Villeneuve: Mit Brille, Charme und Sandalen...
1996 startete er auf Pole Position in die Formel 1, doch in all den Jahren danach hat sich Jacques Villeneuve als Charakterkopf nicht nur Freunde gemacht
(Motorsport-Total.com) - Er kam als Goldjunge in die Formel 1: In seinem allerersten Qualifying in der Königsklasse stellte Jacques Villeneuve 1996 in Australien seinen Williams-Renault auf die Pole Position. Im ersten Anlauf den ersten Startplatz zu holen, das war vor ihm nur Mario Andretti und Carlos Reutemann gelungen. Als Neuling kämpfte Villeneuve in jenem Jahr sofort um die Weltmeisterschaft und wurde der härteste Konkurrent seines Teamkollegen Damon Hill. Nur eine fehlerhaft montierte Ölleitung vermochte den jungen Kanadier davon abzuhalten, damals in Melbourne seinen allerersten Formel-1-Grand-Prix als Sieger zu beenden.

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Jacques Villeneuve gilt als einer der wenigen Fahrer mit Ecken und Kanten
Im vierten Anlauf gelang der erste Sieg. Drei weitere folgten in der Saison 1996, außerdem zwei weitere Pole Positions und sechs schnellste Rennrunden. Nur ein Jahr später wurde Villeneuve Weltmeister. Die Art und Weise, wie er Michael Schumacher 1997 im portugiesischen Estoril in der letzten Kurven auf der Außenbahn überholte und das Manöver, das in 'Dry Sack', der Kurve sechs in Jerez, zu der umstrittenen Kollision führte und Villeneuve zum Meister machte, zählen zu den berühmtesten und am heißesten diskutierten Aktionen der jüngeren Grand-Prix-Geschichte.#w1#
Anpassung war für Villeneuve schon immer ein Fremdwort
Villeneuve hat sich um Angepasstheit nie geschert. Schon zu seiner Formel-3-Zeit gab er außerhalb des Cockpits nicht den smarten Athleten. Er trug einen langen Pferdeschwanz, Nickelbrille, Sandalen und einen verschmitzten Charme. Der Medienrummel in der Formel 1 brachte unvermeidlich die häufig wiederkehrenden Fragen nach seinem berühmten Vater mit sich. Ob er denn in die Fußstapfen der Lichtgestalt Gilles Villeneuve treten wolle, jenes Ferrari-Piloten der späten 70er und frühen 80er Jahre, der im Mai 1982 im Training zum Großen Preis von Belgien in Zolder tödlich verunglückt war. Doch der junge Villeneuve diktierte nicht die begehrten glorifizierenden und romantischen Sätze in die Notizbücher, die entsprechend enttäuscht weggepackt wurden.
Stattdessen sagte er mit verblüffender Direktheit exakt das, was er dachte. Diese kompromisslose Aufrichtigkeit hat ihm mehr als einmal Ärger eingebrockt. Vor allem dann, wenn er sich bezüglich der Sporthoheit FIA kein Blatt vor den Mund nahm. Vor dem Großen Preis von Kanada 1997 wurde er aus der Heimat zur FIA nach Paris zitiert - kurz vor dem Rennen auf jener Strecke in Montréal, die den Namen seines Vaters trägt und wo auch der junge Villeneuve eine große Anhängerschaft hat.
In Montréal im Staate Quebec wird überzeugt Französisch gesprochen. Dass Villeneuve bei der Namensgebung seines Restaurants, ein In-Lokal in der quirligen Innenstadt, ausgerechnet die englische Übersetzung 'Newtown' wählte, wirkte wie Rebellion. Villeneuve kratzt so etwas nicht: "Ich habe immer meine Meinung gehabt und gesagt. Ich bin einfach so erzogen worden, zu sagen, was ich fühle. Weshalb sollte ich mich anders verhalten?"
Ehrlichkeit und Ehre sind ihm wichtig, zwei Säulen seines Charakters. Oft wird er als Außenseiter beschrieben. Aber wer einmal verstanden hat, was ihm wichtig ist, erhält ein stimmiges Bild. Abgesehen von seiner freien Meinungsäußerung pflegt er im Sport auch ethische Werte, auf die sein Vater wohl stolz gewesen wäre. Für beide, Vater und Sohn, schien die Art und Weise, wie man in einem Rennen kämpft, oft wichtiger als das Resultat. Und wie sein Vater war auch für Jacques Villeneuve immer ein zentrales Thema, wie man seine Position im Rennen verteidigt. Korrektheit und Fairness gehören zu seinem Selbstverständnis als Rennfahrer. Man wird in seiner langen Karriere mit elf Siegen und einem Weltmeistertitel schwerlich eine unsportliche Attacke gegen einen Konkurrenten finden.
Villeneuve geht eigene Wege mit dem Setup
Ebenso klare Vorstellungen hat er davon, wie sein Auto abgestimmt zu sein hat. Er arbeitet gern und eng mit den Ingenieuren zusammen. In seiner Zeit bei Williams eckte er mit seinen Ideen an, aber er war unbestreitbar schnell und stark, wenn er seinen Willen durchgesetzt hatte.

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Jacques Villeneuve folgte seinem Manager Ende 1998 von Williams zu BAR Zoom
Ende 1998 verließ Villeneuve Williams. Es zog ihn zu dem gerade auf dem alten Fundament des Tyrrell-Teams gegründeten Team BAR. Seine Kritiker sagten, er habe das nur des Geldes wegen getan. Für Villeneuve spielte die Loyalität zu seinem langjährigen Freund und Manager Craig Pollock die größere Rolle. Er glaubte an Pollocks Traum und war mutig genug, ihm zu folgen. Chancen zu ergreifen, etwas Neues zu wagen und auszuprobieren, das liegt ihm.
Mit dieser Courage hatte er sich bereits in den US-Rennsport gestürzt und 1995 die 500 Meilen von Indianapolis sowie den Titel in der IndyCar-Serie gewonnen. So fährt er Ski, und selbst die Vielfältigkeit der Musik, die er hört, reflektiert die Offenheit für Unterschiedliches und Neues.
Villeneuves Zeit bei BAR war wenig befriedigend. Das junge Team hatte noch viele Formel-1-Lektionen zu lernen. Es gab ein paar Podiumsplätze, aber mehr Enttäuschungen für einen Rennfahrer, der bewiesen hatte, dass er das Zeug zum Champion hat. Die größte Frustration kam zum Schluss: Ende 2003, noch vor dem Finale in Japan, hatte Villeneuve das Team verlassen. Danach setzte endlich der ersehnte Fortschritt ein.
Nachdem er fast die gesamte Saison 2004 Zuschauer gewesen war, fuhr er noch die letzten drei Rennen als Teamkollege von Fernando Alonso bei Renault. Zuvor hatte er einen Zweijahresvertrag bei Peter Sauber ab 2005 unterschrieben, der ihn 2006 zu BMW führte.
Katastrophales Comeback Ende 2004 und Anfang 2005
Auch ein ehemaliger Weltmeister steckt eine Auszeit nicht einfach so weg. 2005 wurde vor allem die erste Saisonhälfte schwierig. Die Weiterentwicklung des C24 brauchte ihre Zeit, oftmals verschleierten auch unterschiedliche Tankstrategien für Villeneuve und seinen jungen Teamkollegen Felipe Massa in Qualifying und Rennen den direkten Vergleich. Aber Villeneuve war nicht daran gelegen, persönliche Defizite zu verbergen: "Das Herz vergisst, wie man mit dem hohen Speed umgeht", erklärte er, als er nach seiner Fitness gefragt wurde. "Wenn man wieder richtig schnell fährt, geht der Puls anfangs um 20 Schläge oder mehr nach oben. Erst mit der Gewöhnung pendelt er sich wieder auf eine gute Frequenz ein."
Es folgten harte Kritik in den Medien und Gerüchte, er würde seinen Platz verlieren, noch ehe die Saison vorbei sei. Villeneuve verkraftete beides mühelos: "Das ist in Ordnung", sagte er, "ich habe in diesen Dingen jahrelanges Training. Man lernt, nicht zu lesen, was über einen geschrieben wird. Es ist viel besser, es nicht zu tun. Wenn ich es nicht gesehen habe, kann ich mich auch nicht darüber aufregen. Solange ich hart arbeite und es intern keine Probleme gibt, interessiert mich nicht besonders, was in der Zeitung steht. Ich fahre Rennen, weil ich den Rennsport und den Wettbewerb liebe. Ich mag nicht hinterherfahren, also arbeite ich immer so hart wie ich kann, um weiter nach vorn zu kommen."
Wenn man ihn fragt, woher die Unterlegenheit 2005 kam, sagt er: "Ich denke, wir sind einfach zu wenig gefahren. Die Testfahrten im Winter waren nicht sehr aufschlussreich, weil wir zu wenige Kilometer zurückgelegt haben. Und der Test, bei dem wir uns auf die Abstimmung konzentrieren wollten, versank im Schnee. Hinzu kam die Regel, dass ein Motor zwei Grand-Prix-Wochenenden halten musste und unser Budget nicht zuließ, freitags ein drittes Auto einzusetzen. Man ist weder Freitag noch Samstag viel gefahren. Es war bloß das Minimum an Runden, um Reifen auswählen zu können. Für die Abstimmung blieb zu wenig Zeit."
Für 2006 sieht Villeneuve bessere Perspektiven. BMW investiert in das Team. Er ist überzeugt, dass er noch das Zeug dazu hat, um in dem Sport, den er liebt, vorne zu sein: "Wenn ich das nicht fühlen würde", sagt er, "würde ich zuhause bleiben."

