• 10.04.2013 13:38

Schanghai aus Renault-Sicht "einzigartig"

Eine lange Gerade und mehrere technische Kurven: Schanghai zwingt Renault zum Kompromiss zwischen guter Fahrbarkeit und Höchstleistung

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von China in Schanghai, dritter Lauf zur diesjährigen Formel-1-Weltmeisterschaft, ist aus Motorensicht durch das einzigartige Nebeneinander der ultralangen Gegengeraden und der vielen langsamen Kurvenpassagen eine besondere Herausforderung. 2012 erzielte Renault mit Mark Webber und Sebastian Vettel (Red Bull) sowie Romain Grosjean (Lotus) die Plätze vier fünf und sechs.

Titel-Bild zur News: Schanghai

Schanghai stellt die Motoren vor besondere Herausforderungen

"Schanghai ist ein ziemlich untypischer Kurs: Einerseits gibt es hier diese sehr lange Gerade, andererseits liegt der Vollgasanteil der gesamten Runde eher unter dem Durchschnitt", sagt Remi Taffin, Einsatzleiter von Renault. Auf der Gegengeraden laufen die Motoren zwar 18 Sekunden lang ununterbrochen bei Vollast, insgesamt beträgt der Vollgasanteil aber nur 49 Prozent. "Dieser Zwiespalt ist ungewöhnlich. Denn sonst haben wir es entweder mit Powerstrecken wie Monza oder Montreal zu tun oder mit engen Kursen wie Budapest der Monte Carlo."

"Für uns als Motoreningenieure heißt das: Wir müssen den Fahrern über das gesamte Drehzahlband optimalen Support liefern. Die Unterstützung durch eine perfekt abgestimmte Motorbremse ist besonders beim Kurveneingang entscheidend für die Stabilität auf der Hinterachse", sagt Taffin. "Dieser Punkt ist für uns umso zentraler, weil die diesjährigen Gummimischungen offenbar schneller verschleißen."

"Ebenso wichtig ist das Ansprechverhalten beim Heraus-beschleunigen, damit unsere Fahrer möglichst viel Schwung mit auf die Geraden nehmen können. Und drittens müssen wir eine richtig gute Endgeschwindigkeit auf der längsten Geraden erzielen", beschreibt der Ingenieur die Herausforderungen. "Hinzu kommt der strategische Einsatz von KERS, denn die Hochgeschwindigkeits-Gerade vor Kurve 14 ist eine bevorzugte Stelle für Überholmanöver." Aus Sicht von Renault sind folgende drei Passagen des Shanghai International Circuit besonders entscheidend.

Kurven eins bis vier:

Schanghai, Shanghai, Kurve 1, Schneckenkurve, Turn 1

In Kurve eins benötigen die Fahrer ein stabiles Heck des Autos Zoom

Das Kurvengeschlängel nach der Start-und-Zielgeraden ist die langsamste Passage des Kurses. Die Strecke wird enger, die Kurven "machen zu" und die Fahrer verlieren immer mehr an Geschwindigkeit. Während dieses Balanceaktes muss die Motorbremse perfekt eingestellt sein und der Motor sollte eine möglichst konstante Fahrbarkeit aufweisen. Stimmen diese Parameter nicht, wird das Heck unruhig und die Räder drehen unerwünscht stark - das würde Zeit kosten und den Reifenverschleiß erhöhen."

"Damit die Antriebsräder beim Bremsen nicht blockieren und der Verschleiß im Rahmen bleibt, stellen die Motoreningenieure von Renault die Kennfelder der Motorsteuerung für diese Passage so ein, dass die Motorbremse weniger stark eingreift, wenn der Fahrer vom Gas geht. Diese Charakteristik stabilisiert das Heck und vermindert den Schlupf beim Bremsen - sodass unterm Strich die Reifen länger "leben". Den entsprechenden Motorzustand - der Fahrer geht vom Gas, aber das Triebwerk liefert weiter ein bestimmtes Drehmoment und bremst nur begrenzt mit - nennen die Ingenieure "Overrun".

Kurven zwölf und 13:

Die Kurven zwölf und 13 bilden zusammen die fast 180 Grad umfassende lange Rechtskurve vor der langen Gegengeraden. Die Passage ähnelt dem beschriebenen Kurvenkomplex direkt nach Start und Ziel. Entsprechend gilt auch hier: Ein stabiles Heck ist Voraussetzung für gute Rundenzeiten - besonders, wenn die Reifen nachlassen oder bereits abgefahren sind. Eine weitere Option, die erwünschte Stabilität auf der Hinterachse zu erzielen, sind geänderte "Pedal Maps", also Kennlinien des Gaspedals. So könnte beispielsweise für denselben Pedalweg ein geringerer Prozentsatz des möglichen Drehmoments abgerufen werden.

Im Großen und Ganzen sollte der Gaspedalweg zwar der abgerufenen Motorleistung entsprechen - kleine Abweichungen von der üblichen Kennlinie können aber erheblich zu einem stabileren Heck beitragen. In diesem Fall dürfte eine "weichere" Gaspedal-Charakteristik zum Einsatz kommen, d.h. der Motor liefert auf den ersten Millimetern des Pedalweges weniger Kraft als möglich. Auf diese Weise erhält der Fahrer mehr Möglichkeiten, das Durchdrehen der Antriebsräder und damit den Reifenverschleiß zu beherrschen.

Gerade zwischen den Kurven 13 und 14:

Schanghai, Gegengerade

Auf der Gegengerade fahren die Autos bis zu 18 Sekunden lang unter Vollast Zoom

Die Gegengerade zwischen den Kurven 13 und 14 ist etwas über 1300 Meter lang. Das bedeutet: Der Renault-V8 wird zwischen 17 und 18 Sekunden nonstop bei voll geöffneten Drosselklappen laufen - länger als ein Passagier-Jet zum Abheben von der Landebahn braucht. Diese Zeitspanne entspricht rund 20 Prozent der gesamten Rundenzeit. Folglich ist es absolut entscheidend, Motorsteuerung und Getriebeabstufung auf maximale Beschleunigung abzustimmen, ohne Kompromisse bei der Höchstgeschwindigkeit einzugehen. Das Dilemma ist bekannt: Mit kurzen Übersetzungen lässt sich auf dem ersten Teil der Geraden in kürzerer Zeit ein bestimmtes Tempo erreichen - doch für eine gute Höchstgeschwindigkeit auf dem zweiten Teil der Geraden sind lange Übersetzungen gefragt.

Eine andere außergewöhnliche Herausforderung stellt die Lage dieser Strecke dar. Der Kurs von Schanghai liegt in einem Industriegebiet direkt neben großen Fabriken. Einige davon produzieren Zement und entsprechend viele Staubpartikel schweben in der Luft. "Wir werden die Luftfilter unserer Partnerteams nach jeder Trainingssession genau untersuchen und gründlich reinigen, damit sie nicht verstopfen und es nicht zu Leistungsverlust kommt", erklärt Taffin.

"Auch die Witterung in Schanghai macht unsere Aufgabe nicht gerade einfacher. Die Außentemperaturen schwankten während der bisherigen Ausgaben des China-Grand Prix um +/-10°C. Selbst über ein Rennwochenende gibt es Abweichungen - 2012 ging es um bis zu 5°C rauf und runter", so Taffin. "Und das kann einen großen Unterschied machen: Bei niedrigeren Temperaturen und entsprechend größerem Sauerstoffanteil in der Luft erzeugen die Triebwerke höhere Leistung und benötigen folglich auch mehr Kraftstoff. Die Motoreningenieure von Renault Sport in den vier Partnerteams werden diesen Faktor das gesamte Wochenende über sehr genau im Blick behalten."