• 03.07.2008 13:07

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Warum Renault nicht auf KERS verzichten will

Das KER-System bringt viele Vor- und Nachteile mit sich, aber laut Rob White kann es sich niemand leisten, ganz darauf zu verzichten

(Motorsport-Total.com) - Die Einführung von Hybridtechnologie in Form von kinetischer Energierückgewinnung (KERS) ist mit Sicherheit die größte Innovation, die die Formel 1 seit Jahren gesehen hat. Ab 2009 soll es den Fahrern möglich sein, mittels Knopfdruck kurzzeitig Leistung freizusetzen, die zuvor etwa aus der Abwärme der Bremsen als Energie gespeichert wurde.

Titel-Bild zur News: Rob White

Rob White gilt als einer der Fachmänner auf dem noch neuen KERS-Gebiet

So weit, so gut. Nur: Der theoretische Vorteil von KERS - auf Basis der aktuellem Limits, die die FIA in Sachen Speicherkapazität setzt - liegt streckenabhängig bei drei Zehntelsekunden pro Runde, sodass sich manche Teams schon überlegen, wegen des Mehrgewichts ganz auf die neue Technologie zu verzichten. Andere wie etwa McLaren-Mercedes spielen mit dem Gedanken, zwei Autos zu bauen - eines mit, eines ohne KERS.#w1#

KERS-Verzicht steht noch immer im Raum

"Ich hoffe im Interesse des Sports, dass es nicht dazu kommen wird." Rob White

Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' bestätigte Renault-Motorenchef Rob White, dass sein Team auch darüber nachdenkt, ganz auf KERS zu verzichten: "Jeder hat das in Erwägung gezogen und jeder muss das in Erwägung ziehen. Es ist ja nicht verpflichtend. Das wäre also denkbar, aber ich hoffe im Interesse des Sports, dass es nicht dazu kommen wird", so der Brite, der auch anfügte: "Im Moment planen wir das Auto so, dass wir KERS im Hinterkopf haben."

"Man weiß schon seit einiger Zeit, dass der Vorteil von KERS auf die Rundenzeit gesehen im Vergleich zu den Gesamtkosten des Projekts sehr klein ist", übte er indirekt Kritik an den sehr stark limitierten Kapazitätsbestimmungen für KERS. Denn für die Entwicklung des KERS-Prinzips ist eine Menge Geld notwendig - momentan für einen relativ geringen Nutzen. Hätte man die Kapazität höher angesiedelt, wäre der Nutzen größer gewesen.

"Es gibt aber zwei Gründe, die trotzdem dafür sprechen, KERS zu entwickeln", betonte White praktisch im gleichen Atemzug. "Erstens bringt es einen potenziellen Vorteil für die Rundenzeit, den man ansonsten in einem anderen Bereich suchen muss, und zweitens bringt es einen taktischen Vorteil, weil man mit der Extraleistung zum Beispiel ein schnelleres Fahrzeug von hinten am Überholen hindern kann."

KERS transportiert das Image Umweltschutz

"Wir müssen an das Image denken, dass durch KERS für den Sport transportiert wird." Rob White

"Wir müssen auch an das Image denken, dass durch KERS für den Sport transportiert wird. Und es geht auch darum, in diesem technologischen Feld nicht den Anschluss zu verlieren. Denn auch wenn der Vorteil jetzt noch klein ist, so muss man davon ausgehen, dass er in Zukunft größer sein wird", fügte der Renault-Mann an. Klar ist nämlich: Die FIA wird ihre Kapazitätsbegrenzungen lockern - und wer dann noch keine Ahnung von KERS hat, der wird ins Hintertreffen geraten.

Theoretisch führendes Team auf dem KERS-Sektor ist derzeit Honda, denn die Japaner haben das System im Geheimen bereits auf der Strecke getestet. McLaren-Mercedes konzentriert sich vorerst noch auf Simulationen und Prüfstände und will erst mit einer ausgereiften Version auf die Strecke gehen, BMW soll ebenfalls schon recht weit sein. Und Renault? "Wir testen derzeit in der Fabrik. Wir hatten schon Höhe-, aber auch Tiefpunkte. Insgesamt sind wir auf Kurs", so White.

Als größte Herausforderung nannte er abseits des technologischen Aspekts "Logistik, Produktion und Projektmanagement" - Faktoren, die gerade für Renault eine besondere Rolle spielen, weil die Chassisabteilung in Großbritannien und die Motorenabteilung in Frankreich beheimatet ist. KERS ist aber eng mit beiden verstrickt, sodass die Kommunikation auf diesem Gebiet über große geografische Distanzen hinweg optimiert werden muss.

Warum muss KERS nicht auch langlebig sein?

"Meiner Meinung nach sollten alle Komponenten die gleiche Lebensdauer haben." Rob White

White liegt noch ein weiterer Punkt am Herzen: "Meiner Meinung nach sollten alle Komponenten des Antriebs - also der Motor, das Getriebe und KERS - die gleiche Lebensdauer haben. KERS ist aber ein neues Technologiefeld. Um gerade zu Beginn eine stetige Weiterentwicklung sicherzustellen, macht es Sinn, zunächst einen kurzen Lebenszyklus festzulegen." 2009 muss der Motor zwei, das Getriebe vier und die KERS-Batterie nur ein Rennwochenende überstehen.

Außerdem soll 2013 ein komplett neues Motorenformat eingeführt werden. Diskussionen über eine Vorverlegung steht man bei Renault skeptisch gegenüber: "2012 wäre möglich. 2011 wäre nur dann möglich, wenn wir bereits entschieden hätten, dass es 2011 passieren soll - und spätestens am Jahresende müssten wir genau wissen, was passieren soll. Das ist wahrscheinlich nicht realistisch", winkte White ab.

Sein Fazit: "KERS ist eine große technische Herausforderung. Es wäre nur schön gewesen, etwas mehr Zeit zu haben und die neuen Formate für Motor, Getriebe und KERS auf einen Rutsch einzuführen." Das wäre für die Teams logistisch gesehen eine enorme Erleichterung gewesen, aber durch die verschiedenen Reglementstufen, die bereits vorher festgelegt waren, war dies formell offenbar nicht möglich...

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