• 31.10.2007 22:05

Theissen: "Hoffentlich gibt es mehr als einen Sieg"

Der BMW Motorsport Direktor im Interview über die Fortschritte des Teams im Jahr 2007, seine beiden Fahrer sowie die Änderungen und Hoffnungen für das Jahr 2008

(Motorsport-Total.com) - Bereits im zweiten Jahr seines Bestehens konnte sich das BMW Sauber F1 Team als dritte Kraft in der Formel 1 etablieren. Im Interview mit dem 'emagazine' blickt BMW Motorsport Direktor Mario Theissen auf eine erfolgreiche Saison zurück und erklärt, warum der weitere Weg an die Spitze trotzdem kein Spaziergang sein wird.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen ist mit der Saison 2007 mehr als zufrieden

Frage: "Gratulation zum hervorragenden Saisonergebnis. Hätten Sie sich Anfang Saison träumen lassen, am Schluss als klar dritte Kraft dazustehen?""
Mario Theissen: Als Pflichtziel hatten wir uns für unsere zweite Saison den vierten Platz definiert. Mit dem dritten Rang haben wir nun auch die Kür geschafft. In der offiziellen Statistik ist es infolge der Bestrafung von McLaren-Mercedes sogar der zweite Platz geworden. Doch wir sind realistisch und wissen, dass vor uns noch vier Autos fahren, die schneller sind als wir. Die wollen wir auch auf der Strecke schlagen."#w1#

Frage: "Wie war es möglich, sich innerhalb einer Saison von den Mittelfeld-Teams wie Toyota, Honda, Williams oder Red Bull so weit abzusetzen und sogar die Weltmeister von Renault zu schlagen?"
Theissen: "Es ist wirklich eine erstaunliche Leistung, die unser junges Team in diesem Jahr gezeigt hat, zumal Teams wie Honda und Toyota ebenfalls mit dem Anspruch gestartet sind, an die Spitze vorzudringen oder - wie im Fall von Renault - dort zu bleiben."

"Mit dem dritten Rang haben wir die Kür geschafft." Mario Theissen

"Weshalb diese Teams ihre Ziele nicht erreichen konnten, ist schwer zu sagen: Womöglich haben sie sich in der Entwicklung des Autos vertan, vielleicht auch die Umstellung auf die Einheitsreifen nicht so gut hinbekommen. Umgekehrt hatten wir über den Winter einen großen Sprung nach vorne gemacht und mit dem F1.07 ein Auto gebaut, das deutlich schneller war als sein Vorgänger."

Frage: "Sind nun für 2008 die ersten Siege eingeplant?"
Theissen: "Das ist natürlich unser Ziel, wir wollen im nächsten Jahr unser erstes Rennen gewinnen, und ich hoffe, dass es schließlich mehr als einen Sieg geben wird. Wir wissen aber auch, wie schwer das sein wird, denn sowohl Ferrari als auch McLaren-Mercedes bewegen sich bereits seit vielen Jahren an der Spitze und haben einen entsprechenden Erfahrungsvorsprung. Diese beiden Teams zu knacken, das wird eine sehr harte Nuss."

"Die beiden Spitzenteams zu knacken, das wird eine sehr harte Nuss." Mario Theissen

Frage: "Das BMW Sauber F1 Team erscheint als eingeschweißte Truppe. Zwischen den Standorten Hinwil und München ist kein Graben festzustellen. Wie haben Sie das in nur zwei Jahren hingekriegt?"
Theissen: "Das ist gar nicht mal mein Werk, das haben vielmehr die Mitarbeiter selbst geschafft. Jeder im Team weiß, dass wir nur dann Rennen gewinnen können, wenn alle Faktoren stimmen, was auch heißt, dass man den Kollegen hilft. Das Thema Standort darf insofern keine Rolle mehr spielen."

"Durch die intensive Zusammenarbeit vernetzen sich die Leute im Laufe der Zeit automatisch immer stärker, sie werden vertraut miteinander. Irgendwann ist man dann einfach so weit, von einem Team zu sprechen, und von Kollegen, ganz egal, ob sie in München oder Hinwil sitzen."

Frage: "Vor einem Jahr klaffte in Hinwil noch ein großes Bauloch. Wie weit sind inzwischen die Bauarbeiten am dritten Gebäudetrakt fortgeschritten?"
Theissen: "Die Arbeiten sind zwar noch nicht ganz abgeschlossen, doch das Gebäude ist bereits bezugsbereit. Seit drei Wochen sind wir dabei, sukzessive einzuziehen - dieser Vorgang wird sich bis übers Jahresende hinaus hinziehen, bis dann endlich die letzten Maschinen auch drin sind."

"Doch man spürt bereits, wie sich die räumliche Situation entspannt hat. Darüber sind wir natürlich sehr froh. Denn nachdem wir unsere Mitarbeiterzahl von ursprünglich 275 auf 420 hochgefahren hatten, wurde es doch ziemlich eng."

Frage: "Blicken wir wieder auf die neue Saison: Auch die Konkurrenz steht nicht still. Welche der Mittelklasse-Teams erwarten Sie auf Augenhöhe in der neuen Saison?"
Theissen: "Die Konkurrenz steht nicht nur nicht still, sie steht auch massiv unter Druck. Folglich müssen wir uns darauf einstellen, dass sie alle mindestens so viel Gas geben wie wir. In erster Linie sehe ich das Renault-Team, das immerhin in den vergangenen zwei Jahren zwei Mal hintereinander die Weltmeisterschaft gewann und jetzt in ein Loch gefallen ist."

"Die direkten Konkurrenten stehen massiv unter Druck." Mario Theissen

"In den letzten Rennen der Saison haben sich auch Williams und Red Bull in einer guten Form präsentiert, weshalb man auch sie im Auge behalten muss. Bei Honda und Toyota kann ich schwer einschätzen, wie weit dort der Sprung nach vorne sein wird."

Frage: "Haben Sie nie Angst vor Rückschlägen, so wie Sie in der abgelaufenen Saison vor allem Honda, Toyota und Renault erleben mussten?"
Theissen: "Doch, und zwar permanent (lacht). Deswegen geben wir ja so viel Gas. Bei der Entwicklung eines neuen Autos bewegen wir uns stets am Rand des technisch Machbaren, erschließen immer neue Gebiete, und da ist es ganz natürlich, dass nicht jeder Schuss ein Treffer ist."

"Die Angst vor Rückschlägen treibt uns permanent an." Mario Theissen

"Leider erfolgt in der Formel 1 der Aufstieg meist relativ langsam, der Absturz dafür umso abrupter. Was wir bisher in den letzten zwei Jahren abgeliefert haben, macht mich allerdings sehr zuversichtlich für die nächste Saison."

Frage: "Wie weit sind denn jetzt schon die Weichen gestellt?"
Theissen: "Wir liegen im Plan mit dem neuen Auto, sowohl punkto Termine als auch punkto Leistungsentwicklung. Die letzte Gewissheit haben wir aber erst, wenn das Auto am 15. Januar erstmals auf die Strecke rollen wird."

Frage: "In der neuen Saison werden auch diverse elektronische Fahrhilfen abgeschafft. Wie stark könnten dadurch die Karten neu gemischt werden?"
Theissen: "Die Reglementänderung wird zwar einen gewissen Einfluss auf das Renngeschehen haben, so werden sich die Autos etwas mehr bewegen ohne Traktionskontrolle. Ich gehe aber nicht davon aus, dass sich dadurch die Hackordnung zwischen den Teams stark verändern wird."

Frage: "Ist also der Eingriff weniger groß als bei den Einheitsreifen, die auf diese Saison hin eingeführt wurden."
Theissen: "Ja, das ist meine Einschätzung."

Frage: "In der vergangenen Saison waren die Resultate wie selten zuvor durch die Stärke der Autos determiniert. Wie wichtig ist der Fahrer überhaupt noch in der Formel 1?"
Theissen: "Der Fahrer ist nach wie vor die wichtigste Einzelperson im gesamten Leistungspaket, welches neben dem Fahrer auch das Chassis, den Motor und die Reifen umfasst. Und je näher die Autos in ihrer Performance zusammenrücken, umso wichtiger wird der Fahrer."

Frage: "Sprechen wir von Ihren Fahrern. Viele Beobachter hatten zu Beginn der Saison erwartet, dass Routinier Nick Heidfeld einen schweren Stand gegen das Supertalent Robert Kubica haben würde. Warum ist dies nicht eingetroffen?"
Theissen: "Das lag an verschiedenen Faktoren. Robert war am Anfang der Saison von einigen technischen Problemen betroffen, und mit der Umstellung auf die Einheitsreifen hat er sich schwerer getan als Nick. Hinzu kam der schwere Unfall im Grand Prix von Kanada. In der zweiten Saisonhälfte fuhren dann die beiden schon deutlich näher beieinander, weshalb ich sie im nächsten Jahr auf einem Niveau erwarte."

"Ich erwarte unsere beiden Fahrer nächstes Jahr auf demselben Niveau." Mario Theissen

Frage: "Nick Heidfeld wartet nun schon seit 132 Grands Prix auf den ersten Sieg. Könnte ihm ein erster Vollerfolg nochmals zusätzlichen Schub verleihen?"
Theissen: "Ja, das glaube ich schon. Er hat zwar in diesem Jahr gezeigt, was in ihm steckt, und er war auch jederzeit sehr motiviert. Aber klar, so ein erster Sieg, der ist natürlich die Bestätigung, dass man es drauf hat und dass noch deutlich mehr kommen kann."

Frage: "Die vergangene Saison war definitiv eine der spannendsten der letzten Jahre - trotz der leidigen 'Spionage-Affäre'. Ist das überhaupt noch zu toppen?"
Theissen: "Von der Spannung her ist die Saison sicher schwer zu toppen. Es war eine tolle Saison, spannend bis zum letzten Rennen und darüber hinaus, mit sehr vielen unerwarteten Ereignissen, welche die Teams aber auch die Fans in Atem gehalten haben."

"Seit der Saison 1986 hatte man nicht mehr erlebt, dass im letzten Rennen noch drei Fahrer um den Titel kämpften. Ich würde mich freuen, wenn das im nächsten Jahr wieder so ist, mal abgesehen von den Skandalen."

Frage: "Wie fest erfasst diese Spannung auch die Teamchefs, die nicht unmittelbar am Spitzenkampf beteiligt sind?"
Theissen: "Wir sind ja nicht nur nüchterne Techniker, wir sind auch Fans des Motorsports und der Formel 1. Und natürlich schauen wir uns an, was da vor uns abgeht. Ich fand die Saison sehr faszinierend, gerade auf der Fahrerseite. Und wir haben auch während des letzten Rennens immer mit einem Auge auf die Spitze geschielt."

Frage: "Wie groß sind die Chancen, dass im kommenden Jahr auch das BMW Sauber F1 Team voll in den Spitzenkampf eingreifen wird?"
Theissen: "Das weiß ich nicht. Wir tun alles dafür. Aber wie schnell das geht, das kann ich auch erst sagen, wenn es passiert."