• 03.08.2006 19:00

  • von Inga Stracke

Schumacher: "Können extrem große Zuversicht haben"

Michael Schumacher im ausführlichen Interview über seine WM-Situation sowie diverse Spekulationen rund um das rotierende Transferkarussell

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, in Monaco warst du nach der Rascasse-Affäre noch für alle der große Sündenbock, aber nach den jüngsten Erfolgen wirst du in den Medien wieder als Held dargestellt. Ist es eine besondere Befriedigung, wenn man eine Situation so umdrehen kann?"
Michael Schumacher: "Es ist sicherlich weniger diese Situation, die mich befriedigt, sondern es ist eher so, dass wir vor drei Rennen noch 25 Punkte Rückstand hatten und die Meisterschaft in weiter Ferne war. Auch wenn ich sie sicher nicht aufgegeben hatte, wurde es natürlich immer schwieriger für uns. Innerhalb der letzten drei Rennen haben wir aber so viele Punkte aufgeholt, wie wir uns das sicher nicht vorgestellt hatten. Darüber sind wir natürlich extrem zufrieden - und auch damit, dass wir in den nächsten Rennen und bis Saisonende sehr stark sein sollten."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher wirkt so optimistisch wie schon lange nicht mehr

Frage: "Ist es dir lieber, eine Weltmeisterschaft schon in Magny-Cours zu gewinnen, wie es ja schon mal der Fall war, oder erst beim letzten Rennen, wie es dieses Jahr passieren könnte?"
Schumacher: "Ich persönlich hatte mit Magny-Cours damals überhaupt kein Problem!"#w1#

WM-Kampf setzt noch einmal Kräfte frei

Frage: "Nach allem, was im vergangenen und Anfang dieses Jahres passiert ist: Wie sehr willst du dieses WM-Finale, das sehr spannend zu werden scheint, gewinnen?"
Schumacher: "Natürlich sehr! In der Position, in der wir jetzt sind, können wir extrem große Zuversicht haben, entsprechende Freude und Motivation zusätzlich freimachen, denn vor drei Rennen hätte noch niemand geglaubt, dass wir uns in der Kürze der Zeit so weit entwickeln können. Wer weiß, was in den nächsten Rennen noch möglich ist. Von daher bin ich extrem optimistisch, motiviert - und ich habe eine Riesengaudi!"

"Wenn man schon 25 Punkte Rückstand hatte und diese dann so aufholen kann, dann verleiht einem das einen Schub." Michael Schumacher

Frage: "Was geht in dir vor, wenn du jetzt hier sitzt und nur noch elf Punkte Rückstand hast? Setzt das noch einmal Kräfte frei?"
Schumacher: "Irgendwie schon, denn wenn man schon 25 Punkte Rückstand hatte und diese dann so aufholen kann, dann verleiht einem das einen Schub. Der Titel ist jetzt sehr realistisch, was vor drei Rennen noch nicht der Fall war. Ich liebe es, in einer solchen Position zu sein. Wie gesagt: Ich habe sehr viel Spaß und freue mich über die Situation, in der ich mich jetzt befinde. Wenn man an den Saisonbeginn geht und elf Punkte nimmt, dann wäre das kein netter Rückstand, aber wenn man alles in Betracht zieht, was schon passiert ist, dann ist es fantastisch, den Punkterückstand so reduziert zu haben."

Frage: "Wie hast du dich in dem Moment gefühlt, als du nach deinem Sieg in Hockenheim ins Helmmikrofon gebrüllt hast: 'Jungs, wir haben es wieder in der eigenen Hand!' Was ist da von dir abgefallen?"
Schumacher: "Ich würde nicht sagen, dass da etwas abgefallen ist, weil sich das ja sukzessive aufgebaut hat. Nur ein technischer Defekt hätte das noch stoppen können. Insofern hatte ich im Rennen Zeit, die Rechenaufgaben zu machen, um zu wissen, wo ich am Ende landen und wie die Punkteverteilung aussehen würde. Ich würde nicht behaupten, dass das ein großer Gefühlsausbruch war, sondern schon eine große Freude, aber sofort mit dem Blick auf das nächste Rennen und darauf, was nun passieren kann."

Frage: "Die meisten Fahrer glauben weiterhin, dass Fernando Alonso Weltmeister wird. Was sagst du dazu?"
Schumacher: "Ich würde ihnen gerne das Gegenteil beweisen!"

Massa könnte zum Zünglein an der Waage werden

Frage: "Warum werdet ihr es aus deiner Sicht noch schaffen?"
Schumacher: "Weil wir im Moment extrem stark sind und ich das aus eigener Kraft schaffen könnte. Vom Auto her sind wir so gut, dass Felipe (Massa; Anm. d. Red.) Alonso auch im Griff haben könnte."

"Wer ist nicht lieber in der Situation des sich stärker Fühlenden?" Michael Schumacher

Frage: "Um wie viel ist dir die Jägerrolle lieber als die des Gejagten?"
Schumacher: "Persönlich hatte ich nie ein Problem damit, wenn der Punktevorsprung groß genug war. Wer ist nicht lieber in der Situation des sich stärker Fühlenden? Man muss sicherlich ganz klar sagen, dass wir uns mit der Leistung der letzten und wahrscheinlich auch der kommenden Rennen relativ komfortabel fühlen können."

Frage: "Fernando Alonso steht jetzt unter Druck. Inwiefern hast du das Gefühl, dass er nervös werden könnte?"
Schumacher: "Das ist ziemlich viel, was da hineininterpretiert werden wird in nächster Zeit. Für mich ist wichtig, dass wir in der Position sind, in der wir uns im Moment befinden - dass wir eine gewisse Stärke an den Tag legen können, in Hockenheim sogar eine Dominanz, die wir aufrechterhalten wollen. Das ist viel wichtiger als irgendwelche psychischen Allüren, die sich vielleicht mitentwickeln."

Frage: "Bridgestone hat in den vergangenen Monaten große Fortschritte gemacht. Wie lange wird dieser Vorteil noch anhalten, bis Michelin wieder nachziehen kann?"
Schumacher: "Solange wie möglich, hoffe ich. Ich kann mich aber nicht in die Konkurrenz hineinversetzen und kenne auch nicht den Status quo. Wir hatten vor Beginn der Sommertestpause einen großen Test, bei dem es uns gelungen ist, alle Umstände besser zu verstehen. Unser Auto funktioniert in der Kombination mit den Bridgestone-Reifen perfekt. Der Erfolg ist das Resultat davon."

Bridgestone momentan im Vorteil

Frage: "Liegt euer derzeitiger Vorsprung hauptsächlich an den Reifen?"
Schumacher: "Das liegt nicht nur an den Reifen. Auch in der Vergangenheit hatten wir teilweise einen guten Reifen, aber wir haben es am Auto nicht wirklich umsetzen können oder haben gewisse Fehler gemacht. Es liegt an der Gesamtheit, dass wir sowohl die Reifen sehr gut verstehen und auch Fortschritte gemacht haben, wie man an allen anderen Teams wie Toyota und Williams sehen kann, die auch stärker geworden sind, aber allein der Reifen macht einen eben nicht zum Gewinnerteam, sondern dazu gehört auch ein gutes Auto, mit dem man es umsetzen kann."

Michael Schumacher vor Fernando Alonso

Der Zweikampf zwischen Schumacher und Alonso geht in die nächste Runde Zoom

Frage: "Fernando Alonso sagt, dass euer Vorteil noch bis Monza anhalten könnte, aber danach erwartet er Renault wieder stärker. Siehst du das auch so?"
Schumacher: "Da bin ich mir sicher. Sie werden nicht aufgeben, zurückfighten und ihre Möglichkeiten bekommen. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir diesen Schwung so lange wie möglich nutzen, um gleichzuziehen und vielleicht sogar einen Vorsprung aufzubauen, bevor sie wieder richtig stark werden."

Frage: "Momentan wird viel über die Reifen, über die Schwingungstilger und so weiter gesprochen, aber wie groß schätzt du den Anteil der Fahrer auf den Ausgang der Weltmeisterschaft ein?"
Schumacher: "Wie viele Punkte hat Fisichella im Verhältnis zu Alonso? Wie viele Punkte habe ich im Verhältnis zu meinem Teamkollegen? Das ist der beste Gradmesser, um Unterschiede darzustellen. Selbst wenn der Unterschied nicht so groß wäre, nur halb so groß etwa, ist trotzdem einer meistens etwas besser als der andere. Genau das ist das, was entscheidend ist, um eine Meisterschaft zu gewinnen oder nicht. Das kann man nicht in Zeit ausdrücken, sondern das ändert sich. Wir haben ja in Hockenheim und Indianapolis gesehen, dass Fisichella die Oberhand hatte, aber man muss es über das gesamte Jahr sehen."

Frage: "Was hältst du von deinem Teamkollegen Felipe Massa? Ist er dir eine Hilfe?"
Schumacher: "Er ist ein paar sehr gute Rennen gefahren, hatte aber ein paar Aufwärmprobleme, was ganz normal ist, wenn man in ein neues Team kommt. Auch all meine anderen Teamkollegen haben anfangs immer ein bisschen Zeit gebraucht. Er macht aber einen Superjob."

Renningenieur ein wichtiger Erfolgsfaktor

Frage: "Du bist einer, der immer das ganze Team in den Mittelpunkt stellt. Wie funktioniert dein Verhältnis zu deinem Renningenieur Chris Dyer und wie kommst du persönlich mit ihm aus?"
Schumacher: "Chris ist sicherlich immens wichtig, denn er ist der Mann, der direkt am Auto ist und mit dem ich alles, was das Auto angeht, bespreche, wonach letzten Endes auch die Umsetzung erfolgen muss, das Auto so einzustellen, wie es notwendig ist. Da muss blindes Verständnis herrschen, und das kann nur dann herrschen, wenn es nicht nur ein professionelles Arbeitsverhältnis gibt, sondern wenn sich über all die Jahre auch eine Freundschaft entwickelt hat. Bevor er in dieser Rolle war, war er ja schon in der zweiten Ingenieursrolle, hatte das Auto auf elektronischer Seite im Griff. Insofern sind es jetzt schon viele Jahre, in denen wir gut zusammenarbeiten. Wir kennen uns sehr gut."

"Ich sehe nicht unbedingt den Punkt, dass wir wetter- oder temperaturabhängig sind." Michael Schumacher

Frage: "Normalerweise ist es in Ungarn sehr heiß, zumindest heute aber noch nicht. Macht das einen Unterschied für euch?"
Schumacher: "Das glaube ich nicht. Ich sehe nicht unbedingt den Punkt, dass wir wetter- oder temperaturabhängig sind, um Erfolg oder Misserfolg zu haben."

Frage: "Ihr hattet in diesem Jahr oft Probleme mit dem schmalen Temperaturfenster der Reifen. Ist es dann nicht ein Widerspruch, wenn du sagst, dass euch die niedrigen Temperaturen hier nicht wehtun werden?"
Schumacher: "Wir wissen ja, dass die Temperaturen tiefer sind, und haben dementsprechend die Möglichkeiten, uns darauf einzustellen. In der Entscheidung, welche Reifen wir nehmen, spielt das natürlich schon eine Rolle. Das Wissen über die Reifen ist in dieser Hinsicht sehr viel wichtiger. Das hatten wir zu gegebener Zeit teilweise nicht."

Ferrari versteht diverse Parameter jetzt besser

Frage: "Wie optimistisch bist du für dieses Rennen?"
Schumacher: "Sehr, denn wir haben uns in den letzten Wochen sehr gut vorbereitet und das Auto gut getestet. Wir verstehen die Umstände viel besser, was nicht immer der Fall war. In Australien haben wir die Situation zum Beispiel falsch eingeschätzt, was die Reifen angeht. Darin sind wir jetzt viel präziser und besser. Daher bin ich sehr zuversichtlich für hier und den Rest der Saison."

"Ich könnte nicht behaupten, dass ich vom Kommunismus irgendetwas mitbekommen habe." Michael Schumacher

Frage: "Vor 20 Jahren wurde hier zum ersten Mal gefahren, du warst zum ersten Mal 1992 hier - damals noch unter fast kommunistischen Bedingungen. Wie hat sich die Stadt seither verändert?"
Schumacher: "Ich könnte nicht behaupten, dass ich vom Kommunismus irgendetwas mitbekommen habe. Für mich war es immer angenehm, hierher zu kommen, und ich fand die Atmosphäre immer sehr schön."

Frage: "Wie darf man sich deine Vorbereitung auf Istanbul vorstellen? Komplett abschalten, Simulator, stehst du in Kontakt mit den Technikern?"
Schumacher: "Ich werde sicher ein bisschen Urlaub machen und mich dann dementsprechend darauf vorbereiten, auch fit für die Aufgaben in Istanbul und danach zu sein. Ich werde die Phase zum Regenerieren nutzen, um dann auch wieder aufbauen zu können."

Frage: "Momentan gibt es viele Spekulationen über die Fahrerbesetzungen, auch über dich. Dein Bruder Ralf Schumacher meint, dass das alles Quatsch ist, der nur belastet. Wie siehst du das?"
Schumacher: "Das gehört zum Business."

Frage: "Dein Manager Willi Weber rät dir dazu, nach einem eventuellen achten WM-Titel aufzuhören..."
Schumacher: "Das hat er mir auch geraten. Es ist ja auch legitim, dass er mir gewisse Vorschläge macht. Ob ich die dann annehme oder nicht, das werden wir sicherlich noch zusammen besprechen. Den Gedanken hat nicht nur er, den hatten vielleicht auch schon manche andere. Jeder muss seine eigene Entscheidung treffen. Für mich ist es nicht wirklich wichtig, wie der Ausgang letzten Endes entstehen wird, sondern da gibt es viele andere Punkte, die wichtig sind. Bis Monza habe ich ja Zeit, mir darüber Gedanken zu machen."

Frage: "Es sind noch 38 Tage bis Monza. Denkst du jetzt jeden Tag darüber nach? Wie läuft so ein Entscheidungsprozess ab?"
Schumacher: "Da gibt es diese berühmte Sonnenblume..."

Schumacher schweigsam zu Transfergerüchten

Frage: "Eine finnische Zeitung berichtet heute, dass Kimi Räikkönen einen mit 160 Millionen Euro dotierten Fünfjahresvertrag bei Ferrari unterschrieben haben soll. Was denkst du darüber?"
Schumacher: "Das ist ja nichts Neues, also gibt es keinen Kommentar dazu."

Ross Brawn und Michael Schumacher

Wie lange macht das Traumduo mit Brawn und Schumacher noch weiter? Zoom

Frage: "Gerüchten zufolge wird Ross Brawn 2007 eine Pause einlegen. Könnte das deine Entscheidung beeinflussen?"
Schumacher: "In erster Linie gehen wir von der Vermutung von 'Autosport' aus. Aus der Vermutung heraus gehen wir in die nächste Vermutung, dass jemand gesagt hat, dass das für mich wichtig ist. Das sind zu viele Vermutungen. Ich möchte darauf nicht eingehen, ob oder ob das nicht wichtig oder ein Grund der Entscheidung sein wird. Dazu werde ich dann in Monza mehr sagen."

Frage: "Glaubst du, dass die Konkurrenz die Gerüchte um Ross Brawn gestreut haben könnte, um euch zu destabilisieren?"
Schumacher: "Zunächst einmal sehe ich nichts, was uns destabilisieren könnte. Wir alle kennen die Gerüchte und können damit Leben. Das ist kein Thema, speziell nicht in unserer Situation."

Frage: "Würde es dir etwas ausmachen, ohne Ross Brawn zu fahren, schließlich hast du die meisten deiner Rennen mit ihm gewonnen..."
Schumacher: "Warum müssen wir Diskussion führen? Worin liegt der Sinn? Es kann so oder so kommen."

Freude über Verträge für Rosberg und Wurz

Frage: "Nico Rosberg wurde diese Woche als Stammfahrer bei Williams für 2007 bestätigt. Dein Kommentar dazu?"
Schumacher: "Das freut mich für ihn, aber überraschend ist es natürlich nicht, denn er hat gute Leistungen gezeigt in diesem Jahr. Insofern ist das natürlich eine logische Schlussfolgerung."

Frage: "Der zweite neue Vertrag ist der von Alexander Wurz..."
Schumacher: "Das ist sicherlich überraschend. Ich kenne die Hintergründe nicht, aber Alex hat bei den Testfahrten sicherlich gute Leistungen gezeigt und sein Team von sich überzeugen können. Ob mehr dahinter steckt oder nicht, weiß ich nicht."

"Ich habe mehrfach erwähnt, dass Robert in den Freitagssitzungen sehr gute Leistungen gezeigt hat." Michael Schumacher

Frage: "Robert Kubica wird an diesem Wochenende sein erstes Rennen fahren. Deine Meinung dazu?"
Schumacher: "Das freut mich natürlich für ihn. Ich habe mehrfach erwähnt, dass er in all diesen Freitagssitzungen immer sehr gute Leistungen gezeigt hat, von vornherein bei der Pace war und das super umgesetzt hat. Insofern ist das ein ganz normaler Werdegang und eine vernünftige Entscheidung, ihm diese Möglichkeit zu geben, sich auch unter Rennbedingungen zu beweisen."

Frage: "Dein früherer Teamchef Flavio Briatore musste sich kürzlich einen bösartigen Tumor entfernen lassen. Wie sehr beschäftigt einen das, wenn plötzlich jemand so krank wird, von dem man das nie erwartet hätte?"
Schumacher: "Ob das nicht zu erwarten war, muss man dahingestellt lassen, denn leider Gottes ist Krebs eine Volkskrankheit, die überall zu jeder Zeit vorkommen kann und die auch ein bisschen mit dem Lebenswandel zu tun hat. Derjenige wird dann ein bisschen früher oder eben später davon betroffen sein, aber es macht einen definitiv betroffen. Man kann sich im Wettbewerb bekämpfen, aber das heißt nicht, dass man nicht ganz anders denkt, wenn jemand privat betroffen ist. Ich freue mich für ihn, wenn das Ganze positiv ausgeht, denn er ist eine der Figuren, die der Formel 1 gut tun."

Frage: "Du bist Botschafter für die Darmkrebsforschung. Lässt du dich auch regelmäßig auf andere Krebsarten hin untersuchen?"
Schumacher: "Es ist mittlerweile eine Volkskrankheit. Niemand kann sich davon befreien, dass es irgendwann mal jeden von uns treffen könnte, insofern gibt es Vorsorgeuntersuchungen. Die mache ich schon regelmäßig."