Symonds: "Bis zum Saisonende aggressiv fahren"
Pat Symonds, Chefingenieur von Renault, erklärt im ausführlichen Interview die Taktik des Renault-Teams für den Rest der Saison
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Pat, die momentane Situation in der WM erinnert aus Sicht des Renault-Teams stark an das Vorjahr. Was ist heute anders als vor zwölf Monaten?"
Pat Symonds: "Wir müssen eine völlig andere Strategie verfolgen als in der vergangenen Saison. 2005 war McLaren unser Hauptkonkurrent. Sie hatten einen Vorteil beim Rennspeed, dafür aber Probleme in puncto Zuverlässigkeit. Bei den Reifen herrschte Gleichstand, da wir beide Partner von Michelin sind."

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Pat Symonds freut sich auf das harte Duell mit Ferrari
"Wir vertrauten an den Grand-Prix-Wochenende einer eher konservativen Strategie und profitierten von ihrer mangelnden Zuverlässigkeit. In diesem Jahr ist Ferrari unser stärkster Gegner. Sie sind auf anderen Reifen unterwegs, ihre Leistungen in diesem Bereich sind also nicht synchron zu unseren."#w1#
"Vor allem aber zeigt Ferrari in diesem Jahr eine enorm hohe Zuverlässigkeit. Wir bei Renault haben uns im Vergleich zum Vorjahr in jedem Bereich verbessert, haben mehr Punkte eingefahren und konnten noch mehr Zielankünfte feiern."
"Aber das reicht in diesem Jahr nicht. Wir müssen mit Hochdruck weiterentwickeln und auch an den Rennwochenenden aggressiv auftreten. So macht Motorsport aber auch viel mehr Spaß. Im Rückblick erscheint mit die Saison 2005 im Vergleich geradezu langweilig..."
Frage: "Die Reifen scheinen momentan das beherrschende Thema in der Formel 1 zu sein. Warum ist das 'schwarze Gold' in dieser Saison so besonders wichtig?"
Symonds: "Reifen waren schon immer ein entscheidender Faktor deiner Leistungsfähigkeit und werden es auch immer bleiben. In diesem Jahr haben wir mit Renault und Ferrari zwei Teams mit Autos auf einem sehr ähnlichen Niveau, die auf unterschiedliche Reifen vertrauen."
"Hinzu kommt, dass die Reifen den wohl größten Anteil an der Gesamt-Performance haben. In Magny-Cours zum Beispiel gewinnst du durch eine Steigerung des Abtriebsniveaus um fünf Prozent 0,3 Sekunden pro Runde. Durch die Verbesserung der Reifen-Performance um fünf Prozent würdest du hingegen mehr als eine Sekunde pro Umlauf schneller sein. Wenn man dies im Hinterkopf behält, dürfte klar werden, warum die Reifen bei zwei ansonsten recht gleichwertigen Teams den Ausschlag geben können."
Frage: "Sie haben mehrfach gesagt, dass man die Saison Grand Prix für Grand Prix sehen müsste und sich nicht von scheinbaren Trends leiten lassen solle. Was genau meinen Sie damit?"
Symonds: "In puncto Leistung liegen Renault und Ferrari sehr nah beieinander. Es sind Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Das Pendel kann mal so, mal so ausschlagen. Beim Grand Prix von Frankreich verfolgten wir eine aggressive Strategie und hofften vor dem Rennen, dass die Reifen von Ferrari über die Distanz nicht funktionieren würden. Sie selbst hegten ja diese Sorge."
"Im Rennen stellte sich die Situation aber anders dar. Wir mussten daher versuchen, aus unserer Sicht das Maximum aus dem Wochenende herauszuholen. Und das war nun einmal der zweite Platz. Das mag vielleicht eine Art Schadensbegrenzung gewesen sein, aber es zeigt einfach, wie eng es zugeht und wie schnell der Vorteil von einem zum anderen wechseln kann."
"Du musst dich auf jeden Grand Prix gründlich vorbereiten und bereit sein, auf alle Eventualitäten reagieren zu können. In der Saison 2006 darfst du nichts als gegeben ansehen. Wir fahren deshalb gen Hockenheim mit dem festen Vorsatz zu gewinnen."
Frage: "Ihrer Meinung nach hat es also nicht viel zu bedeuten, dass Ferrari zuletzt zwei Rennen in Folge gewann, den zurückliegenden Grand Prix zudem unter extrem heißen Bedingungen?"
Symonds: "Nein, es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich diese Serie fortsetzt - genauso wenig wie man davon ausgehen kann, dass sie reißt. Das ist genau der Punkt. Die Strecke in Magny-Cours weist verschiedene, ganz spezifische Eigenheiten auf. Was dort funktioniert, muss noch längst nicht auf andere Kurse übertragbar sein."
"Vielleicht aber doch. Man kann es nicht wissen. Zudem scheinen einige Leute ein schwaches Erinnerungsvermögen zu haben, denn wir dominierten in Kanada - und da lagen die Asphalttemperaturen bei knapp 50 Grad."
Frage: "Läuft denn die Entwicklung bei Ihrem Reifenpartner Michelin unverändert weiter?"
Symonds: "Absolut. Zu Beginn der Saison 2006 hat Michelin ganz klar das Ziel formuliert, den WM-Titel verteidigen zu wollen. Die Experten aus Clermont-Ferrand geben in jedem Bereich mehr als 100 Prozent. Wenn überhaupt, dann hat der bevorstehende Rückzug aus der Formel 1 dafür gesorgt, dass sie noch entschlossener auftreten. Michelin will sich unbedingt als Weltmeister verabschieden."
Frage: "Am kommenden Wochenende werden die beiden Renault R26 über deutlich mehr Leistung verfügen. Wird sich das nur in Deutschland auszahlen, oder bringt es trotz des Sommer-Testverbots über die kommenden Wochen einen zusätzlichen Schub?"
Symonds: "Testverbot hin oder her - wir müssen von Rennen zu Rennen denken. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass, wenn wir Anfang August schnell sind, automatisch auch am Ende des Monats vorne stehen. Die drei kommenden Grands Prix finden auf sehr unterschiedlichen Kursen statt, so dass auch die Reifen jeweils anders sind."
"Auch ohne Testfahrten können wir zudem stets neue Aerodynamik-Komponenten einsetzen, Verbesserungen am Motor vornehmen und verschiedene Dinge auf dem Prüfstand ausprobieren. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sich die Kräfteverhältnisse über den August verändern können. So wichtig das Update in Hockenheim für uns auch ist - wir werden uns in Ungarn und in der Türkei mit Sicherheit nicht auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen."
Frage: "Wie schätzen Sie die bisherige Arbeit Ihrer drei Fahrer in dieser Saison ein?"
Symonds: "Fernando Alonso erledigt einfach einen fantastischen Job. Auch wenn er unser Team am Ende des Jahres verlassen wird, hat dies nichts an seiner Einstellung geändert. Er hat zum Beispiel Extra-Testschichten eingelegt und arbeitet wirklich sehr hart. Ich glaube, ihm ist es sehr wichtig, zwei WM-Titel in Folge zu gewinnen."
"Giancarlo Fisichella spielt eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Kontrukteurs-WM. Wir steuern auf ein spannendes Finale zu, bei dem es wichtig ist, dass Fisico den Ferrari-Piloten möglichst viele Punkte wegschnappt. Sein Beitrag in den kommenden Wochen wird entscheidend sein."
"Und natürlich dürfen wir Heikki Kovalainen nicht vergessen. Er trägt viel zu unserem Erfolg bei. Er leistet beim Testen wirklich Großes. Wir Ingenieure wissen, dass er das Auto absolut am Limit bewegt, und wir schätzen sein Feedback. Mit der Richtung, in die er entwickelt, stimmen die beiden anderen Piloten völlig überein. Es gibt wirklich nichts Negatives, das wir über ihn sagen könnten."
Frage: "Wie wichtig wäre es für Renault, den zweiten WM-Titel in Folge zu gewinnen?"
Symonds: "Ich habe immer gesagt, dass der Gewinn eines zweiten Titels für jedes Team ein eindeutiges Qualitätsmerkmal darstellt. Eine Meisterschaft ist immer relativ, und manche Titel sind einfacher zu erringen als andere. Aber wenn du zwei WM-Kronen in Folge abräumst, beweist das zumeist, dass du mit unterschiedlichen Konkurrenzsituationen gut umgehen konntest, und zeigt die Integrität des Teams. Deshalb ist mir der Gewinn der WM 2006 so wichtig."
Frage: "Sie gehen davon aus, dass Renault das Rennen machen wird. Warum?"
Symonds: "Es ist die Tiefe des Teams, die mich so zuversichtlich macht. Die Aufmerksamkeit, die wir auch kleinsten Details schenken, die Fähigkeit, vorausschauend zu planen, auch mal rechts und links zu schauen, auf Unerwartetes reagieren zu können..."
So viele Menschen tragen zu unserem Erfolg bei: an der Strecke, im Windkanal, auf dem Prüfstand, in der Produktion, im Bereich Logistik, beim Design und, und, und... Und jeder dieser Bereiche verfügt über eine große Tiefe. Das wird uns helfen zu gewinnen - und zwar nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in der Zukunft."
Frage: "Blicken wir auf das kommende Wochenende. Wen sehen Sie als größte Konkurrenten?"
Symonds: "Ich erwarte einen Vierkampf zwischen Renault, Ferrari, McLaren und Toyota. In Frankreich haben wir gesehen, dass Toyota derzeit gute Form hat. Und wir wissen, dass McLaren über die nötige Pace verfügt. Es wird ein hartes und heißes Wochenende. Aber wir fahren selbstbewusst nach Hockenheim und wollen aggressive auftreten. Es wird genau die Art Herausforderung, die wir bei Renault genießen."

