• 25.06.2004 14:35

Peter Sauber im großen Halbzeit-Interview

Der Sauber-Teamchef spricht über die erste Saisonhälfte, den neuen Windkanal, seine Fahrer und den Fight gegen McLaren

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Wie sieht Ihre Bilanz bei Halbzeit der Saison 2004 aus?"
Peter Sauber: "Ich denke, dass wir mit den Resultaten der ersten neun Rennen insgesamt sehr zufrieden sein können. Wir haben 15 WM-Punkte auf unserem Konto, deutlich mehr als zur gleichen Zeit vor einem Jahr, und nehmen Rang sechs in der Konstrukteurs-WM ein. Wir liegen nur zwei Zähler hinter McLaren-Mercedes, aber deutlich vor Toyota, Jordan, Jaguar und Minardi."

Titel-Bild zur News: Peter Sauber

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Frage: "Der Beginn schien etwas harzig, so richtig auf Touren kam das Team erst ab dem Rennen in Barcelona. Was war der Grund dafür?"
Sauber: "Das ist einfach zu erklären. Wir wussten, dass wir die Arbeit im neuen Windkanal Anfang März aufnehmen konnten und hatten uns zum Ziel gesetzt, beim Rennen in Imola Ende April erstmals neue Aerodynamikteile einzusetzen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Die Auswirkungen waren dann sofort sichtbar und trugen bereits beim darauf folgenden Grand Prix in Barcelona Früchte. Seither konnten wir den C23 permanent aerodynamisch weiterentwickeln, was unsere Performance deutlich verbessert hat."#w1#

"Kleine Änderungen können so große Wirkung haben"

Frage: "Aber optisch sieht das Auto ja immer noch gleich aus..."
Sauber: "Genau das ist ja das Faszinierende an der Aerodynamik, dass kleine Änderungen eine so große Wirkung haben können. Wir haben beispielsweise sehr viel Arbeit in die Optimierung der Bremsbelüftungen investiert, was nicht nur die Bremsleistung, sondern vor allem die Aerodynamik verbessert hat. Solche Änderungen sind von Auge kaum zu erkennen. Gerade bei diesen Arbeiten hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir in unserem neuen Windkanal auch mit dem 1:1-Auto arbeiten können. Der Luftstrom durch die Bremsbelüftung, den Radträger und die Felge lässt sich mit einem 50- oder 60-Prozent-Modell unmöglich perfekt simulieren."

Frage: "Welches sind die nächsten Änderungen, die man erwarten kann?"
Sauber: "Wir werden voraussichtlich in Magny-Cours einen neuen Frontflügel einsetzen und dann nur eine Woche später in Silverstone eine neue Motorabdeckung."

Frage: "Kann man also sagen, dass sich die Investition in den Windkanal gelohnt hat?"
Sauber: "Auf jeden Fall! Das war für ein Team wie Sauber-Petronas natürlich eine sehr große Investition, die sich aber langfristig sicher bezahlt machen wird. Es ist heutzutage ein absolutes Muss, einen sehr guten Windkanal zur Verfügung zu haben, um die rasend schnelle Entwicklung in der Formel 1 mitzumachen. Wir stehen ja erst am Anfang und damit noch in der Kennenlernphase des neuen Windkanals, und dennoch haben wir schon Fortschritte machen können. Rückblickend bin ich sehr froh, diese Entscheidung so getroffen zu haben."

Keine Angst vor Beschneidung der Aerodynamik

Frage: "Aber vielleicht wird ja die Aerodynamik im künftigen Reglement beschnitten, so dass sich der Windkanal als Fehlinvestition erweisen könnte."
Sauber: "Die Aerodynamik macht heute rund zwei Drittel der Performance eines Formel-1-Autos aus. Selbst wenn es gewisse Einschränkungen vom Reglement her geben sollte, wird die Aerodynamik immer noch einen wesentlichen Einfluss auf die Rundenzeiten haben. Ich bin mir sicher, dass sich diese Investition auch in Zukunft positiv auswirken wird."

Frage: "Sie verwenden den gleichen Motor wie Ferrari, das gleiche Getriebe, der C23 gleicht dem letztjährigen Ferrari - und dennoch empfinden einzelne Beobachter den Abstand zu Ferrari als zu groß. Wie ist das zu erklären?"
Sauber: "Die Performance des Autos kommt ja nicht primär vom Motor und Getriebe. Der wichtigste Faktor ist die Aerodynamik und da stehen wir erst am Anfang unserer Entwicklung. Zudem verfügt Ferrari über ganz andere Ressourcen und vor allem Michael Schumacher. Michael ist ein Ausnahmekönner, der in diesem Jahr, so glaube ich, besser ist denn je zuvor. Die Frage, warum Ferrari so weit voraus ist, müsste man eigentlich eher jenen Teams stellen, die in dieser Saison angetreten sind, um Weltmeister zu werden."

Frage: "Wie sind Sie mit Ihren beiden Piloten zufrieden?"
Sauber: "Sehr. Giancarlo kommt immer besser in Fahrt. Er hatte etwas Anlaufschwierigkeiten, aber je schneller der C23 wurde, umso mehr konnte er sein großes Können zeigen. Ich habe Giancarlo stets zu den besten Piloten in der Formel 1 gezählt und das hat sich für mich auch bestätigt. Felipe hat sich seit seinem ersten Jahr bei uns sehr positiv entwickelt. Eine hohe Grundschnelligkeit hatte er schon immer, aber durch sein Jahr als Testfahrer bei Ferrari hat er technisch viel dazu gelernt und ist nun in der Lage, wertvollen Input für die Ingenieure zu liefern. Zudem ist er ganz einfach auch ein bisschen älter und damit reifer geworden. Ich bin überzeugt, dass Felipe ein großes Potenzial besitzt, das er in Zukunft noch weiter ausschöpfen kann."

Ziel: Nachteile "durch bessere Effizienz" wettmachen

Frage: "Glauben Sie denn, dass Sauber in der zweiten Saisonhälfte in der Lage sein wird, auf dem jetzigen Level weiter zu fahren?"
Sauber: "Ja, davon gehe ich aus. Einerseits ist es zwar ein wenig beängstigend, wenn man sieht, welchen Aufwand die Werksteams betreiben, andererseits fühlen wir uns stark genug, diese Herausforderung anzunehmen. Die Nachteile, die wir im Bereich Budget und Ressourcen haben, müssen wir durch eine bessere Effizienz wettmachen. Wir haben eine sehr gut eingespielte Mannschaft, sowohl an der Rennstrecke wie auch in der Fabrik in Hinwil, und mit dem neuen Windkanal endlich auch das richtige Werkzeug, um gezielt an der Performance des Autos zu arbeiten."

Frage: "Heißt das, dass Sie immer noch auf den fünften Platz in der Konstrukteurs-WM schielen?"
Sauber: "Weil wir in Indianapolis sehr viel Pech hatten, gelang es McLaren-Mercedes, an uns vorbeizuziehen. Wenn man die technischen und finanziellen Möglichkeiten von McLaren-Mercedes ansieht, dann müsste die Sache eigentlich klar sein. Aber dennoch geben wir uns natürlich nicht einfach geschlagen. Als unsere direkten Gegner betrachten wir jedoch nach wie vor Toyota, Jordan und Jaguar. Dabei ist Jordan für uns berechenbarer als Toyota und Jaguar, weil sie die gleichen Reifen verwenden."

Frage: "Stichwort Reifen: Wie sind Sie mit Bridgestone zufrieden?"
Sauber: "Bridgestone hat seit Saisonbeginn beachtliche Fortschritte erzielt, vor allem was die Konstanz während des Rennens betrifft. Auf eine schnelle Runde, die für die Startaufstellung entscheidend ist, haben wir jedoch gegenüber unserer Konkurrenz immer noch deutliche Nachteile. Generell gesehen ist der Einfluss der Reifen heute viel zu groß."