• 27.10.2012 15:17

Vettel: "Es gibt vorher kein Drehbuch"

Sebastian Vettel warnt nach seiner überlegenen Vorstellung am bisherigen Indien-Wochenende vor zu großer Euphorie: "Uns steht ein langes Rennen bevor"

(Motorsport-Total.com) - Mit seiner fünften Pole-Position der laufenden Saison brachte sich Sebastian Vettel in die optimale Ausgangsposition für den 17. von 20 Saisonläufen im Kampf um den Weltmeistertitel 2012. Hauptgegner Fernando Alonso (Ferrari) steht beim Start zur zweiten Auflage des Grand Prix von Indien vier Plätze hinter dem Red-Bull-Piloten, der auch bei der Indien-Premiere vor zwölf Monaten auf die Pole-Position gefahren war und anschließend einen ungefährdeten Sieg nach Hause fuhr.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Weltmeister Sebastian Vettel ist derzeit die Nummer eins im Formel-1-Geschäft Zoom

Im Interview spricht Vettel über das Qualifying aus seiner Sicht, über den Grund, warum Red Bull derzeit stärker wirkt als Ferrari, über seine Pläne für die erste Kurve, über die Herausforderungen der Strecke und über sein vermeintliches Erfolgsgeheimnis.

Frage: "Sebastian, Bestzeit in allen drei Freien Trainings und nun die Pole-Position. Das Wochenende hätte für dich bisher nicht besser laufen können. Siehst du es als ersten Schritt in Richtung WM-Titel?"
Sebastian Vettel: "Nun, man darf nicht vergessen, dass es ein enges Qualifying war - speziell am Schluss. Bei meinem ersten Versuch in Q3 machte ich in Kurve vier einen Fehler und musste die Runde abbrechen. So sah unser Plan ganz sicher nicht aus. Bis dahin hatten wir in der Tat ein ziemlich gutes Qualifying. Wir haben uns dann entschieden, noch einmal auf die Strecke zu gehen, hatten dafür aber nur noch einen Reifensatz zur Verfügung. Glücklicherweise habe ich die Runde dann zusammenbekommen. Hier und da hätte ich wohl noch etwas schneller fahren können. Speziell in Kurve vier war ich sehr vorsichtig, um sicherzustellen, dass die Räder nicht noch einmal blockieren. Insgesamt war es bisher ein großartiges Wochenende. Es gab überhaupt keine Probleme am Auto. Wir dürfen aber nicht nachlassen. Uns stehen noch eine Menge wichtige Rennen bevor und wir müssen die Sache Schritt für Schritt angehen. Heute war das Qualifying, das wir mit einem guten Ergebnis abgeschlossen haben. Jetzt konzentrieren wir uns auf das Rennen."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Indien


Frage: "Wie verlief das Qualifying im Detail?"
Vettel: "Ich wusste im ersten Moment nicht, ob es für die Pole gereicht hat. Ich blieb noch lange im Auto sitzen und habe relativ lange am Funk zugehört. Ich habe dann zwar das Ende einigermaßen mitbekommen, wusste aber nicht, ob es wirklich so war oder ob nicht doch noch einer kommt. Die Freude ist ganz klar da. Meine erste Runde im dritten Qualifying-Abschnitt war mit dem Verbremser in Kurve vier nicht ganz so der Hit. Im zweiten Versuch habe ich es dann besser gemacht. Ich war vielleicht ein bisschen zu vorsichtig, aber unterm Strich war es gut genug für die Pole. Deswegen bin ich natürlich sehr zufrieden."

Frage: "Wie war das nachdem du in Q3 den ersten Versuch in den Sand gesetzt und dann gewusst hast, dass du noch einen zweiten hast?"
Vettel: "Ich war natürlich nicht so zufrieden mit meinem ersten Schuss. Ich wusste aber natürlich, dass ich noch einen zweiten habe. Ich habe dann nicht groß darüber nachgedacht, sondern kam herein. Wir haben die Reifen gewechselt und sind relativ früh raus, um nicht in Verkehr zu kommen. Das war richtig, denn so konnten wir für uns selbst eine saubere Runde fahren."

Teamarbeit macht den Unterschied aus

Frage: "Du standst hier schon im vergangen Jahr auf der Pole-Position und konntest anschließend das Rennen gewinnen. Diesmal stehst du vier Plätze vor dem Hauptgegner Fernando Alonso. Was sagst du dazu?"
Vettel: "Ich glaube nicht, dass das viel bedeuten muss. In den Rennen kann heutzutage so viel passieren. Natürlich bin dich glücklich darüber, auf der Pole zu stehen. Das ist die beste Ausgangsposition überhaupt. Wenn man Mark und Lewis fragen würde, dann würden sie mit Sicherheit auch lieber auf der Pole stehen. Ich bin glücklich mit der Pole, aber morgen steht uns ein langes Rennen bevor."

Frage: "Helmut Marko hatte vor dem Qualifying mehr von Fernando Alonso erwartet als Startplatz fünf. Wie sieht es bei dir aus, hast du auch mehr von ihm erwartet?"
Vettel: "Für uns ist es schwer zu sagen, wer wie viel leisten kann im Qualifying. Man versucht am gesamten Wochenende, seine Karten ein bisschen für sich zu behalten. Wir selbst hatten gestern ein gutes Gefühl, haben aber über Nacht noch einen Schritt gemacht, was wichtig war. Dafür geht ein Riesendank an die Fabrik in Milton Keynes. Dort haben sie uns tatkräftig unter die Arme gegriffen. So etwas macht dann vielleicht den kleinen, aber feinen Unterschied aus. Ich möchte meine Position derzeit mit niemandem tauschen. Was die anderen machen, hat man ohnehin nicht in der Hand."

"Wir fahren gegen die anderen nicht als One-Man-Show, sondern als Team." Sebastian Vettel

Frage: "Nervt ein Spruch wie von Fernando Alonso, der gesagt hat, dass er mehr gegen Adrian Newey als gegen dich kämpft?"
Vettel: "Ich denke, wir fahren gegen die anderen nicht als One-Man-Show, sondern als Team. Adrian ist genauso Teil des Teams wie Mark und ich und alle anderen, die dabei sind. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Da jetzt abzuwägen, wessen Teil größer ist, wäre meiner Ansicht nach nicht fair. Man muss nur einmal in die Garage schauen: Da ist jeder bereit, wirklich alles zu geben, auch wenn es gerade hier ein schwieriges Wochenende ist und der eine oder andere ein bisschen mit der Gesundheit zu kämpfen hat. Trotzdem lässt sich das keiner anmerken. Jeder ist vollkommen da und bereit, alles zu geben. Ich glaube, das macht unterm Strich den Unterschied."

Kein Drehbuch für die erste Kurve

Frage: "Dein Teamkollege Mark Webber steht direkt neben dir. Wie sieht das Drehbuch für die erste Kurve morgen aus?
Vettel: "Das wird morgen geschrieben. Das das Gute bei uns ist, dass es vorher kein Drehbuch gibt. Natürlich hat man das eine oder andere Szenario im Kopf, aber letzten Endes kommt es eh anders. Deswegen lohnt es sich nicht, sich zu sehr zu 'verkopfen'. Ich schaue, dass ich einen guten Start habe und gut wegkomme. Was die anderen angeht, das kann ich nicht beeinflussen. Deswegen schaue ich auf mich. Es wird ein langes Rennen, in dem viel passieren kann. Gesten waren die Longruns ein bisschen überraschend. Die Reifen haben doch bei allen sehr gut gehalten und alle waren sehr eng beieinander - McLaren, Ferrari, wir selbst, Lotus, sogar Williams war relativ schnell. Morgen könnte es ein enges Rennen werden."

Frage: "Hat sich Red Bull mit McLaren abgesprochen, dass ein Puffer zu Ferrari gebildet wird?"
Vettel: "Ich glaube, alle Absprachen sind meistens kläglich gescheitert. Deswegen fahren wir einfach drauf los und der Rest wird sich zeigen. Natürlich ist es besser, dass Fernando hinter mir startet, das muss aber noch nicht viel heißen. Wir haben in diesem Jahr die unterschiedlichsten Rennen erlebt. Manche waren langweilig und es nichts passiert. Andere waren von der ersten bis zur letzten Runde ziemlich spektakulär. Wenn Fernando einen Megastart hinlegt und in der ersten Kurve Erster ist, dann macht seine Startposition keinen Unterschied. Wir werden sehen, was passiert."

Strecke lässt keine Fehler zu

Frage: "Es gab im gesamten Verlauf des Wochenendes zahlreiche Dreher. Wird es morgen ein anstrengendes Rennen werden?"
Vettel: "Grundsätzlich ist die Strecke in einem deutlich besseren Zustand als im vergangenen Jahr. Die Strecke wurde seitdem vernünftig gereinigt und war vom ersten Training an bereit. Im Laufe eines Wochenendes verändert sich das Griplevel dennoch sehr stark und der Kurs wird schneller. Wenn dann im Qualifying alle mit frischen Reifen auf die Strecke gehen, fallen die Zeiten nochmals. Wenn man so wie ich heute einen Tick zu spät auf der Bremse ist, dann kriegt man die Kurve nicht mehr und verliert viel Zeit. An anderen Stellen verliert man vielleicht das Heck und das Auto bricht aus. Bis hin zum Dreher ist alles möglich. Man darf sich an keinem Punkt zu sicher fühlen - egal in welcher Position man ist."

Frage: "Wie nahe an 100 Prozent ist das Red-Bull-Paket?"
Vettel: "Wir hatten ein sehr gutes Wochenende und haben von gestern auf heute nochmals einen Schritt nach vorn gemacht. Wir versuchen natürlich, immer weiter Gas zu geben. Es kommen weitere kleine Neuigkeiten ans Auto. Da ist natürlich immer die Frage, ob die auch so funktionieren wie erwartet. Wir haben hier einen kleinen Schritt nach vorn machen können und das wollen wir jetzt natürlich auch ins Rennen tragen. Der Rest wird sich zeigen. Man darf nie aufhören zu arbeiten - sowohl an sich als auch am gesamten Team. Momentan ist die Stimmung sehr gut und jeder ist bereit, alles zu geben. Hoffentlich macht das dann auch morgen den Unterschied."

Indien als zweiter "Heim-Grand-Prix"

Frage: "Können wir den Grand Prix von Indien anhand einer Leistungen im Vorjahr und auch an diesem Wochenende nun als dein Heimrennen bezeichnen?"
Vettel: "Indien ist ziemlich weit weg von meinem Heimatland, aber der Kurs gefiel mir vom ersten Freien Training im vergangenen Jahr an. Der erste Sieger in Indien zu sein, das war schon etwas Besonderes. Das Ziel ist natürlich, in diesem Jahr erneut zu gewinnen. Wir müssen abwarten, was passiert, aber die Strecke kommt unserem Auto ganz offensichtlich entgegen."

"Das Auto ist kein Pferd. Man verliert auch mal Öl oder Benzin, aber das riecht besser, als wenn ein Pferd etwas verliert." Sebastian Vettel

Frage: "Nach deinem Sieg in Japan gabst du deinem Auto einen Klaps wie es Reiter mit ihren Pferden machen. Ist die persönliche Verbindung zu deinem Auto dein Erfolgsgeheimnis?"
Vettel: "Das Auto ist kein Pferd. Man verliert auch mal Öl oder Benzin, aber das riecht besser, als wenn ein Pferd etwas verliert. Abgesehen davon gibt es natürlich eine Verbindung zwischen Auto und Fahrer. Im Qualifying oder auch im Rennen sind wir quasi auf uns alleingestellt. Es gibt zwar die Funkverbindung zum Team, aber im Grunde dreht es sich um einen selbst und das Auto. Wenn etwas nicht wie gewünscht läuft, kann man nicht einfach hereinkommen und eine Veränderung vornehmen lassen. Man muss es dann mit seinem Auto ausmachen. Wenn man nach einem guten Rennen als Erster über die Ziellinie fährt, dann ist man natürlich zufrieden und dankt dem Auto. Auch die Crew hat eine Verbindung zum Auto, denn sie arbeitet ja in der Box daran. Uns alle verbindet dieselbe Leidenschaft. Es ist vielleicht einfach eine nette Geste, sich beim Auto zu bedanken."

Frage: "Eine Frage an beide Red-Bull-Piloten: Wie erklärt ihr euch die Dominanz der zurückliegenden drei Rennen?"
Mark Webber: "Die Fahrer sind der Grund dafür."
Vettel: "Ja."