• 18.08.2006 11:28

Von Bits und Bytes in der "Königsklasse des Motorsports"

Ohne die Informationstechnologie würde sich in der modernen Formel 1 kein Rad mehr drehen - ein Blick hinter die Kulissen

(Motorsport-Total.com) - Informationstechnologie - oder kurz IT - spielt in der heutigen Zeit in fast jedem Lebensbereich eine Rolle. In beinahe allen elektrischen Geräten, die wir zu Hause oder im Büro nutzen, versteckt sich IT-Technik - ob dies im einfachen Toaster oder im Auto ist. Selbst in Energiesparlampen hat die IT Einzug gefunden. Auch dieser Text wird von Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach dank IT-Technologie gelesen, ob am PC-Monitor oder nach dem Ausdruck mithilfe eines Druckers.

Titel-Bild zur News: MF1 Racing-Ingenieure

MF1 Racing-Ingenieure bei der Datenanalyse auf der Startaufstellung

Es ist also keine Überraschung, dass IT auch beim Betrieb eines Formel-1-Teams eine wesentliche Rolle spielt. Dabei geht es nicht nur um die Laptops, die die Rennställe rund um den Globus mitnehmen, sondern auch um TV-Bildschirme, Netzwerke, Telefone, mobile Kommunikationslösungen und sogar die Tonerkartuschen, die in den Laserdruckern zum Einsatz kommen.#w1#

Beim russischen Rennstall MF1 Racing ist Adrian Collinson für die Informationstechnologie verantwortlich. Er leitet ein kleines aber effizientes Team, das in der Fabrik und im Windkanal in England sowohl dem Renn- als auch dem Testteam eine Vielzahl von IT-Services zur Verfügung stellt, egal, wo es sich gerade auf der Welt befindet.

Preisfrage: Welche Abteilung kommt ohne IT aus?

Auf die Frage, welche Abteilungen des Teams sich auf die Informationstechnologie verlassen, reagiert Collinson auf der Internetseite des Teams mit einem Lächeln: "Es ist einfacher, die Frage zu beantworten 'Welche Abteilungen verlassen sich nicht auf die Informationstechnologie?'. Die Wahrheit ist, dass IT in jeder Beziehung im Unternehmen eine Rolle spielt - vom Design des Autos, der Herstellung von Teilen, über die Lagerhaltung bis hin zur Buchhaltung. Sogar die LKW-Fahrer nutzen diese für die Belegung der Garagen. Sie wird grundsätzlich für alles verwendet. Die IT ist eine der vielen unbesungenen Helden in jedem Unternehmen."

Ein kleines aber feines IT-Team

Zusammen mit Collinson arbeiten Avid Lippiatt, der das Fabrik- und das Testteam unterstützt, Robert Hardwidge, der nur für das Rennteam zuständig ist, Katie Hanna, die sich um den Help Desk kümmert, sowie Jonathan Ruffley, der Computer Aided Design-Support (CAD) bietet. Die fünf Mitarbeiter des IT-Teams kümmern sich um mehr als 200 Anwender im Team, die insgesamt 300 PC-, Laptop- und Server-Rechner nutzen.

Technik von der Stange ist Trumpf

MF1 Racing-Kommandostand

Alles im Blick: Auf dem Kommadostand laufen wichtige Daten zusammen Zoom

Das Team verwendet hauptsächlich standardisierte Computer von der Stange als Rückgrat des IT-Systems anstatt spezialisierte Computer-Technik zu verwenden, die zu teurer maßgeschneiderter Hardware führt. Der große Vorteil dieser Strategie ist die Tatsache, dass die Teile und Ersatzteile gut zur Verfügung stehen und bedeutend billiger sind als ihre maßgeschneiderten Äquivalente.

"Schauen wir uns zum Beispiel einmal das Aerodynamik-Design an, das unter Verwendung von Computational Fluid Dynamics (CFD) erledigt wird. Man möchte vielleicht den Luftfluss über einen Flügel oder die Airbox untersuchen. Auch wenn diese Berechnungen eine beträchtliche Menge an Rechenleistung erfordern, ist es eher die Frage, wie du Spezialsoftware und nicht, wie du Spezialhardware für diese Art von Arbeit verwendest."

Verteiltes Rechnen lautet das Zauberwort

"Die Software, die wir verwenden, teilt die Aufträge in kleinere Teile auf, die dann auf individuellen Maschinen weitergegeben werden, welche die Berechnung durchführen und das Ergebnis erneut zusammenführen. Die Computer, die in diesem Beispiel Verwendung finden, sind alles übliche Arbeitsstationen. Für das CAD-Design verwenden wir die gleichen Maschinen, die allerdings mit High-End-Grafikkarten ausgerüstet sind."

"Die spezialisiertere Hardware befindet sich im Hintergrund. Die ganzen Daten des Teams müssen irgendwo gespeichert werden, aus diesem Grund haben wir für die Datenspeicherung ein Storage Area Network." Kurz zur Erläuterung: Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Festplatten, auf die zentral von den einzelnen Arbeitsstationen zugegriffen werden kann. Von diesen Daten können dann auch zentral Sicherheitskopien erstellt werden, sodass nicht jede Arbeitsstation gesichert werden muss.

Es geht nicht ohne Spezial-Software

"Natürlich gibt es auch maßgeschneiderte Software im Windkanal und wir haben ein paar maßgeschneiderte Software-Systeme für Strategieanalysen", so David Lippiatt. "Das ist keine Art von Software, die man im Normalfall im Software-Laden findet."

MF1 Racing-Ingenieure

Die Laptops müssen auch unter widrigen Bedingungen funktionieren Zoom

"In der Garage sind wir aufgrund der einzigartigen Ausrüstung sogar noch spezialisierter", so Collinson. "In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal Ausrüstung einer Firma aus den USA verwendet, die sich 'Technology Advancement Group' (TAG) nennt, die sich auf das Design und den Bau von Computern für das Militär und den Betrieb unter widrigen Bedingungen spezialisiert hat. Sie stellen eine große Palette von Servern bis hin zu widerstandsfähigen Laptops her. Damit sind wir für extreme Bedingungen wie in Bahrain mit der extremen Hitze und dem Sand, oder in Malaysia mit seiner Luftfeuchtigkeit gut gerüstet."

Kohlefaserstaub: Der Albtraum eines jeden IT-Technikers

"Die Computer, die wir in der Garage verwenden, sind entwickelt, um unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Die Schaltkreise und die Gehäuse sind so entwickelt, dass sie mit viel höheren Umgebungstemperaturen zurechtkommen. Die Systeme in der Garage sind auch intern isoliert, sodass sie mit dem Kohlefaserstaub leben können, der sich in der Garage befindet. Karbon, das elektrisch stark leitend ist, tendiert dazu, elektrische Ausrüstung zu beschädigen und in der Vergangenheit hatten wir aus diesem Grund viele Ausrüstungsdefekte."

"Wir haben unterbrechungsfreie Stromeinheiten in der Garage betrieben, die von der Stange kamen und explodierten. Ein Spezialist aus England - 'UPS Direct' - hat eine Lösung für MF1 Racing entwickelt. Dabei wird eine 19-Zoll-Rack-Einheit verwendet, die in einer versiegelten und klimatisierten Umgebung arbeitet. Man kann nun so viel Kohlefaserstaub haben wie man möchte. Das hat sich im Vergleich zur bisher verwendeten Installation als unglaublich zuverlässig erwiesen."

Öfter mal was Neues...

Die Informationstechnologie entwickelt sich schnell weiter und jeder, der sich schon einmal einen Computer gekauft hat, weiß, wie schnell dieser nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entspricht. In der Formel 1 trifft dies natürlich umso mehr zu, will man doch auf jedem Gebiet Fortschritte erzielen, um letztendlich auf der Strecke schneller zu sein.

"In jedem Jahr schauen wir uns die verschiedenen Bereiche der Garage an und fragen uns selbst 'Wie haben wir gearbeitet? Ist noch alles in Ordnung? Haben wir das Budget, um etwas zu ändern, oder können wir einen Partner finden, der uns dabei hilft?'", so Collinson.

MF1 Racing-Ingenieure

An der Rennstrecke werden die Daten aus dem Auto "gezapft" Zoom

"Zusammen mit 'TAG' haben wir zum Beispiel eine Installation an der Boxenmauer angeschaut. In der Vergangenheit bestand unsere Installation aus einer Kohlefaserbox mit einer Mischung aus Laptops und kleinen Desktop-PCs, die darunter montiert waren. Um sie zu warten, musste man ein komplettes Panel abmontieren. Das war keine ideale Lösung, aber das hatten wir zu diesem Zeitpunkt entwickelt."

Ganz Formel-1-like: Datenübertragung per Laser

"In diesem Jahr habe ich es mit neuen Leuten zu tun und wir hatten die Möglichkeit zu fragen, was wir ändern können und wie das ideale Setup aussieht. Wir entschieden uns, dass wir die IT-Komponenten physikalisch von der Boxenmauer selbst entfernen und sie in ein separates Rack einbauen, das alle TV-Tuner und Computer enthält. Die Boxenmauer-Installation wurde dann zu einem Framework mit ein paar Bildschirmen, Tastaturen und Mäusen. Die Daten werden durch die Boxengasse über eine Laser-Netzwerk-Verbindung transportiert."

"Langfristige" Planung ist das A und O

"Wenn wir eine Veränderung durchführen, dann versuchen wir, sie so 'zukunftssicher' wie möglich zu machen. Wir befinden uns nicht in der Lage, das Kit jedes Jahr zu ändern, denn dazu haben wir nicht das Budget. Wenn wir also eine Veränderung vornehmen, dann stellen wir sicher, dass sie für drei bis vier Jahre bestehen bleibt."

...nach Hause telefonieren

Christijan Albers im MF1-Windkanal

Die Daten aus dem Windkanal werden mit einem Grid berechnet Zoom

Zu schauen, dass die Computer-Systeme funktionieren, reicht nicht aus. Die IT-Abteilung muss sich auch um die Kommunikationslösungen des Teams kümmern: "Für unsere Kommunikation sind wir eine Partnerschaft mit 'STL' und 'Samsung' eingegangen, die zusammen eine komplette Sprache-Kommunikationslösung für das Team bereitstellen. 'STL' übernimmt die Wartung und Implementation und 'Samsung' stellt uns die Ausrüstung bereit."

"An der Rennstrecke mieten wir für gewöhnlich getrennte Leitungen für jede Veranstaltung, ISDN-Leitungen für alle Datenübertragungen und fünf bis sechs Leitungen für die verbale Kommunikation. Für jede Veranstaltung müssen wir aus diesem Grund einen Zettel verteilen, auf dem die zu wählenden Nummern aufgeführt sind."

Hightech reduziert den Aufwand und die Kosten

"Wir betreiben nun ein Virtual Private Network (VPN) über eine DSL-Leitung. Anstatt immer verschiedene Nummern für jedes Rennen zu kommunizieren ist dies nun immer die gleiche Nummer der Hauptschaltzentrale der Fabrik. Der Anruf wird durch das VPN über das Internet geroutet, unser Telefonsystem in Silverstone verwaltet dann alle Anrufe."

"Wenn du also in Bahrain bist und einen Lieferanten in England anrufst, dann fallen nur Kosten für das Telefonat von Silverstone zum Ziel an. Das Ergebnis ist, dass unsere Telekommunikationskosten gesunken sind. Das war in diesem Jahr eine beträchtliche Kostenersparnis. Nicht nur für die Telefonate, sondern auch für das Team, das nicht mehr für jede Veranstaltung zusätzliche Leitungen buchen muss."

"Der andere Kommunikationspartner des Teams ist 'T-Mobile'. Sie stellen uns alle mobilen Kommunikationen in Form von Handsets und ihren neuen 'web'n'walk'-Karten zur Verfügung. Das sind kabellose 3G/GPRS-Geräte, die an der Strecke verwendet werden, bis alle DSL-basierten Kommunikationen eingerichtet sind und funktionieren."

Big Brother mobil

"Seit dem April vergangenen Jahres nutzt das Team 'Blackberry'-Handseits von 'T-Mobile' und um ehrlich zu sein weiß ich nicht, wie wir jemals ohne sie auskommen konnten. Wir nutzen sie für dringende E-Mail-Kommunikation und auch für die Überwachung unserer Ausrüstung. Es ist ein Geschenk des Himmels, Echtzeit-Mitteilungen über Defekte an unserer Ausrüstung zu erhalten, selbst wenn man außer Büro ist."

Die IT macht vor dem Formel-1-Auto (fast) Halt

MF1-Racing-Toyota M16

An der Box kümmern sich die Elektronik-Experten um das Auto Zoom

Angesichts des großen Verantwortungsbereiches mutet es beinahe seltsam an, dass das IT-Team nichts mit dem Rennfahrzeug zu tun hat - zumindest direkt: "Diese Verantwortung fällt in die Hände der Elektronik-Abteilung", so Collinson. "Diese gehen mit der spezialisierten Ausrüstung im Auto um. Aber sie können nicht ohne die IT arbeiten. Die Autos können ohne sie nicht zusammengebaut, entwickelt oder sogar betrieben werden."

Wie wichtig ist also die IT für MF1 Racing? "Der Job ist nicht anders im Vergleich zu jenem bei Ferrari, McLaren oder Toyota. Es müssen die gleichen Aufgaben erledigt werden. Wir müssen das Auto immer noch designen und bauen und es testen. Es ist nur so, dass wir das mit weniger Leuten erledigen."

"Aufgrund der Tatsache, wo wir in der Startaufstellung stehen, denken wir, dass wir unser Geld und unsere Ressourcen viel effektiver nutzen. Die zusätzlichen IT-Ressourcen, über die die anderen Teams verfügen, werden nicht mit einem großen Vorteil auf der Strecke gleich bewertet. Es geht mehr darum, wie man sie nutzt: Man muss den besten Nutzen mit den richtigen Kosten erzielen."