• 26.06.2004 15:56

Massa: Geschliffener aber unpolierter Rohdiamant

Nach seinem Testjahr bei Ferrari und der halben Saison bei Sauber wissen die Experten: Felipe Massa kann es weit bringen

(Motorsport-Total.com) - Manche Sachen ändern sich nie. So wie Felipe Massas einzigartiger Fahrstil. "Ich bin ein sehr aggressiver Fahrer", sagt er. "Man kann seinen Fahrstil nicht so einfach verändern. Er ist ein Teil von Dir." Tatsächlich ist es so, wenn man Felipe in diesem Jahr beim Training beobachtet, als ob man ihn in 2002, seinem Debüt-Jahr in der Formel 1 begutachtet: er geht immer noch zu schnell in die Kurven, verschenkt eine Menge Speed, bringt aber trotz seines teilweise wilden Fahrstils Rundenzeiten zustande, die Beobachter zum Staunen bringen.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa (Sauber)

Felipe Massa ist deutlich reifer als noch in seinem ersten Sauber-Jahr

Der momentan einzige Unterschied ist, dass sein Sauber wie ein blauer Ferrari aussieht. Natürlich wissen wir, dass das übertrieben ist, genauso wie die Behauptung, Massa hätte sich nicht verändert. Tatsächlich muss man etwas näher hinsehen und -hören, um festzustellen, wie und wo sich Felipe weiterentwickelt hat. Denn der Brasilianer ist weit mehr als einer reifere Version des wilden Kindes, dem Peter Sauber vor zwei Jahren das Vertrauen schenkte. Er ist erwachsen geworden. Und mit seinen jetzt 23 Jahren versteht er auch, wie wichtig es ist, sich in der Formel 1 voll und ganz auf das Wesentliche zu konzentrieren.#w1#

Vom kleinen Jungen zum Mann

"Als Person habe ich mich beträchtlich verbessert", sagt er. "Ich bin viel ruhiger bei der Arbeit." Diejenigen, die mit ihm bei Sauber eng zusammenarbeiten stimmen dem zu. Wie Peter Sauber, Jacky Eeckelaert (Saubers Chefrenningenieur) oder Beat Zehnder (Team-Manager). Letzterer bringt es auf den Punkt: "Felipe war ein kleiner Junge, jetzt ist er ein Mann."

Kaum jemand würde darauf kommen, Massa als ruhig zu bezeichnen, schon gar nicht, wenn man ihn mal in Aktion im Auto gesehen hat. Tatsächlich aber spricht er selber davon. Und ganz offensichtlich ist es tatsächlich eine gewisse innere Ruhe, unbemerkt von den TV-Kameras, mit der es ihm gelungen ist, sich stetig zu verbessern. Das muss kein Widerspruch sein, zumal auch Jacky Eeckelaert meint, dass Felipes Fahrstil einfach seinem Talent entspricht und nicht angelernt ist.

Massa ist manchmal immer noch übermotiviert

"Felipe hat eine Begabung sich nach einem Fast-Dreher blitzschnell zu orientieren und sofort in die nächste Kurve zu stechen. Er produziert nicht so viele Dreher. In seinem ersten Jahr waren es mehr, jetzt viel weniger. Er bremst manchmal immer noch zu spät oder schlägt zu schnell ein, aber das liegt daran, dass er ab und an etwas übermotiviert ist und zu viel will."

Was Felipe 2004 seinem Renningenieur als technisches Feedback gibt, ist mit dem Informationsgehalt seiner 2002er-Meldungen nicht vergleichbar. Damals, so Eeckelaert, lautete Massa Devise: "Du machst, was du willst und ich werde fahren". "Das Problem war, dass ich nach nur wenigen Tests direkt zum Rennfahren kam, sodass ich mich wirklich ein wenig mit dem Setup abkämpfte," so Felipe.

Lernstunde mit Schumacher und Barrichello

Zwölf Monate Testen für Ferrari haben diese Lücke geschlossen und natürlich weiß Massa, dass die Erfahrung, die er in Maranello sammeln konnte, im Grunde unbezahlbar ist. Mit den besten der Formel-1-Liga zu arbeiten, mit Michael Schumacher und Rubens Barrichello Erfahrungen auszutauschen, das hat ihn auf seinem Weg ziemlich weit nach vorne gebracht. Diese Zeit half ihm auch zu begreifen, was ein Formel 1 Auto schneller macht, was man tun muss, damit das Auto so fährt, wie man es möchte; also kurz gesagt, wie man es optimiert.

Jeder Formel-1-Fahrer kann seinem Ingenieur sagen, wenn das Auto über- oder untersteuert. Weit schwieriger ist es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, warum der Wagen so reagiert. Das kommt nur mit der Erfahrung und einem wirklich detaillierten Hintergrundwissen. "Es ist schwierig, aber wenn man das Auto gut kennt, ist das Arbeiten sehr viel leichter," meint Felipe. "Wenn man zum Beispiel das Gefühl des Übersteuerns hat, liegt es eventuell gar nicht am Setup an sich; vielleicht drehen die Räder auch zu stark durch, wenn man aus der Kurve kommt und bewirken das Übersteuern; also ist vielleicht die Traktionskontrolle die Ursache."

Massa lernte die Welt der Formel 1 erst kennen

Man bekommt das Gefühl, dass Ferrari und gewiss Massas erstes Jahr bei Sauber, ihm die Augen für Dinge öffneten, an die er vorher nie gedacht hat. Und auch wenn sich sein Fahrstil niemals ändern mag, weiß er jetzt letztlich, wie man den Wagen einstellen muss, um ihn dem Stil anzupassen. Es ist auch nicht so, dass er bei Ferrari einen Kurs mit dem Titel "Wie verbessere ich mein technisches Verständnis" belegt hat. Michael und Rubens haben sich nicht mit ihm zusammengesetzt und gesagt: "Also Felipe, so wird das gemacht." Er musste für sich das Beste aus den Möglichkeiten machen.

"Die meisten Fahrer mögen es nicht, den Lehrer zu spielen. Sie machen ihren Job, aber allen durch das Zuschauen kann man eine Menge lernen. Ich war mit ihnen (Michael und Rubens) in jedem Meeting, und beobachtete, wie sie mit dem Team arbeiten. Bei den Tests verglich ich meine Daten mit ihren. So beobachtest du, vergleichst, beobachtest, vergleichst; dadurch lernst du."

Massa wäre um ein Haar bei Jordan gelandet

Beinahe hätte er diese Chance verpasst. Felipes Verhandlungen mit Jordan waren schon weit fortgeschritten, als Eddie Jordan plötzlich Ralph Firman unter Vertrag nahm. Zur gleichen Zeit ergab sich die Chancen auf den Ferrari-Vertrag als Testfahrer.
"Ich schlug in dem Moment zu, als es mir angeboten wurde." Nicht nur, weil es Ferrari war, sagt er, sondern auch, weil ihm bewusst war, wie wichtig das für seine weitere Formel-1-Karriere war. Und zu Saisonmitte 2003, als er sah, wie schwer es Jordan hat, war ihm klar, dass er die absolut richtige Entscheidung getroffen hatte.

Sauber ließ seinen Fahrer ein Jahr bei Ferrari reifen

Jetzt ist er zurück bei Sauber und hat mit Giancarlo Fisichella einen renommierten Teamkollegen. Massa ist deutlich konstanter in den Rennen, weiß aber, dass er noch jede menge Reserven hat: "Man kann sich immer entwickeln, sowohl technisch als auch im Kopf."

Jacky Eeckelaert fasst es so zusammen: "Als wir Felipe das erste Mal entdeckten, war er ein Rohdiamant. Großes Potenzial, sofort schnell, aber er machte eine Menge Fehler. Es ist sehr viel einfacher einem schnellen Piloten Zuverlässigkeit "beizubringen", als einen zuverlässigen Fahrer schneller zu machen. Ein Rohdiamant muss geschliffen werden."

Zwei Jahre danach ist der Diamant ziemlich gut geschliffen - um im Bild zu bleiben. Jetzt muss er nur noch poliert werden, dann könnte er vielleicht richtig brillant werden.