• 26.11.2006 10:12

  • von Pete Fink

Tilke: "Der Zuschauer will Action und Drifts"

Der Rennstrecken-Architekt über Rennstreckendesign und die dabei entstehenden Spannungsfelder zwischen den Interessen von Zuschauern und Fahrern

(Motorsport-Total.com) - Fragt man Hermann Tilke nach seiner persönlichen Lieblingsstrecke, dann erhält man als Antwort: "Die alte Nordschleife". Tilke kann sich dabei ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Nach über 100 erfolgreichen Baumaßnahmen bekäme er wahrscheinlich ein politisches Problem, wenn er ein Projekt besonders hervorheben würde.

Titel-Bild zur News: Hermann Tilke

Tilke hat zahlreichen Rennstrecken seinen Fingerabdruck verliehen

Und weil der Bau einer Rennstrecke "immer auch eine Möglichkeit der Selbstdarstellung eines Landes ist", ist Tilke in gewisser Weise auch Diplomat und Politiker. Besser gesagt: Er muss es sogar sein, um Erfolg zu haben.#w1#

Am besten alles aus einer Hand

Hermann Tilke versteht sich als Generalplaner. Er hat es gerne, wenn Architektur, Elektrik, Elektronik und natürlich das Streckendesign in einer Hand liegen. Das hat vor allem dann Vorteile, wenn es zu unerwarteten Komplikationen kommt. Wie im Falle Shanghai: "Stellen Sie sich vor, Sie haben auf ihrem Baugrund einen 300 Meter tiefen Sumpf. Und sie wissen, dass sie in China gigantische Gebäude brauchen, weil es das Land so verlangt und es in Shanghai gar nicht anders möglich ist."

Na klar, dann "rammt man schnell einmal 40.000 Pfähle in den Sumpf" und errichtet das gesamte Areal quasi schwimmend "auf einer 14 Meter dicken Styroporschicht". Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich die Komplikationen vorzustellen, wenn in so einem Fall die Kompetenzen nicht in einer Hand gelegen hätten.

Der Zuschauer ist das A und O

Tilke ist nach wie vor ein echter Rennbesessener. Für ihn ist "der Zuschauer der wichtigste Faktor: nah an der Strecke sein, möglichst viel von der Strecke sehen. Der Zuschauer will Action und Drifts. Doch dabei entsteht ein Spannungsfeld zu den Interessen der Konstrukteure. Die wollen gewinnen, die wollen wie auf Schienen fahren, am besten einen Start-und-Ziel-Sieg und so wenig Action wie möglich."

Und während sich die Formel 1 ständig in rasantem Tempo weiterentwickelt, wird "eine Rennstrecke nur einmal gebaut und ist dann Realität." Damit skizziert er das schwierige Umfeld, in dem er sich zu bewegen hat.

Die Autos sollen möglichst dicht aufeinander folgen

Ihn beschäftigen drei wichtige Themen: Zum einen das möglichst lange Zusammenhalten des Feldes: "Am schlimmsten ist es, wenn das Feld nach dem Start durch das Streckenlayout sofort auseinandergezogen wird." Als Beispiel führt er das alte 'Castrol-S' auf dem Nürburgring an, und erläutert sogleich den Lösungsansatz.

In der neuen 'Mercedes Arena' gibt es jetzt zwei enge Kurven. Die zweite enge Kurve am Ausgang soll dafür sorgen, dass das Feld zusammenbleibt. Tilke meint ganz direkt: "Die Fahrer sagen zwar, die Kurve ist 'Shit', aber sie erfüllt den beabsichtigten Zweck."

Überholmöglichkeiten muss man schaffen

Das zweite und zentrale Thema ist das Überholen. Das Schaffen von mindestens einer guten Überholmöglichkeit pro Strecke ist das oberste Ziel. Sein Rezept sieht wie folgt aus: eine enge Kurve, eine lange Gerade und wieder eine enge Kurve. In Shanghai gelang ihm das mit Abstrichen, wie er selbstkritisch zugibt. "In Shanghai gibt es eine lange Gerade, aber sie war immer noch zu kurz, weil uns das Gelände ausging."

Als Lösung wollte er - ähnlich wie mit der 'Parabolica'-Kurve in Hockenheim - eine langgezogene Kurve davor platzieren. Die schiere Power der V10-Motoren machte ihm 2005 einen Strich durch die Rechnung. Die Fahrer konnten sich nicht im Windschatten an den Vordermann ansaugen, durchdrehende Räder und die Dirty-Air führten zu einem Abtriebsverlust beim Verfolger und infolge dessen schaltete sich die Traktionskontrolle ein. Dieses Jahr lief es dann besser, weil die neuen V8 Motoren weniger Kraft auf die Strecke brachten.

Rennfahrer muss man in Fahrfehler locken

Zu guter Letzt will Tilke Fahrfehler provozieren. "Das geht am besten, wenn man die Anpressdrücke in einer Kurve ändert." Sein Paradebeispiel ist die Kurve Acht in Istanbul, eine Vierfach-Linkskurve, die mit über 250 Kilometer pro Stunde durchfahren wird. Der Fahrer passiert dabei zwei Kuppen und in der Mitte eine kleine Wanne. Tilke nennt das die "Einführung einer dritten Dimension." Dadurch wird das Auto abwechselnd leicht und schwer. Wenn das Fahrzeug zu tief eingestellt ist, dann gehen in der Wanne die Federn auf Block, das Auto setzt auf, und die Aerodynamik reißt ab.

Tilke erzählt schmunzelnd vom ersten Freitagstraining des Jahres 2005, als sich viele Teams bei ihm darüber beschwert hatten: "Ich ging dann zu Michael Schumacher, dem Präsidenten der Fahrervereinigung, doch der meinte nur, das sei alles Quatsch, die müssten halt nur ihre Autos höher einstellen." Ein höheres Auto bedeutet aber eine schlechtere Aerodynamik, und damit eine schlechtere Rundenzeit.

"Im Rennen", so Tilke, "gingen dann wohl einige Fahrer das Risiko ein, und stellten ihre Autos nicht höher, was zu den zahlreichen Ausrutschern führte." Action - ganz im Sinne von Formel-1-Zuschauer Tilke.