• 18.05.2025 07:14

  • von C.Nimmervoll, Co-Autoren: F.Cleeren, S.Haidinger, H.Stritzke

Verstappens gekränkter Stolz: Wie gut war sein Nordschleifen-Rekord wirklich?

Wir haben uns umgehört: Was Max Verstappens Team über dessen Nürburgring-Streckenrekord sagt und warum viele Nordschleifen-Haudegen Zweifel haben

(Motorsport-Total.com) - Als am Donnerstag aus Imola durchsickerte, dass Max Verstappen bei seinem Nordschleifen-Test vor einer Woche sogar einen Streckenrekord gebrochen haben soll, war das Staunen genauso groß wie der Zweifel. Dass da einer daherkommt, der quasi aus dem Stand alle Nürburgring-Haudegen alt aussehen lässt, konnten viele einfach nicht glauben.

Titel-Bild zur News: Max Verstappen

Max Verstappens Nürburgring-Auftritt sorgt immer noch für heiße Diskussionen Zoom

"Wo sind die Fakten? Ich sehe bisher nur Medienberichte", twitterte zum Beispiel der Rennfahrer Laurens Vanthoor, und Maro Engel schrieb über "ein paar Fakten", nämlich dass Verstappen aka Franz Hermann mit einer DTM-BoP unterwegs gewesen sein soll - sprich mit weniger Gewicht, weniger Bodenhöhe und mehr Power.

Das ließ Verstappen freilich nicht auf sich sitzen. Er antwortete Engel höchstpersönlich auf Twitter: "Falsch. Verbreite keine Unwahrheiten, wenn du nicht weißt, wie das Auto abgestimmt und der Motor eingestellt war. Warum sollte ich auf einer NLS-Strecke mit der falschen BoP fahren?" Worauf Engel schrieb: "Scheint dann wohl, dass das Paddock-Gerede falsch war."

Als die Twitter-Affäre am Samstag in der Live-Übertragung des ORF diskutiert wurde, mutmaßte Kommentator Ernst Hausleitner, dass Verstappen gekränkt gewesen sei ob der Anschuldigung, seine Rundenzeit sei "nicht echt" gewesen. Worauf Co-Kommentator Alexander Wurz einwarf, dass wohl auch die Nürburgring-Haudegen gekränkt seien, wenn die Welt plötzlich glaubt, dass sie im Vergleich zu Verstappen alle Amateure seien.

Verstappen: "Ein wirklich dummer Kommentar"

Verstappen gab übrigens am Samstagabend in Imola offen zu, dass ihn der Engel-Tweet verletzt habe: "Das war ein wirklich dummer Kommentar." Er sei "da hin, um Spaß zu haben und meine Runden zu fahren", und dass dann plötzlich von einem Streckenrekord die Rede war, "war ja nicht der Grund, warum ich das gemacht habe. Ich bin einfach da hin, um zu lernen."

"Der Rekord hat sich dann irgendwie ergeben, und ich verstehe nicht, dass sich andere Fahrer davon gleich so angegriffen fühlen. Ich rede ja die ganze Zeit nur positiv über die GT3 und den Wettbewerb dort und bin keiner, der irgendjemanden kritisiert. Ich will nur meinen Spaß haben und fand diesen Kommentar irgendwie überflüssig."

Normalerweise, stellt Verstappen klar, jucke ihn so etwas gar nicht. Im Falle von Engel aber schon: "Ich kenne ihn. Vielleicht wäre es am gescheitesten, dazu nichts zu sagen. Aber es landete in meinem Feed, weil ich ihn ein paar Mal in Monaco getroffen hatte. Ich habe großen Respekt vor den Jungs, die GT3 fahren. Und dann finde ich sowas halt einfach überflüssig."

In diesem Rahmen fand Verstappens Test statt

Verstappens Test auf der Nordschleife fand unter dem Pseudonym "Franz Hermann" statt, und im Rahmen der 56. Adenauer-ADAC-Rundstrecken-Trophy. Das war der dritte Termin des NLS-Rennkalenders 2025, und "NLS" steht für "Nürburgring-Langstrecken-Serie". In der tummelt sich alles, was üblicherweise dann auch im Juni das legendäre 24-Stunden-Rennen bestreitet.

Das Vierstundenrennen fand am Samstag statt. Am Freitag war die Strecke für sogenannte Probe- und Einstellfahrten geöffnet, allerdings ohne offizielle Zeitnahme. Der NLS-Streckenrekord liegt bei 7:49.578 Minuten, aufgestellt bei einem NLS-Lauf im November 2022 von Christian Krognes in einem BMW M4 GT3. Und den soll Verstappen quasi auf Anhieb pulverisiert haben.

Das zu glauben, fällt der Nürburgring-Community allerdings schwer. Handgestoppt soll ein Abt-Lamborghini am Freitag 7:47 Minuten gefahren sein, und ein Manthey-Porsche sogar 7:46 Minuten. Nur: Da am Freitag kein offizielles Reglement greift, können diese Zeiten mit ganz anderen BoP-Einstufungen gefahren worden sein. Und das wäre theoretisch natürlich auch bei Verstappen möglich.

Was die Verstappen-Zweifler vermuten

Augenzeugen berichten, der Formel-1-Star sei einmal außen am Hatzenbachbogen so imposant an einem anderen Auto vorbeigefahren, dass es "fast schwierig zu glauben" sei, dass er mit der offiziellen NLS-BoP unterwegs war. Und selbst wenn: "Der Ferrari ist das am besten eingestufte Auto. Der geht mit Sicherheit sehr, sehr gut", sagt ein Nürburgring-Profi, der lieber anonym bleiben möchte.

David Perel, am Freitag bei den Einstellfahrten genau wie Verstappen in einem Ferrari 296 GT3 unterwegs, postete auf Social Media, er sei ein paar Runden hinter "Franz" gefahren, und Verstappen könne "ein toller" Nürburgring-Fahrer werden, wenn er die Sache ernst nimmt." Nur um im gleichen Atemzug einzuschränken: "Aber er hatte auch sehr viel Leistung und Topspeed."

Verstappen empfindet solche Zweifel an seinem Speed fast schon als Majestätsbeleidigung. Auf die Frage, ob es wirklich wahr ist, dass er schneller gewesen sein soll als der Streckenrekord, antwortet er: "War ich, ja." Und auf Nachfrage, ob er dabei wirklich die offizielle NLS-BoP gefahren ist: "Ja, natürlich. Es wäre ja sonst ziemlich dumm, dort zu fahren."

Verstappens Test fand mit einem Ferrari 296 GT3 statt, eingesetzt von Emil Frey Racing (EFR) in den Farben seiner eigenen GT-Rennmarke Verstappen.com. Er teilte sich das Auto mit Chris Lulham, einem erfolgreichen Simracer aus dem Team Redline. Einer von Lulhams Teamkollegen dort: Max Verstappen.

Was Verstappens Team über die Echtheit des Rekords sagt

Die beiden fuhren laut Angaben von Emil Frey Racing gegenüber Motorsport-Total.com insgesamt 31 Runden, wobei knapp die Hälfte des Pensums auf Verstappens Konto ging. Auf seiner sechsten Runde wurde Verstappen in 7:48.999 Minuten gestoppt - also mehr als eine halbe Sekunde unter dem offiziellen Streckenrekord.

Jürg Flach ist Technischer Direktor und Einsatzleiter bei Emil Frey Racing. Ein Mann mit Formel-1-Vergangenheit: Von 1999 bis 2010 arbeitete er für das Schweizer Sauber-Team. Verstappen sei schon am Morgen "eine unglaubliche Zeit gefahren", erzählt er im Interview mit Motorsport-Total.com. "Am Nachmittag war er ein bisschen langsamer. Vielleicht hatte er da Verkehr."

Flach bestätigt ausdrücklich, dass Verstappen mit "exakt" den BoP-Einstellungen gefahren sei, "die für ein NLS-Rennwochenende vorgeschrieben sind". Bezüglich der gefahrenen Benzinmenge verrät er nur, dass "eine gute Last" im Tank gewesen sei, denn "leer fahren wir nie". Dem Vernehmen nach sollen 60, 70 Kilogramm Benzin an Bord gewesen sein.

Engel: Verstappen soll's bei einem Rennen beweisen!

Jetzt reibt man sich in der Eifel die Augen. Ganz egal, mit wem man spricht: Kaum jemand kann glauben, dass Verstappen dort ankommt, zum ersten Mal die Nordschleife fährt und alle Nürburgring-Haudegen aus dem Stand alt aussehen lässt. "Er kann ja gern mal zu einem Rennen kommen und das unter Rennbedingungen unter Beweis stellen", sagt Maro Engel in einem Telefonat mit Motorsport-Total.com augenzwinkernd.

Die Vorwürfe, Verstappen sei nicht mit offizieller NLS-BoP gefahren, werden von den Beteiligten aber energisch dementiert. Michelin hat für den Formel-1-Star nicht extra irgendwelche teuren Spezialreifen angekarrt, um solche Topzeiten zu erzielen. Womit nur noch eine letzte Variable übrig bleibt, die dazu geführt haben könnte, dass Verstappens Zeiten am Ende schmeichelhafter aussehen, als sie wirklich waren.

Denn bei den Einstellfahrten am Freitag täuschen und tarnen viele der alteingesessenen Nürburgring-Haudegen üblicherweise, um nur ja nicht zu schnell zu sein. Wer nämlich zu schnell ist, dem droht eine unvorteilhafte BoP-Einstufung. Das war Verstappen, der dort tags darauf ohnehin kein Rennen fuhr, mutmaßlich egal. Er ist ziemlich sicher volles Rohr gefahren. Alles andere würde nicht seinem Naturell entsprechen.

Warum Verstappen kein Nordschleifen-Anfänger ist

Doch zur Wahrheit gehört: Auch wenn der 27-Jährige physisch noch nie auf der Nordschleife gefahren war, kannte er die "Grüne Hölle" in- und auswendig - vom Simulator. "Ich bin schon tausende Runden dort gefahren", sagt er. "Als ich im echten Leben dort ankam, ging es eigentlich nur noch drum, das Gripniveau herauszufinden. Alles andere kannte ich schon."

Für Verstappen war es nicht der erste Test in einem EFR-Ferrari. Bereits 2023 hatte er in Mugello für den Rennstall getestet. Flach erinnert sich: "Der ist ins Auto eingestiegen und war auf Anhieb schnell. Eine Runde, um ein Feeling zu kriegen, und dann geht's los. Wenn du ihn siehst, wundert es dich nicht, dass er schon viermal Weltmeister geworden ist. Wie der die Zeiten hinknallt, das ist schon eindrucksvoll."

Aber Verstappen sei dabei keine arrogante Primadonna, die alle, die nicht Formel 1 machen, für Amateure hält: "Er ist ein ziemlich gewöhnlicher Kerl. Relativ unkompliziert für einen viermaligen Weltmeister", lobt Flach. Und: "Er kann das tun, was er am liebsten mag, nämlich Autofahren. Er kann sich mit den Mechanikern und Ingenieuren unterhalten und wird dabei in Ruhe gelassen. Das genießt er in vollen Zügen."

Er sei nicht an die Nordschleife gekommen, "um zu beweisen, dass ich irgendeinen Rekord fahren kann", stellt Verstappen klar. "Ich wollte einfach Spaß haben und mit dem Team die Strecke lernen. Emil Frey war ja auch noch nie dort. Ihr Traum ist es, die 24 Stunden zu bestreiten. Und wir hatten Glück mit den Bedingungen. Es war sonnig und warm. Das ist natürlich klasse."

Verstappen kündigt 24-Stunden-Start an

Das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring steht auf Verstappens "Bucketlist" ganz oben: "Ja, das würde ich gerne mal fahren. Darum mache ich das alles ja - um mich darauf vorzubereiten und Erfahrung zu sammeln." Verstappen sei üblicherweise "fanatisch", was solche Dinge anbelange, grinst sein Ex-Teamkollege Alexander Albon. "Und deshalb ist er auch so gut darin."

Vom Test existieren Onboard-Videoaufnahmen, die Verstappen in Imola natürlich gleich Helmut Marko gezeigt hat. Der grinst im Sky-Interview, er habe "weggeschaut, als ich die ersten gesehen habe". Schließlich war es auch Marko, der Verstappen 2023 verboten hatte, im Rahmen eines Showevents mit einem Formel-1-Auto auf der Nordschleife zu fahren.


Für Teamchef Christian Horner steht fest: "Max' Fokus muss sein Job in der Formel 1 sein. Wir bei Red Bull waren immer großzügig, was solche Freiheiten betrifft. Das ist es, was er liebt." Verstappen zu erlauben, ein Formel-1-Rennen zu verpassen, so, wie McLaren das für Fernando Alonso möglich gemacht hat, als der lieber das Indy 500 fahren wollte als den Monaco-Grand-Prix, sei aber kein Thema: "Er wird kein Rennen auslassen. Das ist sicher."

Ralf Schumacher: Hat Max noch alle Tassen im Schrank?

Eine Position, die Ralf Schumacher verstehen kann: "Wenn ich sein Teamchef wäre, hätte ich ihn gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat", sagt der Sky-Experte im Podcast Backstage Boxengasse. "Ich weiß, dass mich viele nicht dafür mögen, wenn ich das sage. Aber ich finde die Nordschleife unfassbar gefährlich. Vor allem, wenn man sie in so einem Tempo fährt."

Aber letztendlich ist vermutlich nur Verstappen derjenige, der darüber entscheidet: "Was diese Dinge betrifft, werde ich keine Kompromisse eingehen." Mit Formel-1-Teams, die ihm seine Rennerei in anderen Serien verbieten möchten, "rede ich nicht einmal. Muss ich auch nicht", sagt er in einem aktuellen Interview mit dem Telegraaf. Und: "Unterm Strich ist es doch eh meine Freizeit."

Lange wurde im Formel-1-Paddock gemunkelt, Verstappen spiele mit dem Gedanken, Red Bull Ende 2025 zu verlassen. Dann sagte Marko vor ein paar Wochen, der Niederländer habe sich intern zu seinem bis 2028 laufenden Vertrag bekannt - was auch immer das bedeuten mag. Genauer darauf eingegangen ist Red Bull bisher nicht.

Denkbar, dass Verstappen eine Ansage gemacht haben könnte: "Freunde, ich wechsle zu keinem anderen Team - dafür erlaubt ihr mir, dass ich andere Rennen fahre, sollte es in der Formel 1 nicht so laufen und ich Lust dazu haben." Wie etwa die 24 Stunden auf dem Nürburgring. Aber das ist Stand heute reine Spekulation.

"Permit": Für Rossi gab's keine Ausnahmeregelung

Klar ist, dass es Verstappen ernst meint mit dem 24-Stunden-Rennen. Mit der DMSB-Kommission, die das sogenannte "Permit" ausstellen kann, befindet er sich bereits in Gesprächen. Die Fahrerlaubnis für die GT3-Topklasse gibt's normalerweise nur, wenn jemand mindestens zwei NLS-Rennen in kleineren Klassen fehlerfrei absolviert hat.

Dass man für Verstappen eine Ausnahme machen und der DMSB das "Permit" quasi blanko ausstellen würde, gilt als unwahrscheinlich. Nicht einmal für Motorrad-Superstar Valentino Rossi wurde diesbezüglich 2023 an der Nürburgring-Nordschleife eine Ausnahme gemacht.

Denkbar also, dass Verstappen demnächst wieder an der Nordschleife auftaucht, um NLS zu fahren. Nicht ausgeschlossen, dass "Franz Hermann" irgendwann zwei Rennen bestreitet, um sich das "Permit" zu holen und sich gegen Vorwürfe abzusichern, man habe ihm den roten Teppich ausgerollt, während es für andere keine Ausnahmen gibt.

Warum eigentlich "Franz Hermann"?

Wie es zum Pseudonym Franz Hermann kam, erklärt Verstappen übrigens so: "Sie haben mich nach einem falschen Namen gefragt, also haben wir gesagt, der soll so deutsch wie möglich sein! So stand mein echter Name nicht auf der Nennliste. Sonst wären alle aufgewacht und hätten um 8 Uhr morgens meinen Namen gesehen. So stand ich nicht drauf, und ich hatte zumindest am frühen Morgen meine Ruhe."

Den Traum, eines Tages wieder ein Formel-1-Rennen auf der Nordschleife zu fahren, hält Verstappen übrigens für eine Utopie: "Nicht mit diesen Autos. Es hat zu viele starke Bodenwellen und Kompressionen. Ich finde, der Speed des GT3 ist perfekt. Alles, was darüber hinausgeht, wäre dann schon ein bisschen riskanter."

Dass Verstappen jetzt offenbar die Liebe zur Nordschleife für sich entdeckt hat, findet Alexander Wurz übrigens "absolut cool". Der ORF-Experte sagt: "Je verrückter, desto besser, und da steht der Nürburgring ganz oben. Ich bin ein bisschen eifersüchtig. Ich habe das 24-Stunden-Rennen mal gewonnen, zumindest in meiner Klasse. Habe dort aber auch schon ein Auto zusammengehaut."

"Dass er das jetzt macht, in der Saison, da gibt's natürlich Unkenrufe, dass das gefährlich ist. Man erinnert sich an Kubica, der seine Karriere beim Rallyefahren weggeschmissen hat. Aber ich finde es lässig, dass Max das macht und durchzieht und dabei auch noch so schnell ist. Es überrascht mich nicht, dass er auch im GT-Auto am Spitz fahren kann", sagt Wurz.

Das Rätselraten, wie gut Verstappens inoffizielle Rekordzeit nun wirklich war, wird vermutlich solange weitergehen, bis er unter vergleichbaren Rennbedingungen bewiesen hat, dass er auch im GT3 auf der Nordschleife gewinnen kann. Und wer Verstappen kennt, der ahnt: Dazu wird es früher oder später sicher kommen ...