• 30.07.2016 09:21

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

"Unglückliche Figur": Gerhard Berger wundert sich über Ferrari

Plant Ferrari eine Fabrik in England? Der Abgang von James Allison sei jedenfalls eine "große Veränderung" für das Team, gibt Sebastian Vettel zu...

(Motorsport-Total.com) - Dass Technikdirektor James Allison Ferrari mit sofortiger Wirkung verlassen hat, obwohl Teamchef Maurizio Arrivabene entsprechende Gerüchte noch am Sonntag in Budapest als lächerlich verrissen hatte, bestimmte in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen in der Formel 1. Insbesondere die unglückliche Kommunikationsstrategie der Scuderia verwundert nicht nur Medienvertreter, die Arrivabene öffentlich dafür kritisiert hatte, unwahre Gerüchte zu verbreiten, sondern auch Branchenkenner.

Titel-Bild zur News: James Allison

James Allison könnte sich in England einen neuen Job in der Formel 1 suchen Zoom

Gerhard Berger zum Beispiel findet, dass Ferrari in der Angelegenheit "eine unglückliche Figur" abgegeben hat: "In Ungarn noch so tun, als wäre an den Gerüchten nichts dran, und drei Tage später die Bestätigung", wundert sich der ehemalige Ferrari-Pilot gegenüber 'Auto Bild motorsport'. "Man kann jetzt überlegen, was schlimmer ist - dass sie nichts gewusst oder dass sie gelogen haben..."

Sebastian Vettel bittet die Medien indes um Zurückhaltung, wenn es um den Fall Allison geht: "Es ist eine Entscheidung, die gemeinsam getroffen wurde", sagt er. Aber weil Allisons Frau Rebecca im März überraschend verstorben ist, sei es "allein schon aus Gründen des gegenseitigen Respekts keine Situation, die es verdient, dass man sie nicht zu sehr ausschlachtet".

Rätselraten um die wahren Hintergründe

Was der wahre Grund für die Trennung war, ist bisher nicht bekannt. Der 48-Jährige hatte zuletzt nur noch drei bis vier Tage pro Woche in Maranello gearbeitet, um sich in England mehr um seine Kinder kümmern zu können. Darüber hinaus soll es aber auch Meinungsverschiedenheiten mit Ferrari-Oberboss Sergio Marchionne gegeben haben.

"Es ist natürlich eine große Änderung für uns, wie auch für ihn", sagt Vettel und ergänzt: "Zum Besseren, wie ich hoffe! Es wird natürlich ein bisschen anders werden, was die Arbeit angeht. Nicht jetzt unmittelbar heute oder morgen, aber für die Zukunft werden sich gewisse Dinge ändern. Dafür war seine Rolle einfach zu groß. Aber jetzt müssen wir erst malabwarten."


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Clear gibt zu: Allison wird fehlen

Ferrari-Chefingenieur Jock Clear, der im Frühjahr viel von Allisons Abwesenheit abgefedert hat, gibt zu, dass es "nicht unbemerkt" bleibt, "wenn du jemanden vom Kaliber eines James Allison verlierst. Das Team wird hart daran arbeiten müssen, diese Lücken zu überbrücken." Der designierte Technikchef-Nachfolger Mattia Binotto, wahrscheinlich nur eine Übergangslösung, werde in diesem Zusammenhang "die Hilfe von allen" im Ferrari-Team benötigen.

"Wir müssen zusammenhalten", fordert Clear. "Ich glaube nicht, dass erwartet wird, dass Mattia sofort in die gleiche Rolle schlüpft, die James erfüllt hat - die beiden haben einen ganz anderen Hintergrund. Aber Tatsache ist, dass sich Ferrari weiterentwickeln und das Beste aus dieser Situation machen muss." Und er ergänzt: "James war sehr, sehr stark, er wird uns auch fehlen. Aber diese Herausforderung nehmen wir jetzt an."

Jock Clear

Jock Clear spielt eine wichtige Rolle in Ferraris technischer Umstrukturierung Zoom

In Marchionnes Streben, Ferrari wieder auf die Siegerstraße zu führen, werden derzeit übrigens alle möglichen technischen Umstrukturierungsvarianten durchgedacht. Am Donnerstag gab es zum Beispiel Gerüchte, wonach Ross Brawn auf dem Weg nach Hockenheim sein soll, der immer wieder als möglicher Ferrari-Berater gehandelt wird. Im Paddock gesehen wurde er bisher nicht.

Wandert Ferrari wieder nach England aus?

Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang mit Gerüchten, wonach Ferrari gerade prüfen soll, einen Teil der Formel-1-Produktion nach England auszulagern - eventuell unter Brawns Führung. Der Standort England hätte den Vorteil, dass dort die meisten Formel-1-Ingenieure ohnehin leben und leichter zu einem Wechsel überredet werden können, als wenn sie samt Familie nach Italien ziehen müssen.

Dass der Formel-1-Ferrari zu einem großen Teil in England entwickelt wird, wäre übrigens kein Novum. Chefdesigner John Barnard stellte sich unter dem Dach seiner Firma B3 Technologies ab 1993 in Surrey ein Team zusammen, das bis 1997 alle Ferraris federführend entwickelte. Der ganz große Erfolg stellte sich aber erst ein, als das Designteam zurück nach Maranello verlegt wurde, unter der Führung von Rory Byrne.


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