• 03.02.2013 21:06

  • von Dieter Rencken

Newey: "Es ist ein schwieriger Balanceakt"

Red-Bull-Technikchef Adran Newey über die Entwicklung des neuen RB9 und den Blick auf das Jahr 2014: Der Spagat zwischen Gegenwart und Zukunft

(Motorsport-Total.com) - Mit Spannung wurde die Präsentation des neuen Red Bull RB9 für Sebastian Vettel und Mark Webber erwartet. Nach der glanzlosen Vorstellung des Autos für 2013 herrscht großes Rätselraten. Hat Red-Bull-Technikchef Adrian Newey wieder einen besonderen Clou verbaut? Sicher ist: Die endgültige Version des RB9 hat noch niemand gesehen. Zum ersten Rennen wird es Veränderungen geben, wie das britische Technikgenie im Interview verrät.

Titel-Bild zur News: Adrian Newey (Technischer Direktor, Red Bull)

Adrian Newey schließt ein Doppel-DRS für Red Bull noch nicht aus Zoom

Frage: "Adrian, bist du stolz auf die Arbeit, die ihr am RB9 geleistet habt?"
Adrian Newey: "Ja, wir sind alle stolz darauf. Das alles ist das Ergebnis von enorm harter Arbeit, die wir im Winter geleistet haben. Wir hatten im vergangenen Jahr einen sehr engen Wettkampf. Es war schwierig, die Entwicklung des damaligen Autos voranzutreiben und gleichzeitig die nötigen Arbeiten bezüglich des RB9 zu schaffen. Wir haben es geschafft, aber der Zeitrahmen für das Design und den Bau des Autos war sehr eng. Dass wir den Wagen nun zwei Tage vor dem Start der offiziellen Tests hier stehen haben, ist der Erfolg der Jungs, die Bemerkenswertes geleistet haben."

Frage: "Welche Veränderungen gibt es am RB9 im Vergleich zum RB8?"
Newey: "Der RB9 ist eine Evolution. Die wichtigste Veränderung kommt nicht durch die Regeln, sondern durch die neuen Reifen. Wir hatten einen kurzen Test mit den neuen Pneus im Training in Brasilien. Viel gelernt haben wir dort aufgrund der Bedingungen allerdings nicht. Pirelli hat uns Daten über das Verhalten der neuen Pneus gegeben, aber erst bei den Testfahrten werden wir es wirklich herausfinden."

Frage: "Worauf hat sich das Entwicklungsteam konzentriert?"
Newey: "Weil sich die Regeln kaum verändert haben, ging es hauptsächlich darum, die Ansätze des RB8 zu verfeinern. Der Test für die Steifigkeit des Frontflügels wurde verschärft. Die Frage war, wie steif der Flügel sein muss, um diese Tests zu bestehen. Der Rest des Autos ist eigentlich nur eine Evolution. Die Prinzipien sind im Vergleich zum Vorjahreswagen nicht verändert. Aber natürlich sind uns hoffentlich dennoch gewisse Fortschritte gelungen."

Wie wichtig sind die neuen Reifen?

Frage: "In welchem Bereich habt ihr den größten Schritt machen können?"
Newey: "Es ist mehr ein Zusammenspiel aller Details als das Herausheben eines gewissen Bereiches. Wir haben ein paar Dinge verbessert, bei denen wir dachten, dass noch Potenzial drinsteckt. Das ist ganz normal so. Das Auto entwickelt sich immer weiter. Zum ersten Rennen wird es ein oder zwei neue Teile geben. Das wird wohl bei allen Teams so sein. Danach beginnt die ganz normale Weiterentwicklung über das Jahr."

Frage: "Diese Weiterentwicklung während der Saison war in den vergangenen Jahren der Schlüssel. Wo werden 2013 die wichtigsten Möglichkeiten liegen?"
Newey: "Das Verständnis für die Reifen weiter auszubauen wird enorm wichtig sein. Immer, wenn wir im vergangenen Jahr mal das Gefühl hatten, wir hätten die Pneus durchschaut, da gab es eine neue Überraschung, die uns klarmachte, dass wir eben noch nicht alles verstanden hatten. In diesem Jahr sind die Reifen wieder anders. Man kann dort wieder viel lernen. Ansonsten wird es aerodynamische Entwicklung in Details geben, außerdem eine Anpassung der Autos auf die Bedürfnisse der Fahrer."

Frage: "Der RB9 hat nach wie vor eine Stufe in der Nase. Wollte man keine Blende verwenden?"
Newey: "Es gibt eine solche Blende am Auto, aber sie ist sehr klein. Sie reicht nicht weit nach vorn, weil dies zusätzlich unnötiges Gewicht bedeuten würde. Im vergangenen Jahr hatten wir in der Stufe einen Schlitz, um der Kühlung zu helfen. In diesem Jahr sind wir diesen Schlitz wegen der Blende nun wieder los."

"Unsere Simulationen zeigen, dass wir einen Schritt voran gekommen sind." Adrian Newey

Frage: "Welches grundsätzliche Gefühl hast du mit dem RB9? Wird er ähnlich erfolgreich sein wie der Vorgänger?"
Newey: "So etwas ist immer schwierig zu sagen. Unsere Simulationen zeigen, dass wir einen Schritt voran gekommen sind. Wir wissen aber nicht, was den anderen gelungen ist. Wir haben keine Ahnung, wie groß deren Fortschritte ausfallen. Außerdem liegt es in der Natur einer Simulation, dass sie niemals zu hundert Prozent die Realität wiedergibt. Manchmal fällt der Unterschied zu deinen Gunsten aus - allerdings passiert dies aus meiner Erfahrung heraus eher selten. In allen anderen Fällen hast du Probleme, wenn das Ergebnis auf der Strecke nicht den Berechnungen aus dem Windkanal entspricht. Wir müssen es abwarten. Es gibt viele Ungewissheiten."

"Hinzu kommt, dass die Konkurrenzfähigkeit eines Autos in den vergangenen Jahren oft durch das Entwicklungstempo während der Saison bestimmt wurde. Früher - also vor zehn oder mehr Jahren - war es so: Hast du zum Saisonstart ein dominantes Auto, das auch noch zuverlässig ist, dann gewinnst du wahrscheinlich die Meisterschaft. Das ist aber heutzutage nicht mehr so. Teams können sich zurückkämpfen, manch ein Team entwickelt schneller als andere und überholt. Es geht wirklich nur noch um konstante Weiterentwicklung. Gerade bei stabilen Regeln ist das so. Im Grunde gibt es bei jedem Team zu jedem Rennen eine neue Evolution."

Wann wird auf 2014 umgeschwenkt?

Frage: "Wie sehr wird man sich noch auf die Entwicklung des RB9 konzentrieren? Ist das 2014er-Auto bereits auf dem Radar?"
Newey: "Natürlich. Genau das ist der harte Kampf für alle Teams. Wir alle haben begrenzte Ressourcen. Man kann nicht alles schaffen. Es bedarf einiger schwieriger Entscheidungen, wenn man die Ressourcen zwischen 2013 und dem wichtigen Jahr 2014 passend aufteilen will. Bei vielen Teams beginnt eine kleine Gruppe mit der Entwicklung für 2014. Diese Gruppe wird dann immer erweitert. Unser Chefdesigner Rob Marshall, Aerodynamikchef Peter Prodromou und Chefingenieur Mark Ellis arbeiten zweigleisig. Die müssen auf 2014 schauen und gleichzeitig den Wagen von 2013 weiterentwickeln."

"Es ist ein schwieriger Balanceakt. Jedes Team wird das etwas anders handhaben, immer auf Grundlage der Ergebnisse und Aussichten in der laufenden Saison. Jene Teams, die sich in der dieser Saison noch Chancen ausrechnen, werden weiter mit dem aktuellen Auto Druck machen. All diejenigen, die für die Zukunft sicher aufgestellt sind und die nicht mehr im Titelkampf stecken, werden frühzeitig auf 2014 umschalten können."

Frage: "Wie bewertest du die noch intensivere Partnerschaft mit Infinity?"
Newey: "Es ist eine enge Zusammenarbeit auf technischer Ebene. Beide Seiten können von dieser Kooperation profitieren. Infinity hat unglaublich gute Möglichkeiten, sehr umfassende Ressourcen. Ich bin zuversichtlich, dass man die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit bald erkennen wird. Vor allem in Hinblick auf 2014 wird dies wichtig und gut sein."


Fotos: Präsentation des Red Bull RB9


Frage: "Das Auto wird immer von vorn nach hinten betrachtet, später als Gesamtpaket bewertet. Wenn du Front, Mitte und Heck mal nimmst: In welchem Bereich habt ihr die meisten Änderungen vorgenommen?"
Newey: "Ich würde sagen, dass wir den mittleren Teil am meisten verändert haben. Es ist jener Bereich, wo du unter der Saison am wenigsten ändern kannst. Wenn du mal die Front nimmst: Den Flügel vorne kannst du relativ einfach jederzeit verändern."

"Zum mittleren Teil zähle ich die Kühlung, die Lufteinlässe, das Paket aus Getriebe und hinterer Aufhängung. Da musst du zusehen, dass du von Beginn an eine möglichst optimale Konstellation triffst, die im weiteren Verlauf des Jahres möglichst unverändert bleiben kann. Großartige Änderungen sind in diesem Bereich nicht so einfach machbar."

Red Bull prüft Doppel-DRS

Frage: "Wird es wegen der Stabilität der Regeln in diesem Jahr weniger Diskussionen um die Legalität von Lösungen geben?"
Newey: "Mit den Regeln ist es immer so eine Sache. Eigentlich steht das Regelwerk schwarz auf weiß geschrieben. Dann schauen sich die Teams diese Formulierungen an und betrachten sie manchmal aus unterschiedlichen Perspektiven. So kommt es, dass man manchmal eine Betrachtungsweise hat, die nicht mit jener der FIA übereinstimmt. Das findet man meist erst während der Saison heraus. Im vergangenen Jahr war das mit dem Doppel-DRS oder Auspuff so, zuvor war es mal beim F-Schacht so. Es ist immer schwierig."

Frage: "Es wurde viel über passive Doppel-DRS-Systeme gesprochen. Wird Red Bull so etwas im Verlauf der Tests mal ausprobieren?"
Newey: "Wir haben im vergangenen Jahr bei einigen Teams Versuche mit solchen Systemen gesehen. Es ist ein interessanter Ansatz, aber auch ein kniffliger. Es ist schwierig, ein solches System zuverlässig hinzubekommen und Situationen zu vermeiden, wo es unangenehme Folgen hat, wenn man beispielsweise einem anderen Auto folgt. Es ist schwierig, ein solches System so weit zu bringen, sodass es dir insgesamt am Rennwochenende einen Vorteil bringt."

Adrian Newey, Christian Horner, Mark Webber, Sebastian Vettel

Blende an der Nase, neue Frontflügel-Aufhängung, veränderte Seitenkästen Zoom

"Solch eine Entwicklung ist nicht mal eben gemacht. Wir haben in diesem Bereich unsere Forschung betrieben. Ich möchte noch nicht abschließend festlegen, ob auch wir im Verlauf der Saison mal so etwas ausprobieren oder nicht. Dieser Bereich ist sicherlich interessant, man muss es sich anschauen. Aus solchen Systemen tatsächlich bessere Rundenzeiten und - noch viel wichtiger - etwas Zählbares zu ziehen, ist aber ganz schön schwierig."