• 20.02.2006 20:56

Shorrock: "Es ist sicherlich kein Neubeginn"

Michelins Formel-1-Verantwortlicher Nick Shorrock im Interview über die 2006er Reifen, Tests mit 16.000 Pneus und den endgültigen Rückzug am Saisonende

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Nick, wie wirkt der Wechsel von V10- auf V8-Motoren auf die Belastungen aus, denen die Reifen standhalten müssen?"
Nick Shorrock: "Unsere Reifen sind auf den Geraden geringeren Belastungen ausgesetzt, weil dort die Geschwindigkeiten niedriger sind als bisher. Es besteht die Möglichkeit, dass die Autos in den Kurven mehr rutschen werden, weil die Fahrer an eine andere Technik gewöhnt sind, um das Maximum aus ihren Motoren zu holen, aber bisher waren die vertikalen und lateralen Kräfte in etwa dieselben wie 2005."

Titel-Bild zur News: Nick Shorrock

Nick Shorrock ist sehr traurig, dass sich Michelin aus der Formel 1 zurückzieht

Frage: "Bedeutet ein leichterer und weniger leistungsstarker Motor, dass ihr weichere Reifenmischungen einsetzen könnt?"
Shorrock: "Am Anfang neigten die Autos dazu, ein bisschen zu rutschen. Da war noch nicht klar, dass das der Fall sein würde, aber je länger die Testfahrten andauern, desto deutlicher ist erkennbar, dass die Tendenz dahin gehen wird, dass wir weichere Reifen einsetzen können als 2005."#w1#

Kurvengeschwindigkeiten zum Teil höher als 2005

Frage: "Die neuen Regeln wurden unter anderem eingeführt, um die Kurvengeschwindigkeiten zu senken, aber weichere Reifen machen die Autos doch schneller, oder?"
Shorrock: "Es sieht so aus, als würden die Rundenzeiten diese Saison langsamer werden, aber in manchen Fällen könnten die Kurvengeschwindigkeiten tatsächlich höher sein als bisher. Das ist aber nicht nur eine Folge der Reifen, denn die V8-Motoren erfordern weniger Kühlung und erlauben daher effizientere aerodynamische Pakete als bisher."

"Auf schnellen Strecken wird der Unterschied größer sein." Nick Shorrock

Frage: "Wie groß wird der Unterschied in den Rundenzeiten zwischen 2005 und 2006 in etwa sein?"
Shorrock: "Das wird abhängig vom Charakter einer Strecke variieren, aber auf schnellen Strecken wird der Unterschied größer sein. Im Moment beträgt der Unterschied durchschnittlich 2,5 Sekunden, aber dies wird sich noch verringern, wenn die Ingenieure die Autos besser feintunen."

Frage: "Beginnt Michelin diese Saison mit einem weißen Blatt Papier oder könnt ihr auf Daten aus 2004 und 2005 zurückgreifen?"
Shorrock: "Es ist sicherlich kein Neubeginn. Vergangenes Jahr gab es einige Entwicklungen - vor allem im Bereich der Reifensicherheit -, die man in die neue Saison übertragen kann. Wir schauten uns auch einige Mischungen aus 2004 an, die damals nicht wie erhofft funktionierten, nun aber unter den neuen Regeln gut geeignet sein könnten. Wir befinden uns noch im Prozess des Analysierens und es wird weitere Evolutionen geben. Bei den ersten Wintertests mussten wir uns quasi erst einmal auf die Füße stellen. Seitdem machen wir aber solide Fortschritte. Wir arbeiten inzwischen an den Reifen, die wir bei den ersten Grands Prix der Saison einsetzen werden."

Michelin glücklich über gleichmäßige Verteilung der Teams

Frage: "Michelin dominierte die Saison 2005. Erwartest du, dass Bridgestone in diesem Jahr konkurrenzfähiger sein wird?"
Shorrock: "Michelin hat sich aktiv um eine gerechtere Verteilung der Teams für 2006 bemüht. Das ist gelungen. Es wäre außergewöhnlich, sollten wir die letztjährigen Resultate noch einmal wiederholen können, aber realistisch gesehen rechnen wir damit, dass sich einige unserer schärfsten Rivalen steigern werden. Wir erwarten nicht, dass es einfach wird, aber wir sind zuversichtlich, dass wir unseren Partnern auch dieses Jahr wieder High-Performance-Produkte zur Verfügung stellen können, die bei ihren zukünftigen Erfolgen eine mitentscheidende Rolle spielen werden."

"Es ist richtig, dass der Datenaustausch zwischen unseren Partnerteams bisher sehr offen gehandhabt wurde." Nick Shorrock

Frage: "Haben sich eure Arbeitsmethoden mit den Teams verändert?"
Shorrock: "Nein. Alle gehen ihren Geschäften in der gewöhnlichen und professionellen Weise nach - wie immer. Das ist eine Konstante, seit wir in die Formel 1 zurückgekehrt sind - genau wie in allen anderen Kategorien, in denen Michelin engagiert ist. Es ist mit Sicherheit richtig, dass der Datenaustausch zwischen unseren Partnerteams bisher in diesem Jahr sehr offen gehandhabt wurde. Wir alle arbeiten zusammen, um so viele wertvolle Informationen wie möglich zu sammeln. Es gibt eine sehr produktive Zusammenarbeit und einen echten Teamgeist."

Frage: "Wann wurde der Herstellungsprozess für die 2006er Reifen in Angriff genommen?"
Shorrock: "Im November - aber man darf nicht vergessen, dass die Richtlinien hinsichtlich der Wiedereinführung der Reifenwechsel im Rennen ja nicht vor dem 24. Oktober bestätigt wurden."

Frage: "Wie viele Reifen werdet ihr vor dem ersten Rennen dieser Saison getestet haben?"
Shorrock: "Ungefähr 16.000. Wir probieren ungefähr 2.000 Reifen bei jedem der acht großen Tests aus. Im Moment testen wir ungefähr fünf bis sechs Mischungen und vier bis fünf Konstruktionen bei jedem großen Test."

Intensive Tests für die ersten Saisonrennen

Frage: "Ist die Reifenvorauswahl für eines der Eröffnungsrennen bereits getroffen?"
Shorrock: "Unsere erste Aufgabe war es, Reifen zu entwickeln, die konstanten Speed, Haltbarkeit und Balance mit einem 2006er Chassis an den Tag legen können. Wir sind jetzt gerade dabei, das Gummi auf die spezifischen Rennstrecken maßzuschneidern. Das Wetter in Südspanien ist jetzt milder, wodurch wir bessere Anhaltspunkte für Bahrain und Malaysia erhalten, auch wenn es uns unsere Erfahrung ermöglicht, die Informationen selbst bei Tests mit kalten Bedingungen relativ genau abzuleiten."

"Alle sind weiterhin mit vollem Einsatz bei der Sache." Nick Shorrock

Frage: "Michelin steigt Ende der Saison 2006 aus der Formel 1 aus. Wie wird sich das auf euer Entwicklungsprogramm auswirken?"
Shorrock: "Gar nicht! Alle sind weiterhin mit vollem Einsatz bei der Sache - und unser Forschungsteam kann sich voll auf die Entwicklungen dieser Saison konzentrieren, muss nicht wie in der Vergangenheit seine Zeit zwischen der aktuellen Saison und längerfristigen Projekten aufteilen."

Frage: "Wie denken die Betroffenen in Michelins Motorsportabteilung über die Entscheidung, die Formel 1 zu verlassen?"
Shorrock: "Die Formel 1 gilt weitläufig als die Königsklasse des Motorsports. Michelin hat seit der Rückkehr im Jahr 2001 einen sehr guten Job gemacht, speziell vergangenes Jahr. Es ist schade, dass wir nicht weitermachen, aber alle hier verstehen die Beweggründe für diese Entscheidung. Nächstes Jahr wird das gesamte Formel-1-Personal in neue und gleichermaßen herausfordernde Bereiche innerhalb von Michelin wechseln. Bis dahin ist unsere Motivation ungebrochen."