• 22.11.2012 12:32

Sao Paulo: Höhenlage ist Vor- und Nachteil für die Motoren

Remi Taffin von Renault erklärt die Knackpunkte des Autodromo Jose Carlos Pace in Sao Paulo aus Sicht der Motorentechniker

(Motorsport-Total.com) - Beim Großen Preis von Brasilien, dem 20. und letzten Lauf zur Formel 1-Weltmeisterschaft 2012, kommt es zwischen Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel und Ferrari-Fahrer Fernando Alonso zum Showdown um den Fahrertitel. Der Sieger der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft steht bereits seit dem USA-Grand-Prix am vorigen Wochenende fest: Red Bull.

Titel-Bild zur News: Interlagos

Der Kurs von Interlagos liegt rund 800 Meter über dem Meeresspiegel

Das Saisonfinale steigt wie im Vorjahr auf dem 4,309 Kilometer langen Autodromo Jose Carlos Pace im Einzugsgebiet von Brasiliens größter Stadt Sao Paulo. Der Kurs von Interlagos schmiegt sich in einen Talkessel. Der Blick von einigen Tribünen wirkt wie der in ein natürliches Amphitheater. Die Strecke windet sich im hügeligen Gelände auf und ab. Viele Kurven hängen nach außen, einige verengen sich zum Kurvenausgang.

Interlagos ist mit rund 800 Metern über Null der höchstgelegene Grand-Prix-Kurs des Jahres. Aufgrund der Höhenlage liegt der absolute Sauerstoffgehalt der Luft niedriger als bei anderen Rennen. Wenn weniger Sauerstoff für den Verbrennungsvorgang zur Verfügung steht, sinkt die Motorleistung. Ingenieure kalkulieren mit einem Leistungsverlust in Höhe von einem Prozent je 100 Meter Höhe. Das heißt: In Brasilien produzieren die Triebwerke etwa acht Prozent weniger Leistung als auf einer Rennstrecke, die auf Meeresniveau liegt wie zum Beispiel Yeongam in Südkorea.

Hinzu kommt in Interlagos ein Höhenunterschied von fast 50 Metern vom tiefsten zum höchsten Punkt der Strecke. Der lokale Luftdruck schwankt damit im Laufe einer Runde um rund fünf Millibar. Entsprechend benötigen die Motoren am höchsten Punkt der Strecke etwa 0,5 Prozent weniger Kraftstoff als an der niedrigsten Stelle. Ohnehin weist Interlagos wegen der Höhenlage und der geringen Luftdichte mit den niedrigsten Spritverbrauch pro Kilometer auf. Das optimale Benzin-Luft-Gemisch lässt sich also über die Renndistanz mit einer geringeren Benzinmenge erzielen.

Die Wettervorhersagen gehen für das Rennwochenende von Regen aus. Weil in feuchter Luft nochmals weniger Sauerstoff enthalten ist, passen die Ingenieure die Motorsteuerung entsprechend an und stellen den Fahrern andere Leistungseinstellungen zur Verfügung. Um den Leistungsverlust in Grenzen zu halten, reichern die Motoreningenieure das Gemisch an. Es wird also mit einem fetteren Kraftstoff-Luft-Mix gefahren. Auf anderen Strecken würde eine solche Einstellung die beweglichen Teile des Motors unter große Belastung setzen, weil mit einem fetteren Gemisch der Explosionsdruck im Zylinder steigt. In Interlagos halten sich die Risiken dieser Strategie wegen des allgemein niedrigen Luftdrucks in Grenzen.

In der am Sonntag zu Ende gehenden Saison gab es schon mehrere Kurse, auf denen die Schmierstoffe wegen hoher Fliehkräfte und hängender Kurven von den Ölpumpen weggedrückt wurden. In der ersten Kurve von Interlagos, dem Senna-S, wird dieses Phänomen zum letzten Mal in diesem Jahr auftreten. Die Fahrbahn kippt in der Linkskurve gleichzeitig nach außen und nach unten. Die Autos erreichen einen Neigungswinkel von fast 30 Grad. Folglich wird der Benzin- und Ölvorrat in die rechten vorderen Ecken der jeweiligen Tanks gedrückt. Viele Teams konstruieren sogar die Saugrüssel ihrer Öl- und Kraftstofftanks mit exakt dieser Passage vor Augen. Damit die Versorgung des Motors mit diesen lebenswichtigen Flüssigkeiten nicht unterbrochen wird, könnten die Tanks etwas höher befüllt werden als sonst nötig.

Interlagos gilt außerdem als die welligste Strecke im Grand-Prix-Kalender, was am heißen und feuchten Klima liegt und an den wenigen Rennen, die hier gefahren werden. Auf den brutalsten Bodenwellen heben die Autos jeweils kurz ab. Wenn die Antriebsräder auch nur für einen Sekundenbruchteil den Bodenkontakt verlieren, läuft der Motor ohne Last und die Drehzahl schnellt umgehend hoch. Dabei gerät das Triebwerk an den Drehzahlbegrenzer, was jedes Mal eine gewisse Belastung darstellt.

"In Interlagos benötigen die Piloten einen perfekt abgestimmten Motor, der sich insbesondere im kurvigen hinteren Streckenabschnitt durch eine gute Fahrbarkeit auszeichnet", sagt Remi Taffin, Motoreningenieur bei Renault und damit verantwortlich für die Triebwerke der Teams Red Bull, Lotus, Williams und Caterham. "Im zweiten Sektor kommt es darauf an, dass wir durchdrehende Räder am Kurvenausgang vermeiden. Das gilt insbesondere für die Kurven acht, neun und zehn. Da die Meteorologen für dieses Wochenende Regen prognostizieren, kommt der perfekten Abstimmung des RS27-Achtzylinders natürlich eine noch größere Bedeutung zu", so der Franzose.

"Die langgezogene Linkskurve nach Turn 12 ist im Grunde eine sehr lange Gerade. Sie führt an den Boxen vorbei über Start und Ziel", setzt Taffin seine Beschreibung der Strecke fort und stellt heraus: "Hier kommt es auf eine gute Beschleunigung an. Denn in diesem Abschnitt führt die Strecke stark bergauf. Die TV-Bilder können diesen großen Höhenunterschied von rund 40 Metern nicht richtig abbilden, aber wenn du zu Fuß über die Strecke läufst, dann spürst du, wie steil es tatsächlich bergauf geht. Hier müssen die Motoren wirklich die volle Leistung liefern."

Die größte Herausforderung des Autodromo Jose Carlos Pace ist jedoch die Höhenlage. "Aufgrund des geringeren Sauerstoffgehaltes in der Luft büßt der RS27 hier im Vergleich zu Rennen auf Meeresniveau rund acht Prozent seiner Maximalleistung ein. Daher nutzen wir beim Grand Prix von Brasilien stets jene Motoren, die zuvor bereits bei zwei Rennen zum Einsatz kamen und schon einige Rennkilometer absolviert haben. Denn hier steht nicht die absolute Höchstleistung im Vordergrund", erklärt Taffin.

Die Höhenlage der Interlagos-Rennstrecke bringt aber auch Vorteile mit sich. "Der Benzinverbrauch ist deutlich geringer als bei Rennen, die auf Meeresniveau stattfinden. Außerdem ist der Luftwiderstand niedriger, denn die Luft ist schlichtweg dünner. Daher schicken die Teams ihre Fahrzeuge hier mit vergleichsweise steilen Flügeln ins Rennen. Tatsächlich entspricht der dadurch generierte Abtrieb jedoch lediglich einem Aerodynamik-Setup mit mittlerem Abtriebsniveau", sagt der Renault-Motoreningenieur und versichert: "Wir sind bereit und freuen uns auf ein hoffentlich erfolgreiches Saisonfinale."