• 26.06.2010 21:23

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Schumachers Schmerzen: "Wir sind Kämpfer!"

Die Experten verschärfen ihre Kritik, aber Michael Schumacher verbeißt sich weiterhin in seine Aufgabe - Mercedes dementiert Wechselgerüchte

(Motorsport-Total.com) - Lange sind vor allem die deutschen Medien sehr behutsam mit Michael Schumacher umgegangen, doch allmählich baut sich doch öffentlicher Druck auf. Das Comeback des siebenfachen Weltmeisters brachte bisher nicht die von den Fans erhofften und vom Mercedes-Vorstand erwarteten Erfolge, was Nährboden für erste Spekulationen ist.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Nachdenklich: Michael Schumacher erlebt eine seiner schwierigsten Phasen

Denn obwohl Schumacher einen Dreijahresvertrag unterschrieben hat, berichtete eine italienische Internetseite diese Woche, dass Mercedes Kontakt zu Robert Kubica aufgenommen haben soll. Aber: "Wir haben nie mit Robert Kubica gesprochen", stellt Teamchef Ross Brawn klar. "Es gibt keine Verhandlungen. Wir sind mit Michael sehr zufrieden. Wir müssen das Auto hinbekommen, das ist das Hauptthema." Norbert Haug unterstreicht: "Es gab keinerlei Kontakt."#w1#

Druck wird größer

Lediglich "vor einem Jahr, als wir noch Brawn waren, haben wir mit ihm gesprochen, als es um die Zukunftsplanung ging. Seither aber nicht mehr", hält Brawn fest. Aber Tatsache ist, dass die nackten Zahlen mehr und mehr gegen Schumacher sprechen: 34:74 Punkte, 2:7 gewonnene Qualifyings, heute in den beiden Qualifyings um 0,242 (Q1) beziehungsweise 0,607 Sekunden (Q2) langsamer als der um 17 Jahre jüngere Teamkollege Nico Rosberg.

Vor allem die britischen Formel-1-Experten verschärfen daher zunehmen ihre Wortwahl, wenn sie nach Schumacher gefragt werden: "Wenn es ein anderer Fahrer als Michael wäre, dann würde man ihn feuern. Zumindest würde die Presse seinen Kopf fordern, denn die Leistungen in den letzten paar Rennen waren richtig schlecht", findet zum Beispiel Eddie Jordan, der die Vorstellung seines Ex-Fahrers in Montréal als "armselig" bezeichnet.

"Rosberg war am Saisonbeginn stärker und Michael musste aufholen. Wir haben ihm Zeit gegeben. Dann wurde das Auto für ihn umgebaut, aber das hat ihn auch nicht vorangebracht. Er kommt mit der Formel 1 einfach nicht mehr zurecht", fügt der Ire an. David Coulthard ergänzt: "Früher hat er selbst dann tolle Rundenzeiten rausgehauen, wenn das Auto schlecht war. Selbst wenn er ins Auto des Teamkollegen umsteigen musste, war er noch schneller - sogar an einem schlechten Tag."

"Wir haben ihm Zeit gegeben. Dann wurde das Auto für ihn umgebaut, aber das hat ihn auch nicht vorangebracht." Eddie Jordan

Dem DTM-Piloten, ironischerweise ein Mercedes-Markenkollege seines früheren Formel-1-Rivalen, ist in Valencia zudem eine Schwäche aufgefallen: "Manchmal fährt er mit dem Boxengassen-Geschwindigkeitsbegrenzer. Das ist einfach schlampig", kritisiert Coulthard und findet scharfe Worte für Schumacher: "Er ist ein siebenfacher Weltmeister, der wissen sollte, wie man richtig schaltet. Der Begrenzer kostet Rundenzeit und überhitzt den Motor."

Angesichts solcher Expertenmeinungen stellen sich viele die Frage: Wie lange wird der einstige Seriensieger noch brauchen? "Wofür?", antwortet 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer mit einer Gegenfrage. "Er war am Anfang eine halbe Sekunde langsamer als Nico, jetzt sind es vielleicht noch zwei Zehntel. Er ist näher herangekommen, aber wenn das Auto nicht besser wird, werden wir auch nicht viel mehr sehen."

Ende der Fahnenstange schon erreicht?

Der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer glaubt, dass man keine enorme Leistungsexplosion erwarten sollte: "Vom reinen Speed her ist er wohl schon auf dem Level, auf dem er sein wird", vermutet Surer, fügt aber an: "Dass er ein Winnertyp ist, der seine Chance nutzen kann, wenn sich eine bietet, das wissen wir. Dann muss man abwarten, was er daraus macht, wenn das Auto einmal vorne fährt. Den Killerinstinkt hat er jedenfalls noch."

"Den zeigt er uns bei den Zweikämpfen weiter hinten", fährt er fort. "Er hat schon noch diese letzte Konsequenz, um jeden Meter zu kämpfen. Was aber wahrscheinlich ein bisschen fehlt, ist der reine Speed. Nico hat uns überrascht, das hat man in der Form nicht erwartet. Vettel und Hamilton hätte man es zugetraut, Nico eher nicht. Ich hätte gedacht, dass es ausgeglichener sein würde, aber dass er immer dieses Quäntchen schneller ist, wenn er nicht gerade ein Problem hat, spricht für Nico."

Schumacher hat sich zwar die niedrigere Startnummer gesichert, doch gemessen an Erfolgen ist er derzeit bei Mercedes nur die Nummer zwei - eine ungewohnte Situation für einen ehemaligen Seriensieger, der seine Teamkollegen stets sicher im Griff hatte. Dass Ergebnisse wie zuletzt in Montréal und heute in Valencia, wo er erneut das Top-10-Qualifying verpasste, nicht spurlos an ihm vorbeigehen, versteht sich von selbst.


Fotos: Michael Schumacher, Großer Preis von Europa, Samstag


Aber: "Wenn du so lange im Geschäft bist, weißt du, dass du solche Tage und Phasen erleben wirst. Du kannst nicht immer vorne sein, aber gerade in Zeiten wie diesen musst du deine Stärken zeigen, die richtigen Entscheidungen treffen", sagt Teamchef Brawn. "Aber es sind schon Schmerzen, denen wir im Moment ausgesetzt sind." Nachsatz: "Wenn du mit diesem Schmerz nicht umgehen kannst, dann solltest du besser aufhören."

Schumacher kann das offenbar: "Wir sind Kämpfer! Wir kennen das Geschäft lange genug", winkt er ab. "Ich bin schon lange genug dabei und hatte schon schlimmere Schmerzen. Das alles gehört zum Prozess dazu und irgendwie bereitet es sogar Freude. Klar, ich bin nicht glücklich über Platz 15, aber sobald es Fortschritte gibt - und die werden kommen, da bin ich mir sicher -, wird die Belohnung dann umso schöner sein."

Schumacher denkt langfristig

Von externen Störgeräuschen lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen: "Ich denke nicht von Rennen zu Rennen und hoffe auf ein gutes Einzelergebnis, sondern ich sehe das als Dreijahresprogramm", verweist er auf seinen Vertrag. "Natürlich dachten wir, dass wir schon dieses Jahr näher dran sein würden, aber das ist nicht der Fall. Wir müssen die Gründe dafür verstehen und uns da rausarbeiten, wie ich das in der Vergangenheit auch gemacht habe. Deswegen sind wir hier."

Dass er vorzeitig das Handtuch werfen und damit erstmals in seiner Karriere ein Projekt ohne Erfolg abschließen wird, kann sich kaum jemand vorstellen. Aber: "Es kommt sicher drauf an, wie das Auto nächstes Jahr ist. Wenn es so weitergeht wie in diesem Jahr, dann würde es mich nicht wundern, wenn er sagt: Okay, das langt jetzt", so Experte Surer, der nur einen Teamwechsel kategorisch ausschließt: "Wohin soll er denn gehen?"

¿pbvin|512|2822||0|1pb¿Im Moment verbeißt sich Schumacher aber ganz in seine Aufgabe - und die heißt, den Mercedes-Silberpfeil schneller zu machen. Umso bedauerlicher ist, dass die umfassenden Änderungen des MGP W01 für Valencia nicht wie erhofft angeschlagen haben: "Die Jungs in der Fabrik haben gute Arbeit geleistet, denn wenn wir Benzin ins Auto füllen, sind wir stark. Das war in Kanada genauso", sieht der 41-Jährige auch etwas Positives.

Das ändert aber nichts am Grundsatzproblem, das alles andere überschattet: "Die Reifen harmonieren nicht mit dem Auto. Die anderen werden schneller, wenn sie die weichen Reifen aufziehen, aber wir nicht", fällt Schumacher auf. "Ich hatte heute auch noch andere Probleme, denn das Handling war nicht so wie erwartet, aber unsere Performance in Kanada und hier war definitiv nicht so, wie sie sein sollte."

Der Teamchef teilt die Ansicht seines Fahrers: "Mit viel Benzin war unsere Performance am Freitag recht ermutigend", gibt Brawn zu Protokoll. "Wenn die Reifen drei oder vier Runden angefahren sind und wir Benzin an Bord haben, ist unsere Performance brauchbar, aber auf eine schnelle Runde haben wir Schwierigkeiten. Nach Montréal haben wir einige Dinge geändert, aber die scheinen nicht zu funktionieren."

Technische Probleme im Qualifying

Und wenn es nicht läuft, dann läuft es eben nicht: "Sein Auto zog immer nach rechts, wenn er bremste", bestätigt Brawn, dass Schumacher heute gehandicapt war. Zudem gab es Probleme mit dem neuen Auspuffsystem, das in Valencia erstmals eingesetzt wird: "Einige Teile haben überhitzt, aber das ist die Herausforderung dieses Reglements, wenn man nicht testen darf. Man muss alles am Freitag an der Strecke ausprobieren."

Wenn das dann nicht wie erhofft funktioniert, fliegt man bei der enormen Leistungsdichte in der modernen Formel 1 eben gleich mal aus den Top 10 raus. Schumacher nahm bis zum Qualifying in Montréal alle Rückschläge recht gelassen, aber derzeit häufen sich die Interviews, in denen er schlecht gelaunt ist. Surer: "Da er kein Auto hatte, mit dem er gewinnen konnte, war es am Anfang nicht so tragisch, ob er Fünfter oder Sechster wurde."

"In dem Moment, wo er ein Auto hat, mit dem man Rennen gewinnen kann - und Nico gewinnt damit dann auch -, würde es an ihm zu nagen beginnen", glaubt der Schweizer. "Aber da wenig möglich war, war es weniger tragisch, ob er vor oder Nico ins Ziel kam. Da ging es eher ums Gesamtbild. Wenn du dann aber nicht einmal mehr in die Top 10 kommst, stehst du gegenüber dem Teamkollegen als Loser da. Das tut jedem weh, jedem! Dafür muss man nicht Michael Schumacher heißen."

Michael Schumacher

Der Blick auf den Zeitenmonitor verheißt derzeit nur selten etwas Gutes... Zoom

Doch Schumacher zeichnet aus, dass er trotz der schwierigen Situation den Kopf nicht hängen, die Kritik von sich abprallen lässt und hart arbeitet - an sich selbst wie auch am Auto. Sollte er eines Tages wieder Grands Prix gewinnen, würde der Sieg nach überwundener Krise noch süßer schmecken - und dass er eines Tages wieder auf das mittlere Treppchen hüpfen wird, daran hat der Mercedes-Superstar nicht den geringsten Zweifel.

Sogar für 2010 will er einen Sieg nicht ausschließen: "In Kanada war Nico phasenweise der schnellste Mann auf der Strecke, wenn er freie Fahrt hatte. Das zeigt mir, dass das Auto ein potenzielles Siegerauto ist, wenn bestimmte Umstände eintreten", erklärt Schumacher. "Warum wir im Qualifying nicht schneller sind, ist uns noch ein Rätsel, aber wenn dieses Rätsel einmal gelöst ist, dann können wir auch dieses Jahr noch Rennen gewinnen..."