Lauda: "Vielleicht hat Michael ein Formtief"
Niki Lauda analysiert im Interview das Rennen in Istanbul - Lob für Sieger Massa und Alonso, recht scharfe Kritik an Michael Schumacher
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Niki, so stellt man sich ein WM-Duell vor wie heute zwischen Fernando Alonso und Michael Schumacher, oder? Spannung bis zur letzten Sekunde..."
Niki Lauda: "Überhaupt keine Frage, aber die Sache ist einfach analysiert: Massa hat mit dem gleichen Auto wie Michael vom ersten Tag, vom ersten Training an bis zur letzten Rennrunde eine Perfektion hingelegt, die zu seinem ersten Grand-Prix-Sieg geführt hat - in einer Manier, wie man es nicht besser hätte machen können."

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Niki Lauda übte scharfe Kritik an Michael Schumachers Leistung in Istanbul
"Michael konnte sich schon im Training nur als Zweiter qualifizieren, obwohl er eigentlich die Nummer eins im Team ist, und das Rennen haben wir ja gesehen - Fahrfehler in einer Kurve, Zeit verloren, Alonso dank der besseren Strategie vor ihm und damit am Ende nur Platz drei. Das schmerzt besonders, weil der Junge im gleichen Ferrari gewonnen hat. Das ist für dieses Wochenende mal eine bittere Pille. Dazu kommt noch, dass er jetzt noch zwei Punkte weiter weg ist."#w1#
Lauda sieht Schumacher im Formtief
Frage: "Wie kann man das erklären, warum ist es so passiert?"
Lauda: "Das muss man ihn selber fragen, aber für mich gibt es eine einfache Analyse: Massa ist perfekt gefahren, aber er nicht. Die Autos sind gleich und Michael ist die Nummer eins, also hätte er es genauso umsetzen können. Das hat er heute leider nicht getan. Vielleicht hat er ein Formtief."
Frage: "Sein Ausrutscher in der achten Kurve hat möglicherweise Platz zwei gekostet, nicht wahr?"
Lauda: "Was mich immer wieder fasziniert: Nach Budapest war sowieso klar, dass diese Fehlerhäufigkeit nicht mehr passieren darf, aber sie passiert immer wieder in kleinen Details - gestern im Qualifying, heute wieder. Alonso hat verdient den zweiten Platz geholt, denn er fuhr in den letzten 15 Runden mit dem langsameren Auto ohne Fehler vor Michael."
Frage: "Es gibt Stimmen im Fahrerlager, die sagen, dass Michael Schumacher unter Druck mehr Fehler macht als Fernando Alonso..."
Lauda: "Das ist unbestritten, das war auch im letzten Jahr so. Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Andere haben unter Druck eine wesentlich stabilere Fahrweise. Man muss fairerweise sagen: Michael ist siebenfacher Weltmeister, was noch niemand zusammengebracht hat, aber in der jetzigen Situation gibt es andere, die besser fahren als er. Massa war besser im gleichen Auto und Alonso war besser in einem unterlegenen Auto."
Frage: "War das heute schon eine Vorentscheidung in der Weltmeisterschaft?"
Lauda: "Es kann eine sein. Wir wissen ja nicht, wie die nächsten vier Rennen ausgehen werden, aber die zwei Punkte können über Schicksal und nicht Schicksal entscheiden. Ich habe einmal um einen Punkt verloren und einmal um einen halben gewonnen. Die WM kann durchaus knapp ausgehen - und dann können diese Punkte die Entscheidung herbeiführen."
Frage: "War es überraschend, dass Fernando Alonso so mitfahren konnte? Michael Schumacher hätte sich das heute sicher leichter vorgestellt, oder?"
Lauda: "Das war der springende Punkt, denn Michael war im Gegensatz zu Massa nicht schnell genug, um das ganz klar zu analysieren. Das hat Alonso genügt, um mit der richtigen Strategie den zweiten Platz herauszufahren, obwohl er klar unterlegen war."
Lauda glaubt an Entscheidung durch die Reifen
Frage: "Zwölf Punkte Rückstand, vier Rennen zu fahren - jetzt muss sich Michael Schumacher schon etwas einfallen lassen, nicht wahr?"
Lauda: "Er kann sich nichts anderes einfallen lassen als einmal fehlerfrei zu fahren. Mehr kann er nicht tun, denn die zwölf Punkte sind ein riesiger Vorsprung. Die Reifen werden weiter entscheiden. Monza ist an und für sich immer eine Ferrari-Hausstrecke, denn dort sind sie zu Hause und dort kennen sie sich aus. Der Ausgang des Rennens dort wird wieder eine Vorentscheidung sein, keine Frage, aber das Wichtigste für Michael ist, dass er einmal analysiert, warum er es heute nicht geschafft hat. Dafür muss es ja Gründe geben."
Frage: "Wie geht es ihm jetzt deiner Meinung nach?"
Lauda: "Am Podium hat er nicht glücklich dreingeschaut, das ist unbestritten. Ich würde mich auch ärgern, wenn der Kollege, der mit der WM nix zu tun hat, mir die Punkte wegschnappt. Nur: Ferrari konnte auch strategisch nichts unternehmen, denn sie hätten Massa sicher eingebremst, wenn sie auf den Plätzen eins und zwei gelegen wären, aber so war Alonso dazwischen. Für den Sport war es also eigentlich ein tolles Rennen."
Frage: "Fernando Alonso kann man nur applaudieren, oder?"
Lauda: "Alonso ist heute mit dem Material und mit den Mitteln, die er hatte, ein perfektes Rennen gefahren und Zweiter geworden. Massa ist für mich überhaupt der Größte: Er gewinnt seinen ersten Grand Prix - der junge Brasilianer, der von vielen unterschätzt wurde - nicht gegen irgendwelche Regeneskapaden wie in Budapest, sondern in einem Rennen, wo es hart auf hart geht, vor Alonso und vor Michael. Das war die beste Leistung, die er je gebracht hat."
Frage: "Kann so ein Grand Prix Michael Schumacher in seiner möglichen Entscheidung, die Karriere zu beenden, bestätigen?"
Lauda: "Ich glaube: Wenn man ihn jetzt fragen würde und er sich heute entscheiden müsste, dann würde er auf nächstes Jahr pfeifen. Zumindest würde ich dann an seiner Stelle drauf pfeifen..."

