• 13.08.2008 10:04

  • von Roman Wittemeier

Surer: "Hässlichste Formel 1 aller Zeiten"

'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer über die Aerodynamik-Trends des Jahres und den Entwicklungsmarathon der Topteams

(Motorsport-Total.com) - Die technische Reise der Formel 1 geht immer weiter. Selbst die so genannten "eingefroren" Motoren sind offenbar im Verlauf der Saison von einigen Teams "aufgetaut" worden und haben trotz des eigentlichen Entwicklungsstopps einen neuen Schub erfahren. Die Topteams treiben sich mit immer neuen Finessen gegenseitig zu weiteren Höchstleistungen, im Mittelfeld kämpfen die Mannschaften mit regelmäßigen Updates um die Vorherrschaft. Obwohl die tief greifenden Regeländerungen für 2009 viel Arbeit für die Fachleute bedeuten, hört die Weiterentwicklung der aktuellen Autos noch lange nicht auf.

Titel-Bild zur News: Frontflügel

Wenn der Frontflügel zum Breitmaulfrosch wird: Renault-Design 2008

"Es war schon immer so, dass die Topteams gleichzeitig am neuen Auto und am alten Auto entwickeln, weil sie die Kapazitäten haben", erklärte 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Diese zweigleisige Arbeit hat damals Mike Gascoyne bei Renault eingeführt, glaube ich. Der hat in zwei Schichten arbeiten lassen. Eine Abteilung war am neuen Auto und die andere am alten. Das überspringt praktisch immer ein Jahr. McLaren hat ein ähnliches System. Da gibt es zwei Parteien, die da entwickeln. Die diesjährige Abteilung wird dann das übernächste Auto machen und so weiter."#w1#

Wie beim Fußball: Alle Positionen doppelt besetzt

Haifischflosse

Mehr Platz für den großen Bullen: "Haifischflosse" als Trend des Jahres Zoom

Dieses Entwicklungsmuster ist in den Topteams seit einigen Jahren etabliert. Gerade bei McLaren-Mercedes konnte man in den vergangenen Jahren häufig ablesen, welches Designteam das Auto gerade entworfen hatte. Auf ein gutes Jahr folgte ein (zumindest im Bereich Zuverlässigkeit) mäßiges in konstanter Abfolge. Die doppelte Entwicklungsmannschaft hat in einigen Teams sogar einen hausinternen Konkurrenzkampf entfacht. Die Designer überholen sich gegenseitig.

"Aber das ist natürlich der Nachteil der kleinen Teams, denn die können das nicht", beschrieb Surer mit Blick auf Rennställe wie zum Beispiel Force India. Dessen Besitzer Vijay Mallya hatte unlängst offiziell verkündet, dass man sich nun voll auf das kommende Jahr konzentriere und das aktuelle Auto bis zum Saisonende nahezu unverändert lasse. Das Jahr 2008 ist also für die neue indische Mannschaft bereits gelaufen.

Die aktuelle Saison war bisher erneut von aerodynamischen Auswüchsen geprägt. Sofort zum Jahresstart sorgte Red-Bull-Stardesigner Adrian Newey mit seiner "Haifischflosse" nicht nur für hoch gezogene Augenbrauen und für Staunen, sondern in vielen Technikabteilungen der Konkurrenz auch für zusätzliche Arbeit. Das Teil musste nachgebaut und getestet werden. Mittlerweile schwimmen nahezu alle Formel-1-Teams auf der "Haifischflossen"-Welle mit. "Es ist in der aktuellen Formel 1 das Problem, dass sobald ein Auto etwas quer kommt, dann die Anströmung für den Heckflügel schlecht wird", erklärte Surer die technischen Hintergründe.

Der Formel 1 werden immer neue Flügel verliehen

Dumbo Flügel

Weder schön, noch selten: Die "Dumbo-Flügel" sind auf dem Vormarsch Zoom

"Dann dreht sich der Fahrer. Das geht manchmal ganz schlagartig. Wir erinnern uns zum Beispiel an den Dreher von Felipe Massa in Malaysia. Das war ein Hochgeschwindigkeits-Dreher mit über 200 km/h, schlagartig war das Auto weg. Genau das soll verhindert werden. Diese Flosse leitet die Luft auf den Heckflügel, wenn das Auto quer kommt. Es ist quasi eine Umleitung für die Luft. Dann gibt es trotzdem Anpressdruck am Heckflügel, auch wenn das Auto mal in einen Drift kommt."

Formel-1-Ästheten müssen beim Anblick der verlängerten Motorabdeckung die Augen fest zusammenkneifen, schön ist es nur bedingt. Aber in der Königsklasse zählt nur eines: Speed. Und ausgerechnet der Speed wird durch die "Haifischflosse" nicht immer nur erhöht, sondern teils auch bewusst vermindert. "Ja genau, aber das will man ja auch haben. Das Auto wird dann zusätzlich stabilisiert, wenn es quer kommt. Bei Geradeausfahren nicht, weil dann steht es genau im Luftstrom, aber beim Querstehen bremst es etwas wie ein Segel", erklärte Surer.

2008 sind im Bereich Fahrzeugdesign tierische Zeiten angebrochen. Nicht nur die "Haifischflosse" hat sich als Trend etabliert, sondern auch so genannte "Dumbo-Flügel" an der Nase machen manchen Boliden "elefantös". Ex-Formel-1-Pilot Surer beschrieb: "Interessant ist daran, dass die vorne am Auto sitzen und auf den hinteren Teil des Autos wirken. Der Frontflügel und natürlich auch die Vorderräder verwirbeln die Luft sehr stark. Der Frontflügel führt die Luft nach oben und dann fängt man sie oben wieder und leitet sie nach hinten, damit man am Heckflügel eine ruhige Luft hat. Im Prinzip ist es eine Umleitung der verwirbelten Luft."

Königsklasse 2008: Nichts für Design-Ästheten

Radkappe

Radkappen haben in der Formel 1 immer mehr Einzug gehalten Zoom

Während die verlängerte Motorhaube (weil auch für Sponsorendarstellung sehr dankbar) fast überall im Einsatz ist, setzen sich die "Dumbo-Flügel" - die auch an den gallischen Helm von Asterix erinnern - erst nach und nach durch. Surer geht davon aus, dass sich diese aerodynamischen Auswüchse weiter verbreiten werden: "Ja, weil das ist wohl etwas, was sehr viel bringt. Die Flügel werden mehr und mehr, manche arbeiten schon mit zwei davon. Das scheint sehr viel zu bringen, zumal man in der allgemeinen Aerodynamik beschränkt ist. Wir könnten ja nicht einfach größere Heckflügel montieren, sondern müssen möglichst viel Luft dorthin bringen."

Die Formel-1-Boliden haben ihr Äußeres im Vergleich zum Vorjahr deutlich verändert. Immer mehr Feinheiten verbiegen Heck- und Frontflügel, vor den Seitenkästen kommen regelmäßig neue Elemente hinzu. Nicht zu vergessen: Fast alle aktuellen Fahrzeuge fahren mittlerweile mit Radkappen, die Ferrari 2007 ins Spiel gebracht hatte. Beim Anblick eines solch filigranen Aerodynamikwunders fällt Fachmann Surer nur noch eines ein: "Für mich haben wir die hässlichste Formel 1 aller Zeiten. Das ist wirklich schlimm." Beruhigend sei die Gewissheit, dass man 2009 wieder mit klareren Formen und Autos rechnen könnte.