• 16.05.2014 13:59

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Renault: Aufholjagd und "Fahrt in den Supermarkt"

Technikchef Rob White spricht im Interview über Zuverlässigkeitssteigerung durch Detailarbeit und die Attraktivität des neuen Reglements

(Motorsport-Total.com) - Nach den ersten Testfahrten der Saison Ende Januar in Jerez scharten sich die Journalisten um die Renault-Verantwortlichen. Es sah danach aus, als sollten die Franzosen in der neuen Turboära ein Debakel erleben. Fast fünf Monate später scheint Mercedes zwar noch immer zwei Schritte voraus, die Lücke ist jedoch geschrumpft. Wie Renault das bewerkstelligt hat und warum das Unternehmen weiter hinter dem neuen Reglement steht, erklärt Technikchef Rob White im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Rob White

Rob White hatte in den vergangenen Wochen alle Hände voll zu tun Zoom

Frage: "Rob, es wird immer wieder argumentiert, die neue Antriebsformel würde neue Hersteller anlocken. Sind eure Probleme nicht eher abschreckend, weil sie zeigen, wie viel Aufwand dafür nötig ist?"
Rob White: "Das klingt jetzt, als wären die Motoren zuvor einfach gewesen."

Frage: "Nein, ganz und gar nicht. Aber eben auch nicht schwieriger."
White: "Klar ist es schwierig. Aber es ist Fakt, dass unter der alten Motorenformel vier Hersteller (BMW, Toyota, Honda und Cosworth; Anm. d. Red.) die Formel 1 verlassen haben. Es ist Fakt, dass diese Technik von Herstellern vorangetrieben wird. Es sah zuvor überhaupt nicht, wirklich null danach aus, als sollten unter den alten Regeln neue Hersteller kommen. Wir und der Sport begrüßen die Änderung."

Muss es wirklich ein Autokonzern sein?

"Es ist wahrscheinlicher, dass neue Entwickler von Antriebssträngen kommen... ich will nicht Zulieferer oder Hersteller sagen. Philosophisch sind wir jetzt sehr nahe an Serienfahrzeugen. Die Technologie lässt sich in beide Richtungen transferieren. Das Rennkonzept ist simpel und leicht zu verstehen, denn es muss mit möglichst wenig Verbrauch möglichst schnell gefahren werden. Effizienz bedeutet Leistung. Wie bei der Fahrt in den Supermarkt oder in die Ferien. Diese Verbindung war früher kaum herzustellen."

Frage: "Du willst nicht von Herstellern sprechen: Könnte also auch ein Unternehmen in diese Rolle schlüpfen, das kein Autokonzern ist?"
White: "Das habe ich gesagt, weil es eine Frage der Ressourcen ist. Die Formel 1 produziert bemerkenswerte Lösungen. Nicht nur bei den Antriebssträngen, sondern mit dem gesamten Rennauto. Das ist sehr, sehr fortschrittlich. Natürlich sind die Antriebsstränge viel, viel relevanter für Autohersteller als ihre Vorgänger. Das Know-how und die Technologie bestehen auch in anderen Branchen, aber der Einbau in einen Wagen ist das, was den Autokonzernen in die Hände spielt."


Fotos: Red Bull, Testfahrten in Barcelona, Mittwoch


Keine einschneidenden Hardware-Anpassungen

Frage: "Red Bull schien zu Beginn der Saison enttäuscht von euren Antriebssträngen. Was habt ihr deshalb unternommen?"
White: "Es gibt da gar nichts Bahnbrechendes zu sagen. Wir haben an einem Punkt begonnen. Dann wollten wir Rennen für Rennen dahin kommen, wo wir sein wollten. Wir haben gehofft, dass wir diese Verbesserungen allen voran auf der Strecke würden beobachten können. Sie waren allen voran auf die Arbeitsweise des Systems und der Komponenten zurückzuführen. Wir haben gar keine substanziellen Veränderungen der Hardware vorgenommen."

"Wir haben einiges korrigiert, um die Probleme mit der Zuverlässigkeit in den Griff zu bekommen. Schließlich wussten wir, dass wir im Vorfeld der Saison nicht ausreichend Kilometer gefahren waren. Normalerweise wäre es Routine, diese Fehlerbeseitigung vorher zu machen, so zog es sich aber bis in die ersten Grands Prix. Vor dem ersten Rennen wurde Homologation vorgenommen."

"Danach wollten wir herausfinden, ob die anschließenden Verbesserungen die richtigen waren. Das war schon ein ziemlich aggressiver Rettungsplan. Ob es etwas verhindert hätte, wenn wir nicht diese Messungen durchgeführt hätten? Einige waren ja nur eine Reaktion auf Zwischenfälle, die es gab. Die Verbesserungen betreffen nicht die Leistung Rennen für Rennen. Es ging darum, die Art und Weise des Einsatzes der Steuerungselektronik zu optimieren und zu prüfen, wie die vielen Sicherheitsmechanismen eingebunden wurden."

"Ein aggressiver Rettungsplan." Rob White

Es ging der Elektronik an den Kragen

Frage: "Und wie habt ihr die tatsächliche Leistung gesteigert?"
White: "Charakteristisch an diesen neuen Autos ist, dass man von allen Komponenten die Saison über nur fünf verwenden darf und es sich um sehr komplexe Systeme handelt. Wir haben zuerst zu viele gebraucht und das führt dann auch dazu, dass die Lebensdauer der anderen begrenzt ist. Wo kommt aber die Leistung her? Die Leistung kommt vom ERS, vom Motor. Das kann verbessert werden, ohne die Hardware zu tauschen. Das funktioniert, indem man sie anders ansteuert. Wir haben auch den Sprit verändert und von Total das Benzin seit Saisonbeginn überholen lassen."

"Der Sensor zum Benzindurchfluss ist in den neuen Regeln auch vorgesehen. Das limitiert die maximale Leistung des Antriebsstrangs, aber das gehört zum Geschäft. Außerdem gehört es dazu, wie wir den Benzin- und Energieverbrauch managen - auf einer Runde oder im Rennen. Da ging es voran dank der Zusammenarbeit mit den Teams."

Lenkrad eines Sauber

MIt der neuen ECU sind nicht nur die Lenkräder komplexer geworden Zoom

Frage: "Es gab bei den Tests doch das Problem mit den Vibrationen und dem Antriebsstrang.Wie habt ihr das gelöst?"
White: "Das haben wir mit Veränderungen in den Griff bekommen, aber das waren nur Kleinigkeiten."

Frage: "Gab es da Widerspruch von den anderen Motorenherstellern?"
White: "Jede Änderung eines Antriebsstrang nach der Homologation kann nur mit der Zustimmung der FIA durchgeführt werden. Die FIA konsultiert dann das Reglement bei ihrer Freigabe und nicht die Motorenhersteller. Bei speziellen Fällen werden Mercedes und Ferrari angesprochen, wenn es etwa um die Bauweise geht. Etwa bei Mercedes geschieht aber nicht das Gegenteil."

Kein Grund zur Zufriedenheit

Frage: "Gab es denn etwas, das ihr angefragt habt, aber das dann nicht erlaubt wurde?"
White: "Wir haben ja um nichts gebeten, was die Leistung verbessern würde. Da gab es also gar nichts sonderlich Prekäres."

Frage: "Als ihr die Entwürfe fertiggestellt hattet, muss es Vorausberechnungen zu Leistung und Drehmoment gegeben haben. Wie nahe seid ihr an diesen dran?"
White: "Ziemlich nahe, wenn es um theoretische und praktische Leistung geht. Wo es schwieriger wird, ist, wenn es darum geht, die Leistung auf der Strecke zu bringen und Schwächen auszubügeln. Das liegt auch am Typ des Verbrennungsmotors. Die relative hohe spezifische Leistung des Turbo-Benziners mit sehr sauberer Verbrennung - das das Biest, da muss die Power herkommen. Der Energiewert, der im Sprit steckt, ist ja auch begrenzt. Aber das ist das wirkliche Grundgerüst, dann kommt noch das Ansprechverhalten hinzu. Man setzt den Motor nicht richtig in Szene, wenn man ihn nicht richtig konfiguriert."

"Mit den Systemen zur Energierückgewinnung ist das eine andere Geschichte, weil das Reglement ja die maximale Leistung vorschreibt. Das basiert dann auf einer Effizienzformel. Da wird also nicht die Leistung angestrebt, sondern die Effizienz und der Umgang mit der Energie auf einer Runde. Da haben wir es geschafft, näher an unsere Berechnungen heranzukommen."


Der neue Renault-Motor für 2014

Frage: "Und wie zufrieden seid ihr mit der Software?"
White: "Wir sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen in den Rennen, das können wir nicht. Noch kämpfen wir nicht um Siege und Podiumsplätze. Wir sind nicht da, wo wir sein wollen und hinken unserem Plan hinterher mit bestimmten Elementen."

Zu viele Köche verderben den Brei

Frage: "Es gab Updates bei der einheitlichen Steuerungselektronik (ECU). Hat das eure Arbeit beeinflusst?"
White: "Die ECU ist so gestrickt: Es gibt die Standard-Einheit in allen Autos, aber es sind Zusatzprogramme installiert - eine von uns, einige von McLaren (Hersteller der Einheitselektronik; Anm. d. Red.) und einige von den Teams. Es gibt auf der Ebene des Betriebssystems Dinge, die mit unseren Apps zusammenspielen. Da gab es natürlich Anfragen, um Fortschritte zu ermöglichen. Da verlassen wir uns auf das Talent des ECU-Herstellers."

Frage: "Gibt es in diesem Punkt ein Problem, dass ihr vier verschiedene Teams beliefern müsst?"
White: "Das spielt keine große Rolle mehr. Am Anfang der Saison hat es das getan. Da ging es aber auch weniger um die Software als viel mehr um das allgemeine Design. Da gab es Anpassungen sowohl von unserer Seite als auch von den Teams. Alle drei Softwarekomponenten machen die Steuerung eines Rennautos aus, aber im Großen und Ganzen war das nicht der Hauptgrund für unsere Schwächen. Weil es alles so kompliziert ist, können zu viele Köche den Brei verderben."