• 23.11.2012 22:25

  • von Dieter Rencken

Steiner im Interview: Formel 1 vs. NASCAR

Motorsport-Weltenbummler Günther Steiner analysiert, warum die Formel 1 diesmal eine echte Chance hat, in den USA gegen NASCAR zu bestehen

(Motorsport-Total.com) - Wenn es jemanden gibt, der kompetent ist, verschiedene Motorsport-Kategorien miteinander zu vergleichen, dann Günther Steiner. Vor allem wenn es um Formel 1 vs. NASCAR geht, denn der gebürtige Südtiroler hat in beiden Serien als Technischer Direktor gearbeitet, noch dazu für den gleichen Arbeitgeber, Red Bull.

Titel-Bild zur News: Günther Steiner Red Bull

Günther Steiner hat schon in der Formel 1 und in der NASCAR gearbeitet

Steiner war in der Rallye-WM für Subaru und Ford tätig, wechselte dann zu Jaguar in die Formel 1, ehe er zwischenzeitlich bei Opel in der DTM engagiert war. 2005 wurde er von Red Bull in die Formel 1 zurückgeholt und später ins NASCAR-Programm des österreichischen Energydrink-Herstellers versetzt. Seit nunmehr vier Jahren ist er mit seiner eigenen Firma, die im NASCAR-Zentrum rund um Charlotte angesiedelt ist, als Zulieferer für die Motorsport-Industrie tätig.

Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' erläutert Steiner, warum die Formel 1 in den USA dank Austin endlich eine Chance auf ihren Durchbruch hat und was dafür alles passieren muss. Und er spricht über die Mentalitätsunterschiede zwischen europäischen und amerikanischen Motorsport-Fans.

NASCAR kein internationaler Motorsport

Frage: "Günther, du hast in der Formel 1 gearbeitet und du hast in der NASCAR gearbeitet. Was sind deiner Meinung nach die grundlegenden Unterschiede der beiden Serien?"
Günther Steiner: "Zunächst einmal ist NASCAR ein nationaler Sport. Ich glaube nicht, dass man den internationalisieren kann, weil weltweit gesehen das Interesse nicht da ist."

"Zweitens geht es bei NASCAR mehr um die Show. Ich weiß, auch die Formel 1 ist eine Show, Unterhaltung, aber NASCAR ist mit fünfstündigen Rennen von Grund auf als Show angelegt. Das würde in Europa nicht funktionieren, wegen der europäischen Kultur - niemand würde sich Rennautos anschauen, die fünf oder sechs Stunden im Kreis fahren. In Le Mans schaut ja auch niemand 24 Stunden lang zu - naja, vielleicht nicht niemand, aber das Publikum ist eher überschaubar."

"NASCAR ist mit fünfstündigen Rennen von Grund auf als Show angelegt." Günther Steiner

"In Amerika hängst du am Nachmittag rum, du klebst nicht am Fernseher, sondern der läuft einfach, und du konsumierst es halt, weil eben etwas läuft. In der Formel 1 wird alles auf einen Höhepunkt zugespitzt, zwei Stunden lang, da muss etwas passieren. Beides funktioniert, aber ich glaube, dass die NASCAR ihre Rennen als Show zuspitzt, weil die Leute sonst gelangweilt sind, überladen mit so vielen Rennen. Es sind ja 36 Rennen."

Frage: "Ist das nicht zu viel?"
Steiner: "Sie versuchen, mit dem Chase Spannung reinzukriegen. Wenn sie ehrlich sind, schaffen sie es nicht immer, aber sie brauchen das. Sie brauchen so viele Rennen, um Geld zu machen, sie brauchen sie für die TV-Verträge. Darum müssen sie so weitermachen."

NASCAR: Schwierigkeiten beim jungen Publikum

Frage: "Das 'Wall Street Journal' schreibt, dass NASCAR Zuschauer verliert, dass immer weniger Fans vor Ort sind, die Fans immer älter werden..."
Steiner: "Das stimmt absolut. Es ist wie mit allem im Leben: Wenn es dein Vater macht, ist es nicht cool - daher findet die nächste Generation NASCAR nicht cool. Vielleicht wechselt das bei der Generation nach dieser wieder."

"Ich finde, das ist eine Chance für die Formel 1, diese Menschen für einen anderen Sport zu begeistern. Das Publikum wäre da. In Austin haben einige gesagt: 'Oh, da haben sie vergessen, dass der Grand Prix im Fernsehen mit dem NASCAR-Finale kollidiert.' Aber der NASCAR-Fan wäre sowieso nicht zur Formel 1 gewechselt. Das sind zwei völlig verschiedene Sportarten."

Frage: "Ein bisschen wie Kricket und Fußball."
Steiner: "Korrekt, genau. Es gibt vielleicht einige, die wechseln würden, aber das sind nicht viele, also kein Problem. Die Formel 1 sollte nicht versuchen, bei den NASCAR-Fans zu angeln. Und in Austin hat man ja gesehen, wie erfolgreich der Event war."

Frage: "Bist du darüber überrascht?"
Steiner: "Nein."

Frage: "Hast du ehrlich geglaubt, dass es ein Erfolg wird?"
Steiner: "Ich bin überrascht, wie gelungen die Anlage ist - da haben sie gute Arbeit geleistet - und wie gut alles organisiert ist. Ich war auch überrascht, dass schon am Freitag so viele Leute gekommen sind, aber ich bin nicht überrascht, dass zum Rennen so viele gekommen sind, denn in den Staaten wurde das Thema angeheizt. Das Schwierigste wird, dass in den nächsten zwei oder drei Jahren auch wieder so viele Leute kommen."

Steiner sieht Raum für zwei US-Grands-Prix

Frage: "Siehst du Raum für zwei oder drei Formel-1-Rennen in den USA?"
Steiner: "Ja, absolut. Zwei sicher. Es ist so ein großes Land, 300 Millionen Menschen, Norden und Süden. Von Austin nach New York fliegt man fast vier Stunden, und von Washington D.C. in den Bundesstaat Washington ist es auch ein ganz schön langer Flug."

Frage: "Wenn Mexiko wirklich einen Grand Prix bekommt, könnte das für Texas zu einem Problem werden."
Steiner: "Glaube ich nicht, denn Mexiko-Stadt ist eine riesige Stadt. Die, die nach Mexiko-Stadt kommen würden, können sich den Flug in die Vereinigten Staaten meistens nicht leisten. Ich bin mir auch nicht sicher, wie es mit den Visa funktioniert, das ist das nächste Problem. Es kostet ja alles Geld, und wenn sie ein Rennen in Mexiko haben, dann erschließen sie damit demografisch eine andere Schicht. Ich sehe Raum dafür - und ich sehe Raum für mindestens ein weiteres Rennen in den USA, ohne Probleme."

Frage: "Hältst du ein rein amerikanisches Formel-1-Team für möglich?"
Steiner: "Alles ist möglich. Hast du genug Geld und Zeit? Das ist eine der Fragen, aber alles ist möglich. Du kannst in China ein Formel-1-Auto bauen, wenn du es möchtest, solange du genug Geld und Zeit hast. Du nimmst die Leute mit dem nötigen Know-how mit, schon kann's losgehen. Ob man alles in Amerika machen könnte? Vielleicht nicht sofort. Vielleicht baut man in Europa etwas auf und übersiedelt dann nach und nach hierher, aber es ist grundsätzlich alles möglich. Die Frage ist: Ist es praktikabel? Wahrscheinlich nicht."

"Du kannst in China ein Formel-1-Auto bauen, wenn du es möchtest." Günther Steiner

Frage: "Bist du überrascht, dass US F1 gescheitert ist?"
Steiner: "Nein. Letztendlich war ausschlaggebend, dass sie den Schwung, den sie am Anfang hatten, nicht mitnehmen konnten. Ich finde, die Idee war großartig, aber die Ausführung des Plans weniger. Ich möchte niemandem die Schuld dafür geben. Vielleicht war die Finanzierung nicht da. Solche Dinge weiß ich nicht."

Rallye-WM in den USA nicht existent

Frage: "Warum hat die Rallye-WM in Nordamerika noch keinen Fuß in die Tür bekommen?"
Steiner: "Ich glaube, der Grund dafür ist, dass die Rallye-WM im Fernsehen ganz schwierig zu transportieren ist. Der Sport ist fantastisch, purer Motorsport, aber wie vermarktest du ihn für die Massen? Sehr schwierig. Aber diese Global-Rallycross-Meisterschaft ist ziemlich erfolgreich hier."

Frage: "Ken Block..."
Steiner: "... und so weiter. Das ist cool und hat mehr Aussicht auf Erfolg. Ich glaube, sie haben die Rallye-EM wiederbelebt. Das ist auch eine Möglichkeit. Aber das sind coole Autos, basierend auf Straßenautos, 600 PS mit Allradantrieb, ständig im Drift, einfach cool. Die haben hier eine Chance, diese Rallycross-Autos mit ihrer Meisterschaft."

Formel-1-Fans in Austin

Premiere gelungen: Der Grand Prix der USA in Austin war ein voller Erfolg Zoom

Frage: "Ist das deiner Meinung nach der Weg, den der europäische Motorsport in Amerika einschlagen muss?"
Steiner: "Ja. Es geht um die Autos, Autos, die man sehen kann. Das ist auch Teil der NASCAR-Fangemeinde, dass sie echte Stockcars haben. Die sehen für die Fans nicht merkwürdig aus, weil die Räder vorstehen."

Frage: "NASCAR ist ziemlich archaisch. Sieht man das an der Fangemeinde?"
Steiner: "Nein, glaube ich nicht. Den Fans geht es mehr um das Racing, um die Show."

Frage: "Um den Rummel."
Steiner: "Ganz genau."

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