• 18.08.2005 18:06

Schumacher: "Frisches Blut kann Positives bewirken"

Freude über Massa und ein weinendes Auge wegen Barrichello bei Michael Schumacher, der Istanbul nicht mit Spa vergleichen will

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, wie ist dein erster Eindruck von der Strecke?"
Michael Schumacher: "Recht positiv. Sie sieht sehr übersichtlich aus. Man hat vielleicht weniger Probleme als auf der einen oder anderen Rennstrecke - Shanghai zum Beispiel -, die Linienführung zu erkennen. Das ist zumindest der Eindruck, den ich auf dem Moped gewonnen habe. Natürlich kann sich das noch ändern."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher heute Nachmittag bei seiner ersten Runde in Istanbul

"Es geht einigermaßen bergauf und bergab, was das Ganze aber recht interessant machen dürfte. Es gibt zwei Kurven, die so ein bisschen bergab hängen, wo man den Grip ein bisschen verliert, und es gibt auch Kurven, die vom Gefühl her wie eine Art Steilwand sind. Dort wird der Grip höher sein. Es ist also gut gemischt, von allem etwas dabei. Und die Strecke ist sehr sicher, was uns sehr wichtig ist."#w1#

Istanbul laut Schumacher nicht so spektakulär wie Spa

Frage: "Ist die Strecke - vor allem hinsichtlich der Höhenunterschiede - mit einer anderen Strecke vergleichbar?"
Schumacher: "Es gibt viele Leute, die die Strecke mit Spa vergleichen möchten, aber den Vergleich sehe ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht ist sie am ehesten mit dem neuen Nürburgring vergleichbar, was die Höhenunterschiede angeht, denn die sind nicht so extrem, wie ich zunächst gedacht hätte."

Frage: "Ist dir eine Besonderheit an der Strecke aufgefallen, als du sie mit dem Motorroller abgefahren bist?"
Schumacher: "Das würde ich viel lieber erst morgen beurteilen, wenn ich mit dem Auto gefahren bin, denn mit dem Scooter versuche ich nur, mir die Kurvenkombinationen einzuprägen, ohne mir dabei ein Bild über die Linienwahl zu machen und wie die sich auswirken wird, welchen Speed man in welcher Kurve fahren kann. Das kann man mit dem Scooter einfach nicht so gut umsetzen."

Frage: "In einer anderen Pressekonferenz wurde heute sehr lange über die Kurve acht gesprochen..."
Schumacher: "Das liegt wahrscheinlich daran, dass das eine sehr lange Kurve ist..."

Frage: "Stimmt es, dass die Anforderungen an die Muskulatur hier höher sein werden als auf anderen Strecken?"
Schumacher: "Die Anforderungen sind deswegen höher, weil es eine Linksstrecke ist. Darauf muss man sich dementsprechend vorbereiten, die Nackenmuskeln im Speziellen."

Erlernen einer neuen Strecke nicht einfach

Frage: "Was ist das Schwierigste, wenn man an eine neue Strecke kommt?"
Schumacher: "Dass man das Auto gleichzeitig einstellen muss, während man selbst auch noch am Lernen ist. Wenn man die Linie kennt und nur das Auto einstellen muss, ist das weniger schwierig als so."

Frage: "Es gibt in der Formel 1 den Trend, ganz neue Szenerien, ganz neue Rennstrecken aufzubauen, aber dafür bleiben viele traditionellere Kurse wie beispielsweise der Nürburgring langfristig vielleicht auf der Strecke. Wie stehst du zu diesem Trend?"
Schumacher: "Es ist bei jedem Sportler so und bei jedem Menschen, der normal arbeitet: Irgendwann ist die Zeit rum, irgendwann gibt es etwas Neues. Natürlich ist das einerseits schade, aber auf der anderen Seite kann man den Fortschritt nicht aufhalten."

Frage: "Du warst heute Morgen bei einer Pressekonferenz, die live auf drei Kanälen übertragen wurde. Du wurdest unglaublich euphorisch empfangen. Wann ist dir so etwas zuletzt passiert?"
Schumacher: "Ich fand das ehrlich gesagt gar nicht so spektakulär. Es waren schon einige Medienvertreter da, aber wenn ein Grand Prix neu im Kalender ist, ist das nichts Ungewöhnliches."

Frage: "Wie gefällt dir Istanbul?"
Schumacher: "Schön! Wir waren gestern Abend schon hier, meine Frau und ich, und wir haben die Aussicht auf den Bosporus mit fast Vollmondatmosphäre genießen können. Das war sehr schön."

Schumacher hat keine Angst vor dem Terror

Frage: "Leider gehört Istanbul auch zu den Städten der Welt, in denen es schon Terrorakte gegeben hat. Mit welchen Gefühlen bist du hier, auch in Bezug auf deine Frau?"
Schumacher: "Corinna und ich sind hier, aber wir waren beide auch in London an dem Tag, als es passiert ist. Wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann es überall passieren. Das ist nun einmal so. Ich denke, die Sicherheitsvorkehrungen sind sehr groß, wie man das auch in den Hotels sieht. Der Rest ist Schicksal. Wenn man in Ballungsräume und große Städte kommt, dann ist das Risiko generell höher als woanders, aber dafür sind auch die Sicherheitsvorkehrungen größer."

Frage: "Habt ihr Neuerungen am Auto hier?"
Schumacher: "Meines Wissens nicht, nein."

Frage: "Du giltst auf neuen Rennstrecken als fast unschlagbar. Wie siehst du die Chancen, dass sich das auch hier bewahrheiten wird?"
Schumacher: "Fakt ist, dass ich mich generell mit neuen Situationen sehr gut arrangieren kann. Die letzten Jahre ist es sicherlich auch zu unseren Gunsten gelaufen, weil wir immer das stärkste Paket hatten - egal ob neu oder alt: Wir waren Favoriten. Insofern weiß ich nicht, ob man die Situation mit der Vergangenheit vergleichen kann, denn wir kommen nicht als Topfavoriten hierher, aber schon mit Möglichkeiten."

Frage: "Was hast du für ein Gefühl für dieses Wochenende?"
Schumacher: "Ich möchte meine Skepsis wie in Ungarn beibehalten, denn Vorhersagen sind so schwierig. In Ungarn hätte ich niemals geglaubt, dass wir so konkurrenzfähig sein würden. Wer weiß, wie es hier laufen wird..."

"Setzen die Prioritäten etwas mehr für die Zukunft"

Frage: "Ihr testet ja auch schon den V8-Motor. Heißt das, dass weniger am diesjährigen Auto gearbeitet wird oder läuft das parallel?"
Schumacher: "Das geht sicherlich parallel, aber verhältnismäßig würden wir sicher die Konzentration mehr auf das diesjährige Auto legen, wenn wir noch im WM-Kampf stehen würden. Da das nicht der Fall ist, setzen wir die Prioritäten etwas mehr für die Zukunft."

Frage: "Für deinen langjährigen Betreuer Balbir Singh ist Istanbul das letzte Rennen. Ist da auch ein bisschen Wehmut dabei?"
Schumacher: "Mit Sicherheit, aber auf der anderen Seite ist die Situation sicher nicht so, dass die Freundschaft deswegen verschwindet, sondern wir bleiben dennoch in Kontakt."

Frage: "Rubens Barrichello hat gesagt, dass er nur Weltmeister werden kann, wenn er Ferrari verlässt. Was sagst du dazu?"
Schumacher: "Ich wünsche ihm viel Glück dabei! Es ist sicherlich schade, dass er uns verlässt, aber auf der anderen Seite muss man das respektieren und akzeptieren. Ob es ihn weiter nach vorne bringen wird, wird sich erst herausstellen. Wir hatten aber eine sehr gute Zeit zusammen. Ich hoffe, dass er mir weiterhin seine E-Mails schickt, denn die waren manchmal ziemlich lustig! Wir hatten auf und neben der Strecke gute Tage, manchmal sehr schöne Zweikämpfe."

Frage: "Ist es schwierig, Weltmeister zu werden, wenn man einen Teamkollegen wie dich hat?"
Schumacher: "Wenn man sich die letzten fünf Jahre ansieht, könnte das der Schluss sein, den man ziehen muss..."

Barrichello Schumachers bisher bester Teamkollege?

Frage: "War er dein bisher bester Teamkollege?"
Schumacher: "Vielleicht schon, denn er war einer der Schnellsten, die ich hatte."

Frage: "Hat es dich überrascht, dass er weggeht?"
Schumacher: "Ja, schon. Ich meine, auf der einen Seite muss man ganz klar sagen, dass er auch für nächstes Jahr noch einen Vertrag hatte. Jean (Todt; Anm. d. Red.) und das Ferrari-Team waren in der Hinsicht sehr rücksichtsvoll und haben auf seine Gefühle sehr viel Rücksicht genommen und ihn freigegeben, was glaube ich nicht jeder machen würde."

Frage: "Was hättest du an seiner Stelle getan?"
Schumacher: "Ich bin nicht in seiner Position. Das ist sehr hypothetisch."

Frage: "Verstehst du seine Entscheidung?"
Schumacher: "Lass es mich so sagen: Es ist noch nicht allzu lange her, da war er noch der Meinung, dass er lieber hier bleibt, weil es einfach ist, ein paar Rennen zu gewinnen und auf dem Podium zu landen, auch wenn man vielleicht nicht Weltmeister wird. Das ist die andere Seite, die man einwerfen kann. Im Endeffekt gibt es halt nur einen Sieger."

Frage: "Seit wann weißt du, dass er nicht mehr für Ferrari fahren wird?"
Schumacher: "Etwas länger als ihr Journalisten."

Keine Angst vor dem Zweikampf mit Massa

Frage: "Felipe Massa, einer aus der jungen Garde, wird dein Teamkollege. Hast du das Gefühl, dass er dich schlagen könnte - oder stellst du dich diesem Zweikampf gerne?"
Schumacher: "Deswegen machen wir das Ganze hier ja, dass man sich miteinander misst und versucht, seine Kollegen zu besiegen. Felipe Massa ist in meinen Augen eine sehr gute Lösung für das Ferrari-Team, eine sehr gute Alternative im Verhältnis zu Rubens, der sich ja entschieden hat, uns zu verlassen. Insofern haben wir da eine gute Paarung, auch für die Zukunft. Frisches Blut kann manchmal etwas Positives bewirken."

Frage: "Er war 2003 schon einmal Testfahrer bei euch. Wie hast du ihn von damals in Erinnerung?"
Schumacher: "Er war damals noch ziemlich grün hinter den Ohren und jung. Er hat seither aber viel Erfahrung gesammelt und sich sehr verbessert. Er ist schnell, hat das Naturtalent, was am wichtigsten ist - und wenn man sich seine bisherigen Teamkollegen anschaut und was die danach gemacht haben, dann sieht er ziemlich gut aus. Ich glaube, dass er einer der Spitzenfahrer ist, einer wie Alonso oder Räikkönen. Ob er genauso gut ist oder nahe dran an den beiden, wissen wir nicht, denn er kann im Moment nicht seinen wahren Wert zeigen. Aber er ist definitiv ein schneller Kerl."

Frage: "Würdest du dir wünschen, dass er die letzten Rennen dieser Saison auch schon für Ferrari fahren darf?"
Schumacher: "Die Frage stellt sich nicht."

Frage: "Siehst du Sauber-Petronas als gute Vorbereitung, weil sie eure Motoren gefahren sind und weil du das Team ja auch sehr genau beobachtest?"
Schumacher: "Lass es mich so sagen: Felipe hat über die Jahre sehr viel Erfahrung sammeln können in dem Team, hat gute Teamkollegen gehabt. Wir hatten den Vorteil, ihn sehr genau beobachten zu können, weil wir durch die Motorenkombination, die Sauber benutzt, etwas mehr Informationen über ihn haben. Insofern glaube ich schon, dass da eine ziemlich große Steigerung in den letzten Jahren vonstatten gegangen ist bei Felipe."