Vasselon: "Müssen auf der sicheren Seite sein"
Toyota-Ingenieur Pascal Vasselon über die immer mehr eingeschränkten Freiheiten im Chassisdesign, den TF106, Bridgestone und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Pascal Vasselon ist außerhalb des Fahrerlagers zwar nicht so bekannt wie beispielsweise Adrian Newey oder Ross Brawn, doch nach seinem Weggang von Michelin rissen sich Ende 2004 mehrere Teams um seine Dienste. Heute arbeitet er als Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Toyota, wo er einer der Väter der seit dem TF105B stark verbesserten Vorderachse war und ist.

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Pascal Vasselon arbeitete vor Toyota unter anderem für Renault und Michelin
Frage: "Pascal, was genau ist dein Job bei Toyota?"
Pascal Vasselon: "Mein Job bei Toyota? Ich bin Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Das bedeutet, es gibt zwei Abteilungen: die Weiterentwicklung und das Designbüro. Das betrifft aber lediglich das Chassis, denn wir haben zwei Designabteilungen - eine für den Motor und eine für das Chassis. Meine Arbeit betrifft nur das Chassis."#w1#
Vasselon bezeichnet sich selbst als Technischen Manager
Frage: "Du bist also ein Technischer Manager?"
Vasselon: "Jawohl, Technischer Manager."
Frage: "Zuvor warst du bei Michelin tätig. Was war dort dein Aufgabenbereich?"
Vasselon: "Meine Aufgabe bei Michelin war das Reifendesign. Mein Gebiet war die Forschung und das Zusammenspiel verschiedener Bereiche des Autos."
Frage: "Du meinst damit vor allem das Zusammenspiel zwischen Reifen und Chassis?"
Vasselon: "Ja, ganz genau. Wenn du mit Reifen arbeitest, dann arbeitest du dabei immer auch am Chassis. Du kannst nicht gesondert an den Reifen und am Chassis arbeiten. Wenn du den Reifen verstehen willst, musst du auch daran arbeiten, das Chassis zu verstehen - und vor allem musst du das Zusammenspiel dieser beiden Elemente verstehen lernen."
"Daher war es für mich überhaupt nicht schwierig, von der einen Seite, der Arbeit an den Reifen, zu der anderen Seite, der Arbeit am Chassis, hinüber zu wechseln. Denn am Ende hast du die gleichen Elemente im Spiel - und es geht darum, dass wir das Zusammenspiel von Chassis und Reifen verstehen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen: Wir versuchen, dieses Zusammenwirken zu verstehen, denn das ist ein sehr komplexes Spiel..."
Frage: "Jarno Trulli hatte mit dem TF105B ein Problem mit dem Feedback, das er über die Lenkung erhielt, denn beim TF105B war die Vorderradaufhängung verändert worden. Kannst du verdeutlichen, wie sich dieses Problem ausgewirkt hat?"
Vasselon: "Wir können dieses Problem mittlerweile ein wenig besser verstehen. Jarno ist ein sehr sensibler Fahrer, und am TF105B gab es eine Menge neuer Komponenten. Jarno ist da sehr heikel, und es waren wahrscheinlich auch zu viele neue Komponenten auf einmal, denn mit dem TF105B haben wir einen großen Entwicklungsschritt getätigt, was die Vorderradaufhängung betrifft."
TF106 verfügt über eine komplett neue Hinterachse
"Die größte Änderung am neuen TF106 betrifft ja das hintere Ende des Wagens; der vordere Teil beziehungsweise die Vorderradaufhängung entspricht zu einem großen Teil dem TF105B. Und dennoch war es so: Als Jarno den TF106 fuhr, war das Problem gelöst! Wir haben hier die Vorderachse des TF105B und die neue Hinterachse des TF106 - und diese Kombination hat für Jarno den Unterschied ausgemacht. Es war gleich um vieles besser. Jarno erklärte uns nach einigen Fahrten mit dem TF106, dass sein Problem nun gelöst sei."
Frage: "Wie verläuft die Kooperation mit dem neuen Reifenpartner Bridgestone? Als Michelin-Techniker..."
Vasselon: "(lacht; Anm. d. Red.) Ich bin kein Michelin-Techniker mehr! Egal. Eine der interessanten Aufgabe, die ich nun zu erledigen habe, ist die Dokumentation der Zusammenarbeit zwischen dem Team und Bridgestone. Für mich ist es sehr interessant zu sehen, wie die Menschen vom anderen Ende der Welt agieren. Es ist äußerst interessant zu erkennen, dass es im Grunde die gleichen Dinge sind, die von diesen beiden Firmen unternommen werden, dass sich deren Vorgehensweisen zu einem großen Teil decken."
Frage: "Als du dich dazu entschlossen hast, Michelin zu verlassen und bei Toyota anzuheuern, hast du da bereits gewusst, dass sich Michelin ab 2007 aus der Formel 1 zurückziehen wird?"
Vasselon: "Nein, darüber war ich zu dem Zeitpunkt nicht informiert."
Frage: "Warum habt ihr beim TF106 die Hinterradaufhängung verändert?"
Vasselon: "Wir haben ja einen fließenden Entwicklungsprozess, und bei unserer Analyse haben wir ein Problem an der Hinterachse entdeckt. Wenn du eine neue Achse konstruierst, denkst du ja immer, du hast damit das Problem gelöst, aber du weißt niemals, wie groß die Verbesserung sein wird. Die neue Hinterachse am TF106 war jedenfalls die richtige Lösung, und wir konnten das Problem damit aus der Welt schaffen."
TF106B wird erst in Monaco debütieren
Frage: "Ihr entwickelt bereits den Nachfolger TF106B. Welche Änderungen werden wir an diesem Modell sehen?"
Vasselon: "Deine Frage kommt ein kleines bisschen zu früh, denn zunächst wollen wir mit dem TF106 unsere Arbeit verrichten und das Zusammenspiel mit den Bridgestone-Reifen optimieren. Natürlich steht der TF106B in der Pipeline, aber was gewisse Komponenten wie Aufhängungen betrifft, wollen wir erst einige Fragen gemeinsam mit Bridgestone abklären, bevor wir dann wirklich ins Detail gehen, was den TF106B betrifft. Daher ist es ein bisschen zu früh, um sagen zu können, welche Änderungen wir am TF106B sehen werden."
Frage: "Hat der TF106 einen größeren Benzintank als der TF105B?"
Vasselon: "Wieso größer? Nein, er ist sicher nicht größer."
Frage: "Also kleiner?"
Vasselon: "Ich will da nicht ins Detail gehen, aber wir mussten uns an das neue Reglement anpassen. Im Ernst: Die Frage des Tankvolumens ist ein Albtraum, denn die Größe des Tanks ist ja auch zu einem großen Teil abhängig von dem jeweiligen Qualifikationsformat - da geht es um Fragen wie: Fahren wir das Qualifying mit Rennsprit oder fahren wir mit wenig Benzin? Und das Reglement scheint sich ja recht oft zu verändern. Daher sind wir an einem Punkt, an dem es unmöglich ist, Risiken auf sich zu nehmen, weil wir niemals wissen, ob das Format nicht doch plötzlich wieder verändert werden könnte. Daher müssen wir in dieser Frage auf der sicheren Seite sein."
Frage: "Ist das Monocoque des TF106 ein wenig länger ausgefallen?"
Vasselon: "Ja, ein bisschen - weil der Motor kürzer ist. Aber im Bereich zwischen Cockpit und Hinterachse kann man ja längst nicht mehr tun, was man will, denn das Reglement ist gespickt mit Einengungen. Hier findest du nie deinen Frieden, denn du kannst nicht entscheiden, das hintere Ende entscheidend kürzer zu gestalten, weil du eine Minimallänge vorgegeben hast zwischen der Cockpitöffnung und der Hinterachse."
Vasselon begrüßt Zusammenarbeit der Bridgestone-Teams
Frage: "Bridgestone hat eine neue Philosophie beschlossen. Man möchte nun wieder mit mehreren Teams arbeiten, so auch mit dem Neuzugang Toyota. Wird das funktionieren? Und wie eng ist die Kooperation zwischen Ferrari und Toyota?"
Vasselon: "Ich glaube stark daran, dass sowohl Bridgestone als auch Ferrari ihre Meinung geändert haben, denn bislang war das ja doch eine Art von Monokultur. Wir kooperieren mit Bridgestone und auch mit Ferrari; wir teilen die reifenspezifischen Daten. Wir wissen, dass wir das tun müssen, um erfolgreich zu sein."
Frage: "Es sind also die bei den Testfahrten gewonnenen Daten von Toyota für die anderen Bridgestone-Teams einsehbar?"
Vasselon: "Ja, wir teilen diese Daten. Natürlich nicht alle Daten - es geht hier um die reifenspezifischen Informationen wie Reifendruck, Temperaturen und so weiter. Oder auch darum, welche Spezifikationen zum Einsatz kamen, wie deren Performance war - solche Dinge werden ausgetauscht. Es herrscht ein sehr konstruktives Klima zwischen Team und Reifenfirma, aber auch in gewissem Maße unter den Kundenteams von Bridgestone."
Frage: "Wenn dann der Einheitsreifen kommen sollte, dann wird sich dies aber schnell wieder ändern, oder?"
Vasselon: "Ja, das wird dann vollkommen anders sein. Man wird dann zwar weiterhin Forschung betreiben, was die Chassisseite anbelangt, aber es wird keine Reifenentwicklung im herkömmlichen Sinne - wie wir sie jetzt kennen - mehr geben. Man wird also immer noch viel an dem Zusammenspiel zwischen Reifen und Chassis, aber nicht mehr an der Weiterentwicklung der Reifen arbeiten."
Frage: "Wird das Kosten einsparen?"
Vasselon: "Sicherlich werden die Testfahrten dann weniger kosten, denn es wird derzeit bekanntlich sehr viel Zeit wird für die Weiterentwicklung der Reifen aufgebracht."

