• 28.08.2002 19:05

  • von Fabian Hust

Vorschau auf den Großen Preis von Belgien

Fast alle Fahrer lieben Spa-Francorchamps ? das ist für die "Ardennen-Achterbahn" wohl die größte Auszeichnung

(Motorsport-Total.com) - Die wohl bei den Fahrern beliebteste Rennstrecke im Kalender ist Spa-Francorchamps. Die belgische Rennstrecke - nur eine gute Stunde von der Heimat der Schumacher-Brüder entfernt südlich von Aachen an der belgischen Grenze gelegen - ist ein Kurs der "alten Garde". Ihre aufregende Kombination aus schnellen Kurven, Bergab- und Bergaufstücken sowie die traumhafte Lage inmitten der Ardennen macht das besondere Flair der Rennstrecke aus.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve (BAR-Honda)

Jacques Villeneuve bei der Fahrt in der berühmten 'Eau Rouge'

Mit einer Länge von 6,947 Kilometern ist Spa-Francorchamps - oder "Spa", wie man kurz und bündig sagt - die längste Strecke im Rennkalender. Neben Monaco gehört der belgische Ardennenkurs zu den ausgesprochenen Fahrerstrecken, auch wenn ein guter Motor mit Sicherheit nicht Fehl am Platz ist. Doch gerade die herausfordernden Kurvenkombinationen trennen in Belgien die Spreu vom Weizen. "Spa trennt die Männer von den Buben", meinte einst Denis Hulm, Weltmeister von 1967.

Regenschlachten mit großen Folgen

Richtig aufregend wird es in Spa, wenn der typische Ardennen-Regen niedergeht. Ein ganzes Wochenende ohne einen einzigen Regentropfen hat auf dem Kurs, der zum Teil aus öffentlichen Straßen besteht, wirklich Seltenheitswert. Immerhin ist im Schnitt jedes dritte Rennen ein Regenrennen. Und da die Strecke mitten in einer Berglandschaft liegt und zudem auch noch so groß ist, kann es vorkommen, dass ein Teil der Piste nass ist, der andere hingegen die Piloten mit Sonnenschein verwöhnt.

Das letzte spektakuläre Regenrennen fand 1998 statt. Eine feuchte Strecke und leichter Regen zwang die Fahrer beim ersten Start auf Regenreifen zu setzen. Ferrari-Pilot Michael Schumacher auf Startposition vier gehörte zu den wenigen Fahrern, die das Risiko eingingen, auf Intermediates zu starten. Der Start verlief reibungslos, doch auf der Geraden zur 'La Source' kam es zur bisher größten Massenkarambolage in der Geschichte der Formel 1.

Auslöser war McLaren-Mercedes-Pilot David Coulthard, der nach einer Berührung eines Gegners quer über die ganze Strecke rutschte, in die Boxenmauer einschlug, zurückgeworfen wurde und dadurch weitere Autos in eine Karambolage zwang. Durch die starke Gischt behindert konnten viele Fahrer nicht ausweichen, da sie die Gefahr zu spät erkannten und rasten in das Chaos hinein. Ganze 13 Fahrzeuge hatten nachher nur noch Schrottwert.

Zahlreiche Reifen flogen durch die Luft, verfehlten einen Zuschauer am Kopf nur ganz knapp und auch die Fahrer in ihren offenen Cockpits wurden teilweise von den Geschossen nur ganz knapp verfehlt - nach dem Rennen entschied man sich, ab der folgenden Saison aus diesem Grund Halteseile einzuführen, die das Wegfliegen der Räder verhindern sollen. Außerdem werden Regenrennen nun hinter dem Safety Car gestartet.

Unfallschrecken in Spa

Auch in den Jahren danach machte Spa dem Ruf alle Ehre, eine gefährliche Rennstrecke zu sein. Weil er in der Regen-Gischt nichts sah, krachte Michael Schumacher 1998 in Führung liegend mit voller Wucht dem Überrundeten David Coulthard in das Heck. 1999 flogen die BAR-Piloten Jacques Villeneuve und Ricardo Zonta in der 'Eau Rouge' bei rund 280 km/h ab, überschlugen sich mehrfach und kamen wie durch ein Wunder unverletzt davon. "Ich habe Eau Rouge überlebt", kritzelte Jacques Villeneuve an jenem Tag auf seine Autogramme.

Zahlreiche weitere Piloten machten in den vergangenen Jahren unliebsame Begegnungen mit den Leitplanken, doch auch wenn die Autos wie im Jahre 2000, als Giancarlo Fisichella im Warm Up mit seinem Benetton "auf dem Dach" liegen blieb, völlig zerstört wurden, kamen die Fahrer meist mit einem blauen Auge davon. "'Eau Rouge' kann man am ehesten mit einem Starfighter vergleichen", so Ex-Formel-1-Pilto Gerhard Berger. "Du fährst erst runter, wobei du den Magen spürst, dann wieder hoch. Wenn du unten in der Senke bist, siehst du überhaupt nichts - nur den Himmel. Dort den Gasfuß durchgedrückt lassen ist das Geilste, was es gibt."

2001: Horrorcrash von Luciano Burti

Ein weiterer Horrorcrash mit glimpflichem Ausgang ereignete sich im letzten Jahr. Mit rund 300 Stundenkilometern kam Prost-Pilot Luciano Burti nach einem gescheiteren Überholversuch an Eddie Irvine kurz vor der 'Blanchimont'-Kurve von der Strecke ab und rutschte mit noch rund 250 km/h in die Reifenstapel. Der Brasilianer war seinem irischen Rivalen in das Heck gefahren und hatte sich dabei den Frontflügel abgefahren. Dadurch fehlte Burti auf der Vorderachse der Anpressdruck und so raste er fast ohne Lenk- und Bremswirkung auf die Reifenstapel zu. Wie durch ein Wunder kamen beide Fahrer nach dem heftigen Einschlag bis auf Prellungen unverletzt davon ? die ersten Bilder ließen da noch schlimmeres befürchten.

Streckensicherheit in Frage gestellt

In den Kurven, in denen sich in der Vergangenheit die meisten Unfälle ereignet haben, hat man in den letzten Jahren die Auslaufzonen vergrößert oder durch Asphaltflächen ersetzt, um das Risiko zu senken. Dennoch halten einige Fahrer die Strecke für nicht mehr zeitgemäß. Als atemberaubend gelten vor allem zwei Kurven. Zum einen zählt dazu die 'Eau Rouge', eine Senke, die mit rund 300 km/h angefahren wird. Wenn die Fahrer einlenken müssen, führt die Strecke steil nach oben, was die Autos leicht werden lässt. Oft beschreiben die Piloten das Gefühl, mit 4g in die Sitze gedrückt zu werden, mit Achterbahnfahren.

Bekannt ist auch die 'Blanchimont', eine 300-km/h-Linkskurve, an deren Stelle man wegen mangelnder Auslaufzonen besser nicht abfliegen sollte. Ganz und gar nicht in die ansonsten schnellen und flüssigen Kurven passen da die 'Bus Stop'-Schikane auf Höhe der Boxeneinfahrt sowie die 'La Source'-Haarnadelkurve am Ende der Start- und Zielgerade, die zwar mit ihren 60 km/h eine gute Überholmöglichkeit darstellt, in der es aber auch immer wieder zu Unfällen kommt.

'Eau Rouge' Herausforderung für Fahrer und Ingenieure

Die berühmteste Senke der Welt ist nicht nur eine Mutprobe, sondern auch für die folgende Gerade wichtig, denn wer schnell durch sie fährt, der kann am Ende der folgenden langen Geraden überholen ? oder wird überholt, wenn er zu langsam war. Dennoch darf man das Auto nicht auf die 'Eau Rouge' alleine abstimmen sondern muss Kompromisse eingehen, will man auf die gesamte Runde gesehen schnell sein.

Die Einzigartigkeit der 'Eau Rouge' ist die vertikale Belastung, die auf den Aufhängungen und den Fahrern lastet, da die Strecke abfällt und dann plötzlich wieder ansteigt, was das Auto nervös machen kann. "Man arbeitet in halben Millimeter-Schritten, um die richtige Balance zu finden", erklärt Ross Brawn, der Technische Direktor von Ferrari. "Das ist eine große Herausforderung, aber für einen Ingenieur ist es eine tolle Sache, wenn man das richtige Setup gefunden hat, da sich dies in großen Zeitunterschieden äußert."

Auch für die Fahrer ist diese Kurve eine Herausforderung. Sie fahren häufig mit Vollgas durch, tippen dabei aber gleichzeitig die Bremse an, um das Auto ein wenig zu stabilisieren. Aus diesem Grund kann das reine Hören auf den Motor täuschen, nicht jedoch das "Macho-Meter", das die Ausgangsgeschwindigkeit am Ende von 'Eau Rouge' angibt: "Jedes Mal, wenn ein Fahrer eine schnelle Runde in Spa fuhr, ist das erste, was er wissen will, die Ausgangsgeschwindigkeit von 'Eau Rouge'", grinst Ross Brawn.

Da die Autos je nach Gewicht mehr aufsetzen, muss im Qualifying ein anderes Setup als im Rennen verwendet werden, wo mehr Gewicht an Bord ist. Eine schnelle Durchfahrt in der 'Eau Rouge' ist auch längst nicht alles, denn es gibt langsamere Kurven, wo mehr Flügel verlangt wird. Die Randsteine sollte man auf der Strecke besser nicht verwenden, mit Ausnahme in der engen Schikane 'Bus Stop', die allerdings für dieses Jahr modifiziert wurde, so dass diese Anforderung zum größten Teil wegfällt.

Eher mehr als wenig Flügel

Obwohl Spa eine Hochgeschwindigkeitsstrecke ist, wird man mit mittlerem bis viel Abtrieb ausrücken. Und wenn das Wetter wechselhaft ist, kann es sich als goldene Entscheidung auszahlen, im Trockenen mit einem Regensetup losgefahren zu sein. Aus diesem Grund sind auch Zwei-Stopp-Rennen Gang und Gebe, da man wegen dem häufigen Regen meist sowieso stoppen muss.

Bei wechselhaftem Wetter muss man einen Kompromiss eingehen und so kann man bei einsetzendem Regen den Frontflügel nur so verstellen, dass das Auto auf der Geraden um 3 km/h langsamer wird, ansonsten würde man das komplette Setup aus der Balance werfen. Ein reines Regensetup wäre auf der Geraden um rund 15 km/h langsamer als ein Trockensetup.

Rennen mit großer Tradition

Das erste Rennen in Spa sollte 1921 ausgetragen werden, doch es meldete sich nur ein einziger Starter. Das erste Autorennen in den Ardennen gab es deshalb erst 1922.Die Formel 1 gastiert schon seit 1950 in Spa, seitdem wurden dort 36 Rennen ausgetragen. 1950 siegte nach 492,8 Kilometern Juan Manuel Fangio auf Alfa Romeo. Der Argentinier wiederholte diesen Erfolg zweimal - 1954 auf Maserati und 1955 auf Mercedes. Bis 1970 wurde auf einer 14,08 Kilometer langen Strecke gefahren, die überwiegend aus öffentlichen Straßen bestand. 1972 und 1974 startete die Formel 1 in Nivelles bei Brüssel, 1973 und von 1975 bis 1982 sowie 1984 war Zolder der Austragungsort des Belgien-GP.

So richtig Formel-1-tauglich wurde der Kurs beim Comeback 1983, als man den Kurs auf 6,949 Kilometer Länge kürzte. Sogar die "alten Hasen" konnten sich mit dem neuen Spa anfreunden. Einzigartig in 1983: Start und Ziel lagen 660 Meter auseinander. Weil die eigentliche Start-Ziel-Gerade zu abschüssig war und die Formel-1-Fahrer gleichzeitig Gas, Bremse und Kupplung hätten bedienen müssen, wurde, wie immer seitdem, auf der Geraden vor der Spitzkehre La Source gestartet, das Ziel lag jedoch erst hinter dieser Kurve.

Seit 1985 gastiert die Formel 1 ununterbrochen auf dem belgischen Kurs, seitdem hat man den Kurs fünf Mal modifiziert, jedoch jeweils nur um ein paar wenige Meter. Erst seit 1985 wird auch die Zielflagge vor La Source geschwenkt. In jenem Jahr konnte der Belgien-Grand-Prix erst im zweiten Anlauf durchgeführt werden: Weil sich der damals neu aufgetragene Belag als zu rutschig erwies, wurde die Veranstaltung nach dem Training abgesagt und verschoben.

Mit fünf Siegen sind Ayrton Senna und Michael Schumacher die erfolgreichsten Fahrer vor Jim Clark (vier Siege), Juan Manuel Fangio und Damon Hill (beide drei Siege). Bemerkenswert: Während Fangio und Senna die Statistik mit vier Pole Positions anführen, konnte Michael Schumacher in Spa noch nie von ganz vorne ins Rennen gehen. Bei den Teams liegen Ferrari und McLaren mit acht Triumphen gleich auf vor Lotus (fünf Siege) und Williams (drei Mal auf dem ersten Platz). Nach Punkten ist Michael Schumacher mit 62 Zählern vor David Coulthard mit 22 Punkten der mit Abstand erfolgreichste Fahrer im Feld.

Zur Geschichte

Die Bezeichnung Ardennen geht auf den Namen der keltischen Jagd- und Waldgöttin - Arduinna - zurück. Die Ardennen sind eines der größten zusammen hängenden Waldgebiete Europas und erstrecken sich durch Belgien, Luxemburg und einen kleinen Teil Frankreichs - von der Eifel im Osten bis zur Maas im Westen.

Erste Siedlungen der Kelten in den Ardennen gab es bereits im 7. Jahrhundert vor Christus. Die Römer haben sich später weitgehend aus dem wilden Bergland heraus gehalten und siedelten hauptsächlich am Ardennenrand. Durch ihre Lage zwischen mehreren Herrscherhäusern im früheren Europa gehörten die Ardennen im Laufe der Jahrhunderte mal der einen, mal der anderen Seite. In Malmédy nahe der Rennstrecke erinnern daran heute noch die zweisprachigen Straßenschilder.

Schon früh haben sich die Belgier und ihre Nachbarn um den Erhalt der Natur in den Ardennen bemüht. Heute gibt es im belgischen Bereich der Wälder 16 Naturschutzgebiete, in denen für Besucher nur bestimmte Wege frei gegeben sind.

Sehenswürdigkeiten

Ende des 19. Jahrhunderts war Spa ein Bade- und Kurort von Weltruf. Noch heute steht das Wörtchen Spa in der englischen Sprache für Kurort oder Heilwasser. Die Thermalbäder am 'Place Royale' kann man besichtigen, ebenso den 'Pouhon Pierre le Grand', den Brunnen, der nach Zar Peter dem Großen benannt ist.

In 'Stavelot' steht das Museum der Rennstrecke von Spa-Francorchamps, in dem die Geschichte vor allem des alten Kurses noch einmal lebendig wird. In 'Malmédy' steht die ehemalige Abteikirche mit zwei von Kuppeln gekrönten Türmen. Im Inneren sind die Madonna aus dem 18. Jahrhundert und ein vergoldetes Reliquiar von 1698 sehenswert.

Essen und Trinken

"Schumi, Fritten und Bier, darum sind wir hier", hieß es vor zwei Jahren auf einem Fan-Plakat und damit haben die deutschen Fans gar nicht so unrecht. Neben den bekannten belgischen Pommes Frites ist das Land auch für die über 300 verschiedene Biersorten berühmt. Die meisten davon gibt es im 'Mort Subite' in der rue de Montagnes 7 aux Herbes Potagères in Brüssel, ein echtes Szenerestaurant, wo sich die Schönen der Stadt und viele Businesskunden die Klinke in die Hand geben.

Die belgische Hauptstadt ist ohnehin ein gutes Ziel für Partylöwen und Nachtschwärmer. So finden sie in Brüssel an der Place Rouppe 23 das 'comme chez soi', eines der besten Restaurants des Landes. Dort gibt es Gourmetküche bis spät in die Nacht, angenehmes Publikum mit vielen hübschen Frauen und gesalzene Preise. Hier zählt das Sehen und Gesehen werden. Fast logisch, dass das 'comme chez soi' auch Formel-1-Fahrer wie Jacques Villeneuve oder Eddie Irvine, die hier in unregelmäßigen Abständen auftauchen, anzieht.

Cocktails, Cohiba und Klavier

Ein Drink nach dem Dinner ist immer gut. Die beste Location in Brüssel zu später Stunde ist die Pianobar 'L'Archiduc' in der Rue Antoine Dansaert 6. Hier hauen begnadete Musiker wie Tori Amos oder Espen Lind in die Tasten. Im 'L'Archiduc' kann man genüsslich an einem sehr guten Whisky nippen und sich die passende Zigarre reichen lassen. Übrigens: Wer die Liebste daheim für das entgangene Wochenende ("Immer bist du unterwegs!") entschädigen will, sollte in der Chocolaterie 'Gallier' in der Rue de la Station 39 ein paar leckere Trüffel einkaufen.