Was Mercedes in China so stark macht

Mercedes drückt dem Schanghai-Kurs auch ein Jahr nach dem Premierensieg seinen Stempel auf - Die Gründe, warum der "Silberpfeil" nirgendwo besser funktioniert

(Motorsport-Total.com) - Seit Mercedes 2010 mit einem eigenen Team in die Formel 1 eingestiegen ist, musste man viel Kritik über sich ergehen lassen. Nur äußerst selten präsentierten sich die "Silberpfeile" konkurrenzfähig. Mit einer Ausnahme - auf dem Shanghai International Circuit. Während sonst oft die Reifen schmolzen und man zu Statisten degradiert wurde, feierte man in China absolute Sternstunden. Der erste Grand-Prix-Sieg im Vorjahr durch Nico Rosberg ist allen noch in bleibender Erinnerung, doch wer sich genauer zurückerinnert, dem fällt auf, dass Mercedes in allen drei Formel-1-Jahren den Grand Prix anführte.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Der Shanghai International Circuit ist den "Silberpfeilen" auf den Leib geschneidert Zoom

Die Statistik zeigt noch viel deutlicher, dass China die absolute Mercedes-Lieblingstrecke ist: Insgesamt absolvierte man dort in drei Jahren 78 der insgesamt 91 Führungsrunden. Das ist ein Anteil von 86 Prozent. Und als wollte man seine Vormachtstellung in der Nation, wo VW die meisten Pkw verkauft, noch einmal unterstreichen, dominierte Mercedes auch das heutige Freie Training über weite Strecken. Nur am Ende verdrängten die Ferrari-Piloten und Kimi Räikkönen Rosberg von Platz eins. Im ersten Freien Training hatte Rosberg auf den besten Nicht-Mercedes - Mark Webber im Red Bull - fast eine Sekunde Vorsprung.

Mercedes beeindruckt wieder die Konkurrenz

"Nach dem ersten Freien Training hätte man gesagt, dass es für Mercedes ein Spaziergang wird", zeigte sich Jenson Button zunächst von den Zeiten der "Silberpfeile" erschüttert. Da man auf der weicheren Mischung allerdings nicht ganz vorne war, ist der Brite nun nicht ganz sicher, ob Rosberg und Hamilton wirklich die absoluten Favoriten sind: "Ich weiß nicht, ob sie mit mehr Sprit unterwegs waren, als sie den weicheren Reifen fuhren. Da waren sie jedenfalls nicht so konkurrenzfähig, während Lotus und Ferrari sehr konkurrenzfähig waren. Die beiden waren das allerdings nicht auf der härteren Mischung."

Fakt ist aber, dass die Soft-Mischung im Rennen vermutlich nur wenige Runden lang im Einsatz sein wird, ehe die Teams auf die Medium-Reifen umstecken werden - und unter diesen Bedingungen konnte Mercedes heute niemand das Wasser reichen. Auch Ferrari-Technikchef Pat Fry ist durch die starken Zeiten der "Silberpfeile" auf der härteren Gummimischung gewarnt: "Sie hinterließen am Vormittag einen starken Eindruck."

Die Vorderachse ist der Schlüssel

Doch was macht das Team aus Brackley in Schanghai so stark? Im Vorjahr führte man es darauf zurück, dass der F1 W03 - ein chronischer "Reifenfresser" - die Gummis bei den niedrigen Temperaturen plötzlich ins richtige Temperaturfenster brachte, während die anderen Topteams bei den unüblichen Bedingungen mit ausgekühlten Pneus kämpften. Rosberg gelang nach der Pole-Position eine beeindruckende Soloflucht, Michael Schumacher wäre vermutlich Zweiter geworden, wäre er nicht nach einem missglückten Boxenstopp wegen eines nicht angeschraubten Rades ausgeschieden.

"Mercedes ist auf Strecken gut, wo die Vorderachse wichtig ist." Sam Michael

Doch dieses Jahr geht der Mercedes deutlich besser mit den Reifen um, und der Asphalt war im Training auf über 30 Grad aufgeheizt. Nur an den Reifen kann es also nicht liegen. McLaren-Sportdirektor Sam Michael hat eine Erklärung parat: "Dieser Kurs wird vom Untersteuern dominiert, die schnellen Kurven werden immer enger und enger. Dadurch wird die Vorderachse im Vergleich zu anderen Strecken ziemlich hart rangenommen. Andere Strecken fordern eher die Hinterachse."

Das Layout kommt laut Michael der Charakteristik des Mercedes-Boliden perfekt entgegen: "Daher sind sie so stark und waren auch im vergangenen Jahr so stark. Sie sind auf Strecken gut, wo die Vorderachse wichtig ist - es sah heute so aus, als wären sie bei den Longruns wirklich schnell."

Mercedes spielt Motorleistung aus

Schanghai, Gegengerade

Auf der langen Gegengeraden kann der Mercedes-Motor die Muskeln spielen lassen Zoom

Doch das ist nicht der einzige Mercedes-Vorteil: Analysiert man die Sektorzeiten, dann fällt auf, dass der Mercedes vor allem im letzten Teil der Strecke die Zeit holt. Der dritte Sektor wird von einer der längsten Geraden im Formel-1-Zirkus geprägt. Dort kann das Mercedes-Aggregat, das im Gegensatz zum Renault-Motor nicht für seine tolle Fahrbarkeit berühmt ist - was auf Strecken ein Vorteil wäre, wo der Hinterreifen besonders gefordert wird -, seine hervorragende Leistung ausspielen.

Die schiere Kraft des Motors, aber die mäßige Fahrbarkeit sind auch eine mögliche Erklärung dafür, dass der F1 W04 mit der härteren Reifenmischung optimal liegt, während die fragile weichere Mischung nicht optimal funktioniert - wegen der Hinterreifen, wie Teamchef Ross Brawn gegenüber 'auto motor und sport' zugibt: "Die weichen Reifen verlangen eine andere Fahrzeugbalance als die harten. Unser Auto ging gut auf den harten Reifen. Wie erwartet war der linke Vorderreifen die kritische Grenze. Auf den weichen Reifen bekamen wir plötzlich Probleme mit den Hinterreifen. Das ist unüblich auf dieser Strecke."

Nächste Rosberg-Sternstunde?

Nun wird es also vor allem daran liegen, im Qualifying nicht zu viel Boden zu verlieren. Mit Rosberg und Hamilton hat man dieses Jahr zwei Fahrer in den eigenen Reihen, die als ausgesprochene Spezialisten für eine schnelle Runde gelten. Bisher kam der Deutsche in Schanghai besser zurecht als sein britischer Teamkollege, hinter dem er sich in Sepang anstellen musste.

Er fühlt sich wohl im Auto und ist für Samstag und Sonntag zuversichtlich, weiß aber auch, dass "alles perfekt sein muss", damit er den Vorjahressieg wiederholen kann. Hamilton fühlte sich hingegen "etwas unwohl" im Auto. Das Team versuchte, dieses Gefühl durch Änderungen an den Bremsen zu verändern, was durchaus fruchtete, optimal sei die Lage aber laut Hamilton noch nicht. Gut möglich also, dass auch dieser Grand Prix von China wieder zum Fall für Nico Rosberg wird.