• 09.06.2007 04:28

Tollkühne Männer mit fliegenden Kisten

Logistik im Grand-Prix-Sport: Kaum in Europa angekommen, muss die Formel 1 für die Überseerennen schon wieder ihre Koffer packen

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 kann schon wieder einpacken: Auch wenn die Europasaison gerade erst zwei Rennen alt ist, steht schon die nächste Überseetournee an. Die Rennen in Kanada und den USA, die innerhalb einer Woche stattfinden, sind zwar logistische Herausforderungen, aber damit und davon lebt ein Rennzirkus. Teams und Material sind das ganze Jahr über permanent unterwegs - ein ebenso aufwändiges wie kostenintensives Geschäft. Unsere Kollegen vom emagazine der Credit Suisse nahmen es genau unter die Lupe.

Titel-Bild zur News: BAR-Honda-Mechaniker

Die Logistiker haben in Nordamerika wieder einmal Hochbetrieb

Aus dem Koffer zu leben, das sagt sich so leicht. Bei den so genannten Flyaway-Rennen gilt für Menschen und Material der Formel 1 das gleiche Procedere wie für jeden Charterreisenden: Beim Check-in wird streng auf das Übergepäck geguckt. Wer zwei Rennwagen und dutzende Container an Material in den Jumbo mitnehmen will, für den schlägt der Aufpreis natürlich entsprechend zu Buche. Zu Beginn des letzten Rennjahres bekam das BMW Sauber F1 Team diese Regelung in vollem Umfang zu spüren. Die Grenze von zehn Tonnen freier Fracht wurde vom Hinwiler Rennstall deutlich überschritten - was eine sechsstellige Gebühr nach sich zog...#w1#

Vergünstigungen je nach Erfolg

Wer sich immer schon gewundert hat, warum in der Formel 1 bis zum letzten Rennen so erbittert um jeden Platz gestritten wird, findet in den Reisekostenabrechnungen einen wichtigen Grund: Je besser ein Team abschneidet, je größer sind in der Endabrechnung der Saison auch die Vergünstigungen beim Transportkostenzuschuss. Das ist in einem komplizierten Verteilerschlüssel im Rahmen des Concorde Agreements, einer Art Grundgesetz der Formel 1, geregelt.

Wenn die Rennkarawane um die Welt zieht, lösen bei Überseerennen Sammeltransporte die individuellen Lastwagenkolonnen ab. Von London (für die britischen Teams) und Mailand (für die Kontinentaleuropäer) aus starten eigens gecharterte Jumbos, die besonders streng bewacht werden. Die Oberhand hat dabei die Organisation von Formula One Management (FOM), die zu Bernie Ecclestones Imperium zählt. Logistikpartner der FOM wiederum ist das weltweite Transportunternehmen DHL. Verladung, Flug und Zoll übernehmen deren Agenten, die zum Teil seit Jahrzehnten die wertvolle Spezialfracht betreuen.

Logistiker fahren und fliegen ihr Rennen für sich, und gelegentlich - wie beim Großen Preis der Türkei - werden auch Schiffe eingesetzt. Die FOM fliegt dabei vermutlich zu Vorzugspreisen, da DHL gleichzeitig mit dem Status als offizieller Logistikpartner der Formel 1 werben darf. Das bringt für die Teams den Vorteil, dass sich nicht jeder einzeln um die komplizierten Formalitäten kümmern muss, und die Lieferungen direkt ins Fahrerlager passieren können. Wer nicht offizielle Wege wählt, müsste nämlich draußen vor der Rennstrecke abladen. Solche Umstände kann niemand gebrauchen, wenn die Wege ohnehin weit sind und die Zeit sowieso knapp ist.

Zusammen sind es 300 Tonnen Material und Ausrüstung, fast 20.000 verschiedene Einzelteile, die nach Übersee transportiert werden müssen, umgerechnet entspricht das etwa 100 Lastwagenladungen. Und das, obwohl sich die Teams schon einschränken mussten und beispielsweise keine eigenen Motorhomes oder Küchen dabei haben. Innerhalb Europas sind es zwischen 30 und 50 Tonnen pro Rennstall, die auf die Räder gebracht werden. Die Sparappelle beim Kofferpacken für die Nordamerikareise greifen nach der einfach klingenden Formel: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich mitnehmen.

Riesige Container in den Jumbojets

Doch die Ausstattungslisten sind umfangreich, sogar das Benzin und Öl wird in Spezialgefäßen mitgebracht, schließlich lässt das Reglement nur Flüssigkeiten zu, die einem genetisch hinterlegten Code genügen. Den größten Batzen der Jumbocontainer im Format drei mal drei mal zwei Meter macht aber das Material für die Fernsehübertragung aus: Etwa 50 Tonnen wiegen allein die technischen Voraussetzungen, die den Zuschauern in aller Welt einen bestimmten Standard garantieren. Auch die Prüfanlagen des Automobilweltverbandes FIA werden an jedem Ort der Welt originalgetreu aufgebaut. Die Rennwagen selbst reisen in eigens gefertigten Gestellen, die Flügel werden jeweils demontiert und in Kisten transportiert. Im Fahrerlager von Montréal wird - mangels Platz - die Kulisse daher auch von den Flugboxen und den so genannten Packhorses dominiert. Die kleinsten Container haben Bierkastenformat, die größten eine Grundfläche von 16 Quadratmetern.

Jedes Team hat seinen eigenen Logistikspezialisten, der die gleichen Sorgen und Nöte wie jedes Reisebüro kennt. Ob es die Frage ist, welches Visum man braucht, ob die Kaffeemaschine dabei ist (bei Teams aus der Schweiz und aus Italien überlebenswichtig) oder ob auf den letzten Drücker noch ein Kurier die letzte Frontflügelentwicklung im Handgepäck mitnimmt - es gibt in diesem schnelllebigen Geschäft nichts, was logistisch nicht gelöst werden kann. Die kleinen Wehwehchen sind meist die, die die größten Probleme verursachen, ganz wie im richtigen Leben. Der Aufwand lässt sich schnell hochrechnen, wenn man allein die Räder betrachtet, ohne die sich nichts dreht: 160 Felgen gehören zum Standardgepäck, jede wiegt neun oder 13 Kilogramm, je nach Vorder- oder Hinterrad. Ein Achtzylindermotor wie der von BMW wirkt mit seinen knapp über 70 Kilogramm dagegen fast wie ein Fliegengewicht. Die Checkliste beim BMW Sauber F1 Team umfasst insgesamt stattliche 80 DIN-A4-Seiten.

An die Transportexperten werden im Prinzip die gleichen Anforderungen gestellt wie an einen Rennwagen: Schnell und zuverlässig müssen sie sein. Vor allem dann, wenn zwischen den Rennen in Montréal und Indianapolis lediglich eine Woche Zeit ist - in Wirklichkeit aber viel weniger als sieben Tage bleiben, um die Maschinerie exakt an einem anderen Ort aufzubauen: Lediglich dreimal 24 Stunden bleiben, um alles wieder einsatzbereit zu machen. Die Zeit läuft, sie darf einem nur nicht davonlaufen. Ein Fall für tollkühne Männer mit ihren fliegenden Kisten.

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