrer in Zukunft voll auf das Fahren konzentrieren kann und nicht mehr abgelenkt wird, wenn er zum Beispiel am Lenkrad an einem filigranen Knopf das Benzingemisch verstellen soll.
Die Elektronik ist ein sensibles Pflaster
Doch angesichts der Tatsache, dass die heutigen Formel-1-Autos gerade im Elektronikbereich sensibel auf jede kleinste Veränderung reagieren, darf bezweifelt werden, ob ein fremder Eingriff überhaupt zugelassen werden sollte. Funksysteme sind nicht nur vergleichsweise anfällig für fehlerhafte Übertragungen, auch der menschlichte Fehlerfaktor darf nie außer Acht gelassen werden. Nicht auszudenken was passiert, wenn ein Pilot in eine schnelle Kurve hineinbremst und die Bremsbalance falsch eingestellt ist.
Momentan sind solche Systeme noch Zukunftsmusik und die Teams werden sich zunächst nur auf das Fernsteuern von so wichtigen Parametern wie des Benzingemischs oder der Differenzialsperre konzentrieren. Schlussendlich können viele Parameter vom Team außerhalb gar nicht verstellt werden, muss doch der Fahrer spüren, wo er das Auto noch durch Eingriffe in die Elektronik verbessern kann.
Risiko oder sinnvolle Zukunftstechnologie?
Dennoch kann man bei einigen Einstellungen dem Fahrer tatsächlich Arbeit abnehmen und dabei gleichzeitig das Risiko mindern. Klar ist aber auch, dass durch den bidirektionalen Funk der Fahrer an Wichtigkeit einbüsst, auch wenn die Automobilhersteller die Technologie natürlich lieber als sinnvolle Zukunftsinvestition darstellen.
Doch es gibt noch unsportliche und vor allem auch gefährliche Szenarien, an die man am besten gar nicht denkt. Unsportlich wäre zum Beispiel eine erzwungene Stallorder durch das Team. Theoretisch wäre es kein Problem, einem Fahrer ferngesteuert die Motordrehzahl zu reduzieren, falls dieser den Teamkollegen partout nicht vorbeilassen möchte. Vor knapp einem Jahrzehnt gab es entsprechende Berichte, wonach teilweise bewusst die Leistung der Motoren ferngesteuert manipuliert wurde?
Siegt die Vernunft?
Wenn die Theorie zur Praxis wird ? das wird die Vernunft hoffentlich im Zusammenhang mit Manipulationen niemals zulassen. "Theoretisch, wenn auch schwierig" ? wie ein Williams-Teammitglied unlängst meinte ? ist es nämlich möglich, dass die Konkurrenz den bidirektionalen Funk stört oder gar manipuliert. Zwar arbeiten die Teams auf ständig wechselnden Frequenzen und verschlüsseln die Signale, aber mit der heutigen Technik und dem entsprechenden Aufwand ist es möglich, die Signale zu entschlüsseln. Aussprechen, zu was eine solche Manipulation führen könnte, mag man erst recht nicht?
Gezielte Manipulation von außen sehr unwahrscheinlich
Jordan-Mitarbeiter Gilles Flaire, ein ehemaliger Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes, schätzt den bidirektionalen Funk als gefährlich ein: "Es wird möglich sein, die Systeme durch verschiedene Methoden zu stören", so Flaire gegenüber 'sport auto moto'. "Es wird schwierig sein, Spionage zu betreiben aber einfach sein, den Funkkontakt zwischen dem Auto und der Box zu stören. Des Weiteren wird es ein Leichtes sein, ein Funksignal so zu manipulieren, dass es das Ziel nie erreichen wird. Und wenn dann noch jemand so gut ist, dass er das richtige Signal findet, dann kann und wird dies zu einem Desaster führen."
Noch weiß niemand, wie sich die Freigabe des bidirektionalen Funks auf die Formel 1 auswirken wird. Klares Ziel ist die Erhöhung der Sicherheit in der Formel 1 und die Förderungen der technischen Entwicklung. Bei allem Wettbewerb in der Formel 1 ist es doch mehr als abwegig, dass die Konkurrenz ihre Gegner bewusst von der Strecke schickt und damit Leben riskiert. Doch ausschließen kann und darf man nie etwas. Die Theorie wird oftmals zu schnell zur Praxis.

