• 29.04.2013 20:14

  • von Roman Wittemeier

Symonds spricht Klartext: Zwischen Sorge und Leidenschaft

Marussia-Technikchef Pat Symonds betrachtet den Wechsel zu V6-Turbos mit Sorge: Kosten schnellen in die Höhe - Vertrag mit Ferrari wahrscheinlich

(Motorsport-Total.com) - Der bevorstehende Wechsel zum neuen Formel-1-Reglement mit unter anderem neuen V6-Turbos und veränderter Aerodynamik macht vielen Teams große Sorgen. Die Kosten werden in die Höhe schnellen. Vor allem Marussia wird leiden. Die russisch-britische Mannschaft bekommt aus dem Vermarktungstopf von Bernie Ecclestone keinen Cent mehr, muss aber dennoch viel mehr in die Technik investieren. Daher sieht Marussia-Technikchef Pat Symonds die Entwicklung mit Skepsis.

Titel-Bild zur News: Pat Symonds

Urgestein der Formel 1: Pat Symonds bringt viel Erfahrung bei Marussia ein Zoom

"Als ich noch bei Renault war, dachte ich, es sei der richtige Weg. Mir war bewusst, dass man nicht so lange warten darf, bis eine Reaktion gefordert wird", meint der Brite im Gespräch mit 'Sky Sports F1'. Man habe die Formel 1 auf modernere Bahnen lenken, dem "grünen Gedanken" mit der Einführung von mehr Energie-Rückgewinnungssystemen und verbrauchsärmeren Motoren endlich folgen müssen, so die Einschätzung des erfahrenen Ingenieurs.

"Ich persönlich habe beim Thema Klimawandel meine Zweifel. Aber das ist egal. Die meisten anderen Menschen haben diese Zweifel nicht", sagt Symonds. "In mir war die Sorge, dass der Motorsport generell unter Beschuss geraten könnte. Ich würde mal sagen, es ist eine Art 'Pelzmantel-Syndrom'. Heutzutage darfst du keine Pelzmäntel mehr tragen. Es ist nun eben die Zeit gekommen, wo du nicht mehr viel Sprit verbrennen darfst."

Marussia ab 2014 mit Ferrari-Power?

Symonds erachtet die grundsätzliche Entscheidung der FIA, das Antriebskonzept der Formel 1 auf modernere Füße zu stellen, für richtig. "Sie haben einen pragmatischen Weg eingeschlagen. Das gesamte Thema Energie-Rückgewinnung ist großartig. Das wird zu ganz neuen Entwicklungen führen", sagt er. "Die Motoren werden aber zu teuer. Für uns bedeutet dies, dass wir von einem Extrem ins andere gehen. Das wird eine erhebliche Belastung für unser Budget werden."

Bislang bezieht Marussia die Triebwerke von Cosworth, die ihr Produkt im Vergleich zur Konkurrenz von Ferrari, Mercedes und Renault kostengünstig anbieten. "Die neuen Teams sind mit Cosworth-Triebwerken in die Szene gekommen. Ich kenne aus meiner Renault-Zeit die Kosten der Motoren sehr genau. Es wundert mich immer wieder, wie Cosworth es für das Geld überhaupt hinbekommt. Sie machen das fantastisch", lobt Symonds. Klar ist, dass die Zukunft im Heck von Marussia nicht mehr Cosworth heißen und deutlich teurer sein wird.

Cosworth Logo

Cosworth rüstet Marussia seit dem Einstieg 2010 mit Motoren aus Zoom

"Wir sind nahe dran", meint der Brite bezüglich des bevorstehenden Abschlusses eines Motorenvertrages für 2014. Marussia wird wohl mit Ferrari oder Mercedes zusammenarbeiten. "Renault hat genügend Kunden an Bord. Das haben sie klar gesagt. Ferrari und Mercedes stehen uns positiv gegenüber", so der Marussia-Technikchef. "Eigentlich wollte ich den Motorenvertrag für 2014 Ende Mai unter Dach und Fach haben - allerdings Ende Mai 2012. Wir sind also etwas zurück."

Viel Arbeit mit dem 2014er-Auto

Durch die kurzfristige Verpflichtung von Jules Bianchi haben die Verhandlungen mehr Schwung aufgenommen. Der Franzose ist Ferrari-Zögling, der Draht nach Maranello somit besser. "Er hat uns Ferrari näher gebracht. Ferrari will mehr Teams ausrüsten. Ich würde nicht sagen, dass wir Versuchskaninchen spielen sollen, aber aus deren Sicht ist es natürlich besser, wenn mehr Motoren rennen, um die Stärken und Schwächen besser erkennen zu können. Sie wollen ohnehin ein weiteres Team ausrüsten", so Symonds.

Die Sorgen bei Marussia hören allerdings beim Motor nicht auf. Sie gehen beim Thema Aerodynamik und Chassisentwicklung 2014 weiter. "Die Arbeitsbelastung ist unglaublich hoch. Das wird für große Teams schwierig und für uns erst recht", erklärt der frühere Renault-Stratege. "Wir müssen schon bald mit der Entwicklung des MR02 aufhören, weil wir nicht genügend Leute haben, um in kurzer Zeit das neue Auto fertigzustellen. Das Design ist aufwändig. Die Autos werden ganz anders sein. Man muss dermaßen viel Grundlagenforschung betreiben."

Jules Bianchi

Jules Bianchi bringt beste Kontakte zu Ferrari mit ins Marussia-Team Zoom

Für das aktuelle Formel-1-Auto wird es wohl in Silverstone ein letztes Update geben, anschließend arbeitet man in Banbury mit voller Kraft am 2014er-Wagen. "Aber vielleicht schütteln wir im weiteren Verlauf der Saison ein paar Dinge aus dem Ärmel, die wir ins Jahr 2014 mit hinüber nehmen können", so Symonds. "Aus Ingenieurssicht ist es fantastisch. Ich war in den vergangenen Jahren als Stratege bekannt. Aber, ganz ehrlich: Das ist mir zu langweilig geworden. Es gibt mittlerweile so viele schlaue Leute, die alle letztlich zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen. Das macht dann keinen Spaß mehr."

Strategie wird 2014 interessant - danach langweilig

"Nächstes Jahr wird es wieder interessant, denn du hast für ein Rennen nicht die Energie zur Verfügung, die du eigentlich gerne hättest. Dann ist Strategie gefragt", frohlockt Symonds. "Das wird ein spannendes Spielchen. Ich hoffe nur, dass es die Fans nicht langweilen wird. Es darf auch nicht zu kompliziert werden." Und genau dort lauert aus Sicht des Briten eine gewisse Gefahr. Die Rennen unter der Vorgabe bestimmter Energiemengen könnten für die Zuschauer zu undurchsichtig werden. Wer ist wann schnell? Und warum?

"Ich habe die Formel 1 leidenschaftlich gern und noch viel mehr die Technik dahinter. Aber man darf nie vergessen, dass es um die Menschen geht, die sich die Rennen anschauen. Da muss man seine Leidenschaft mal zügeln, um den Leuten guten Rennsport bieten zu können", sagt Symonds. "Im kommenden Jahr wird das der Fall sein. Sorgen mache ich mir bezüglich der Folgejahre. Wenn alle den optimalen Weg gefunden haben, dann könnte es langweilig werden."

"Im kommenden Jahr wird es Fahrzeuge geben, die ein Rennen schnell angehen und dann langsamer werden - und genau umgekehrt. Da werden auch wir an der Boxenmauer gespannt sein wie die Menschen am TV. So wird es guter Rennsport, wenn die Autos unterschiedliches Tempo gehen", blickt Symonds auf die Formel 1 im Jahr 2014. Die grundsätzliche Herangehensweise an den effizienten Betrieb eines Boliden kennt man schon aus der Gegenwart.

Neue Aerodynamikvorgaben mit großen Auswirkungen

"Das alles ist nicht ganz neu für uns. Wir alle gehen auch jetzt schon mit der möglichst geringsten Benzinmenge in die Rennen. Das treiben wir auf die Spitze. Wir gehen ans Limit, manchmal sogar darüber hinaus", sagt der Brite. "Die Rennen sind doch sogar besser geworden. Heißt das, dass ein Fernando im Ferrari nicht mehr 56 Runden lang volle Pulle fahren kann? Ja, das bedeutet es. Aber ist das schlimm? Nein, es ist einfach anders." Das Taktieren mit Reifen und Benzin habe es auch zu früheren Turbozeiten in der Formel 1 schon gegeben, merkt Symonds an.

Der erfahrene Techniker, der Timo Glock sehr gern im Team behalten hätte, wagt einen Blick auf die Autos der Zukunft. "An der Front wird der Flügel schmaler, hinten verlieren wir ein Flügelblatt. Das mag für den Betrachter nur geringen Unterschied ausmachen, aber es ist wirklich fundamental", sagt er. "Der Frontflügel bestimmt den Luftfluss um das gesamte Fahrzeug. Das ist der wichtigste Punkt: Anströmung des Flügels und der Umgang mit der Luft dahinter."


Fotos: Marussia, Großer Preis von Bahrain


"2009 war das bereits eine knifflige Aufgabe. Alle haben damals über den Effekt des Doppeldiffusors gesprochen. Aber den Frontflügel richtig hinzubekommen, war damals sogar noch wichtiger als der Diffusor", meint Symonds. "Generell werden die Autos weniger Luftwiderstand und geringeren Abtrieb haben. Das ist nichts Schlimmes. Ursprünglich hatte man ein Reglement geplant, dass sogar noch viel weniger Abtrieb vorsah. Da war sogar schon wieder der 'Ground-Effect' ein Thema. Damit wäre man aber zu weit gegangen."