• 14.03.2014 14:26

  • von Dieter Rencken & Stefan Ziegler

Pirelli überrascht: Kein Graining, aber große Unterschiede

Etwa zwei Sekunden liegen in Melbourne zwischen den Reifenmischungen Soft und Medium, aber immerhin tritt im Albert Park dieses Mal kein Graining auf

(Motorsport-Total.com) - Paul Hembery ist verwundert, aber auch erleichtert. Denn die Reifen seines Unternehmens haben sich beim Trainingsauftakt zum Großen Preis von Australien in Melbourne bisher in tadellosem Zustand präsentiert. Satte 937 Runden legten die Formel-1-Protagonisten damit in drei Stunden zurück. Um anschließend festzustellen: Die modifizierten Pneu-Produkte von Pirelli erweisen sich als sehr standhaft.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton fuhr in 1:29.625 Minuten die bisher schnellste Formel-1-Runde 2014 Zoom

Mit der härteren der beiden Mischungen, Medium, gelangen einem Piloten insgesamt 26 Runden, die weichere Mischung, Soft, ermöglichte 25 Umläufe. Vieles spricht im Albert Park von Melbourne also für ein Zweistopp-Rennen, schließlich sind am Sonntag insgesamt 58 Runden zu absolvieren. Wenn sich aber noch etwas mehr Grip auf der Ideallinie bildet, könnte sogar nur ein Reifenwechsel drin sein.

Ob es beim ersten Rennen des Jahres zu einer solchen Taktik kommt, bleibt abzuwarten. Fest steht indes schon jetzt: Der Unterschied zwischen den angebotenen Reifenvarianten Soft und Medium ist in Melbourne außergewöhnlich groß. "Größer als bei den Testfahrten", wie Pirelli-Motorsport-Direktor Hembery auf Nachfrage einräumen muss. "Wir reden hier von 2,0 bis 2,2 Sekunden. Und das ist viel."

Pirelli ist positiv überrascht vom Reifenbild

Hembery verweist auf die neue Formel-1-Fahrzeug-Generation: "Die Autos arbeiten nun ganz anders mit den Reifen. Sie haben an der Hinterachse viel weniger Abtrieb. Wir haben uns bei unseren modifizierten Reifenmischungen auf mehr Beanspruchung eingestellt. Das wird sich aber im Jahresverlauf verändern." Dann, so der Brite, werde auch der Unterschied geringer ausfallen.

Was Hembery aber noch viel wichtiger ist: Es traten keine Zerfallserscheinungen auf, weder bei Medium noch bei Soft. "Um ganz ehrlich zu sein: Wir waren überrascht davon, kein Graining zu sehen", sagt Hembery. "Wir waren zufrieden mit der Leistung und mit dem Verschleiß der mittleren und der weichen Mischung. Denn beide Reifenvarianten sind in diesem Jahr komplett neu."

"Der Verschleiß bei der Medium-Mischung ist gering, bei der Soft-Mischung ist es schon etwas mehr", erklärt der Pirelli-Motorsport-Direktor. Auch die Teams kämen prima mit den Pneu-Produkten klar. "Der einzige große Unterschied, den wir festgestellt haben, ist: Manchen Teams fällt es leichter, die Reifen wieder auf Temperaturen zu bringen, wenn sie erst einmal abgekühlt sind", so Hembery.

Kein Graining, nur wenige Gummi-Kügelchen

"Wir reden da von Situationen wie Fahren im Spritspar- oder Safety-Car-Modus. Bei der Warmup-Runde, also frisch aus den Heizdecken heraus, gibt es keine großen Unterschiede. Es ist aber schwierig, anhand der Reifen zu sagen, welches Team besser ist. Das wird sich erst nach und nach zeigen, wenn die Rennställe wirklich an der Aerodynamik und dem Abtrieb an der Hinterachse arbeiten."

Doch zurück zum Albert Park Circuit, der für Pirelli in der Vergangenheit ein durchaus schwieriges Pflaster gewesen ist. Hembery: "Der Kurs ist zu Beginn des Wochenendes meist sehr schmutzig. Hinzu kommt: Durch die vielen Rahmenserien und auch durch die Formel 1 wird immer wieder Gras, Staub und sonstiger Dreck auf die Linie geschleudert. Für einen Reifenhersteller sind das keine guten Nachrichten."


Großer Preis von Australien

"Wir hatten daher mit Graining gerechnet, aber es trat nicht auf. Es gab dieses Mal auch weniger Gummikügelchen. Was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass wir die Reifenmischungen so verbessert haben, dass sie nicht so sehr verschleißen. Wir scheinen da also in die richtige Richtung zu arbeiten", sagt Hembery und will nichts von einer zu konservativen Reifenzuordnung wissen.

Mehr Reifen im Training, mehr Fahrbetrieb

"Supersoft und Soft hätte vielleicht auch funktioniert. Wir bewegen uns hier aber auf unbekanntem Terrain. Die Autos sind erst vor ein paar Wochen zum ersten Mal gefahren", meint der Pirelli-Sprecher und verteidigt den Kurs seines Unternehmens. "Wir wollten einfach nicht mit Supersoft und Soft aufwarten, weil so schon genug geboten ist." Im Simulator habe man sich nochmals davon überzeugt.

Vor Überraschungen war Pirelli am Freitag in Melbourne trotzdem nicht gefeit: "Die Vorderreifen haben sich um etwa zehn Grad mehr erhitzt als die Hinterreifen. Das lässt aber allmählich nach, wenn die Teams die Balance anpassen", erklärt Hembery und merkt an: "Auch aus solchen Gründen waren wir hier eher vorsichtig." Und dem Fahrbetrieb im Freien Training hat das nicht geschadet - im Gegenteil.

Dazu beigetragen hat wohl auch eine neue Reifenregel, wonach den Teams in der ersten halben Stunde des ersten Trainings ein zusätzlicher Satz der härteren Mischung zur Verfügung steht. "Das hat bisher gut funktioniert", sagt Hembery und fügt abschließend hinzu: "Die Fans sehen dadurch mehr Autos auf der Strecke. Genau das war das Ziel. Und so haben wir bislang unsere Ziele erreicht."