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  • 30.03.2015 15:21

  • von Dominik Sharaf

Maurizio Arrivabene: So cool ist Ferraris neuer Marlboro-Mann

Ein Studienabbrecher in Turnschuhen, der die Formel 1 begeistert: Der neue Ferrari-Teamchef ist unkonventionell und bescheiden, damit aber extrem erfolgreich

(Motorsport-Total.com) - 65 Jahre Formel-1-Geschichte zeigen: Der Posten des Teamchefs bei Ferrari ist nicht nur der Job mit dem meisten Prestige der Szene, sondern auch einer für besondere Charaktere: Es war der große Enzo höchstpersönlich, der ihn einst Luca di Montezemolo anvertraute. Der elegante, diplomatische und äußerst charmante Adelige mit Musterlebenslauf und einem Schrank voller blauer Sakkos schaffte es bis an die Firmenspitze. Er führte das Unternehmen zu ungeahnten wirtschaftlichen Erfolgen.

Titel-Bild zur News: Maurizio Arrivabene

Maurizio Arrivabene: Ein Typ, der aus einem Italo-Western stammen könnte Zoom

Es gab Jean Todt: Der französische General, im Paddock gerne "Napoleon" genannt und immer mit Stoppuhr bewaffnet, kompensierte sein biederes Äußeres mit harter Hand nach innen. Der immer nette, höfliche und zuweilen zu liebenswert wirkende Stefano Domenicali wird in den Ferrari-Annalen mit seinem Buchhalterimage kein Kapitel füllen, aber mehr Erinnerungen hinterlassen als der völlig überforderte Marco Mattiacci, der nur für eines berühmt wurde: seine Sonnenbrille und seinen Notizblock.

Doch Ferrari hat wieder ein Pferd im Stall, das das Zeug zur Ikone hat. Seit dieser Saison heißt es Vorhang auf für den Marlboro-Mann: Maurizio Arrivabene. Grau melierte Haarpracht und ein gepflegter Dreitagebart verleihen dem 57-Jährigen den Look eines rauen Schergen aus einem Italo-Western, die unvermeidlichen Turnschuhe beemen ins ins 21. Jahrhundert. Von Floskeln und dem Protokoll hält Arrivabene wenig: Er stellt sich Gott und der Welt lieber lächelnd als "Maurizio" vor.

Siegerfotos? Kein Fall für Maurizio Arrivabene

Bei der Ferrari-Weihnachtspressekonferenz verzichtete er auf Schlips und Kragen: Ein knallig-oranger Pullover und Jeans taten es auch - ein Outfit, mit dem di Montezemolo vermutlich nicht einmal Brötchen holen gegangen wäre. Bei den Testfahrten in Jerez mischte sich Arrivabene mit Ersatzfahrer Esteban Gutierrez und zwei weiteren Mitarbeitern kurzerhand unter die Besucher und verfolgte den Test eine Zeit lang aus der Fan-Perspektive - von der Tribüne aus. Und seinen vom Pech verfolgten Starpiloten Kimi Räikkönen beschwor er lautstark mit den Worten: "Du bist Hammer!"

Dank Arrivabene und dem neuen Präsidenten Sergio Marchionne, der seinem Ruf als knallharter Sanierer in neuer Funktion so gar nicht gerecht wird, weht bei Ferrari ein frischer Wind. "Er ist die Stimmung im Team", weiß 'Sky'-Experte Marc Surer und kann sich über den schrulligen Mattiacci nur wundern: "Wenn du einen Chef hast, der sich nur hinter der Sonnenbrille versteckt, fördert das keinen Teamgeist. Er hat mit jedem das Feeling, klopft jedem auf die Schulter. Er bringt das Team zusammen und motiviert es."


Fotostrecke: Fotostrecke: Alle Ferrari-Rennleiter in der Formel 1 seit 1950

Schließlich sind 60 Mitarbeiter in Ferraris Formel-1-Projekt neu. Sie gilt es zusammenzuschweißen. Arrivabene weiß, wie es funktioniert. Er ging nach dem Sieg beim Malaysia-Grand-Prix nicht selbst für den siegreichen Konstrukteur auf das Podium, sondern schickte Chefmechaniker Diego Ioverno - einen Mann, der für die kleinen Zahnräder in der Truppe steht. "Ich habe nach dem Rennen zu den Jungs gesagt, dass sie ein Foto mit dem Pokal machen können. Aber ich bin auf so ein Bild nicht aus", sagt Arrivabene.

Maurizio Arrivabene

Oranger Pullover, hochgekrempelte Ärmel: So gibt sich der Mann aus Brescia Zoom

Nichtsdestotrotz war der Sieg für ihn emotional. Er weinte bei der Nationalhymne, deren Zeilen er energisch mitsang. Aber Arrivabene weiß, dass es nicht sein Erfolg war. "Ich wurde gefragt, warum ich während des Rennens nicht viel gelacht und nicht so viele Emotionen gezeigt hätte: Es gab keine", erklärt er. "Ich habe an das Briefing gedacht, ich war konzentriert, ich bin Schritt für Schritt gegangen. Die Emotionen, die ich nachher gefühlt habe, galten dem Team. Es steht für unsere Leidenschaft." Wie ein "Schweizer Uhrwerk" hätten seine Jungs gearbeitet.

Arrivabenes Vita: Motorsport aus Leidenschaft

Was Arrivabene nicht sagt: Auch für ihn selbst bedeutet die Formel 1 Leidenschaft, schließlich ist er kein Berufsmotorsportler im klassischen Sinne: Seine berufliche Laufbahn begann der Mann aus Brescia nach einem abgebrochenen Architekturstudium in der Marketingbranche, die ihn zum Tabakgiganten Philip Morris und als Sponsorenvertreter in die Formel-1-Kommission führte. Feuer und Flamme ist er für seinen Lieblings-Fußballklub Juventus Turin, seinen Geburtstag "hasst" er, wie er selbst sagt.

Esteban Gutierrez, Maurizio Arrivabene

Esteban Gutierrez und Maurizio Arrivabene mischten sich in Jerez unter die Fans Zoom

Wer Arrivabene zwischen den Sessions im Paddock trifft, der wird selten erleben, dass der kantige Italiener freie Hände hat: Er ist so authentisch, dass er sein Marlboro-Stängel nicht nur jahrelang vermarktet hat, sondern auch selbst raucht. Es wird sich in einigen Jahren zeigen, ob aus dem fast schon geflügelten Formel-1-Wort vom "Mann mit dem blauen Jackett" der "Marlboro-Mann" geworden ist. Fest steht: Ferrari passt zu diesem Unikum so gar nicht, er dafür aber umso besser zur Scuderia.