Langsamstes Team auf den Geraden: Hat sich Mercedes verzockt?

Mercedes hadert mit einem zu niedrigen Topspeed, der den Williams von ALexander Albon für Lewis Hamilton zur unüberwindbaren Hürde machen könnte

(Motorsport-Total.com) - Eigentlich hatte Mercedes nicht mit einem guten Ergebnis im Qualifying zum Formel-1-Rennen in Monza gerechnet. Denn der Low-Downforce-Kurs kommt den Stärken des W14 nicht entgegen. "Wenn man sich die Topspeeds anschaut: Ich habe auf die Listen geschaut und wir waren fast überall ganz unten", benennt Motorsportchef Toto Wolff das große Problem der Silberpfeile.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton (Mercedes W14) beim Qualifying zum Formel-1-Rennen in Monza 2023

Lewis Hamilton fehlt es auf den Geraden an Geschwindigkeit Zoom

Das hat sich schon in Spa und Baku gezeigt, doch mit dem vierten und dem achten Platz war man im Qualifying zumindest teilweise über den Erwartungen, auch verglichen mit dem Vorjahr: "Wir waren im vergangenen Jahr 1,2 Sekunden weg und wissen, dass uns Low-Downforce nicht liegen würde", sagt Wolff.

"Jetzt sollte das Auto überall schneller sein, aber angesichts der problematischen Strecken und dem Abstand unseres schnelleren Autos nach ganz vorne, haben wir allen Grund, semi-zufrieden zu sein", so der Österreicher. Denn diesmal betrug der Abstand auf die Pole "nur" 0,377 Sekunden.

Und zumindest ein Pilot konnte mit seinem Ergebnis heute gut leben. Während Russell mit Position vier sehr zufrieden war, war es Hamilton mit Position acht überhaupt nicht. Dem Briten fehlten aber nur eineinhalb Zehntelsekunden auf den vierten Platz seines Teamkollegen, sodass er mit seiner Runde hadern musste.

"Ich habe es alles im zweiten und letzten Sektor verloren", ärgert er sich. Tatsächlich lag er nach dem ersten Sektor noch eine knappe Zehntelsekunde vor seinem Teamkollegen. Auch nach dem zweiten Sektor hatte er noch einen kleinen Vorsprung auf diesen, doch mit 26,812 Sekunden fuhr er einen schlechten letzten Sektor (Russell 26,623) und verlor an Boden.

"Ich hatte einfach Probleme mit dem Auto", erklärt er. "Es war nicht großartig. Im ersten Training fühlte sich das Auto am besten an, und danach ist es schlechter geworden." Hamilton weiter: "Unser Auto ist generell sehr schwierig zu optimieren, an diesem Auto ist nichts einfach."

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Auch Russell sagt, dass Mercedes weiß, dass die Stärken des W14 eher auf High-Downforce-Strecken liegen, und nicht auf Kursen wie Spa oder Monza. "Daher hatten wir schon erwartet, hier ein paar Probleme zu haben. Und dass wir dann auf Position vier gekommen sind, damit bin ich sehr zufrieden."

Russell hat das Tief überwunden

Für Russell selbst ging damit ein guter Trend weiter: Schon in Zandvoort war er mit Startposition drei aus einer kleinen Tiefphase rausgekommen, wo er vor der Sommerpause sechs von sieben Qualifyings gegen Teamkollege Hamilton verloren hatte (zur Übersicht aller Duelle 2023). Die scheint jetzt überwunden zu sein.

"Es ist eine Art Rückbesinnung auf die Grundlagen, ein wirklich guter Reset", sagt er. "Mit meiner persönlichen Leistung in den ersten beiden Rennen [nach der Sommerpause] bin ich sehr zufrieden. Ich bin wieder auf dem Niveau der ersten sechs Rennen."

"Vor der Pause hatte ich ein wenig den Faden verloren. Deshalb bin ich mit Platz vier wirklich zufrieden", so der Brite. Doch was waren denn die Gründe für das Tief?

"Ich denke, dass die Reifen ein großer Faktor sind und dass man ein wenig zu den Grundlagen zurückkehren sollte. Und wie ich schon sagte, sollte man nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern einfach die Geschwindigkeit des Autos akzeptieren", so Russell.

Das heißt: "Platz vier war heute das maximale Potenzial. Aber wenn ich die Pole ins Visier genommen und versucht hätte, drei zusätzliche Zehntel zu finden, wäre ich im Kiesbett gelandet, denn drei Zehntel mehr sind einfach nicht möglich."

"Wir wissen, wie wichtig der Reifen ist. Das ist das beste Beispiel: In Q1 waren wir 13., in Q3 Vierter - und das Einzige, was sich geändert hat, waren die Reifen."

Wolff: Mehr Training hilft uns

Wolff weiß, dass das Auto häufig seine Eigenheiten hat und etwas Zeit braucht, bis es richtig eingestellt ist, weil es ziemlich sensibel reagiert. "Du weißt nicht, was das Auto machen wird, wenn du einlenkst, von daher geht es darum, Selbstvertrauen in den Sessions aufzubauen", sagt er. "Und je länger wir fahren, desto besser werden wir und desto besser ist das Feintuning - das hilft."

"Sprintrennen sind hingegen nicht großartig für uns, weil das Auto so eine Diva ist."


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Doch Monza ist kein Sprintrennen, und Mercedes konnte seine Hausaufgaben ordentlich erfüllen. Die Frage ist, was für die Silberpfeile am Sonntag drin ist. Laut Wolff war Mercedes hinter einem "spektakulären" Ferrari-Longrun und Max Verstappen die dritte Kraft. "Wenn wir es mit den Jungs da vorne aufnehmen können, dann wäre das gut", sagt er.

Doch da wäre ja auch noch das Problem mit dem fehlenden Topspeed auf den Geraden, was am Sonntag vor allem für Lewis Hamilton ziemlich hinderlich werden kann, der eigentlich von Position acht noch nach vorne kommen möchte.

Unüberwindbare Williams-Wand?

"Wir sind einfach zu langsam auf den Geraden", weiß Wolff. "Unser Auto hat für diese Art von Highspeed-Strecken zu viel Luftwiderstand." Im Qualifying hat das dennoch für eine gute Rundenzeit gereicht, doch wenn es um das Überholen geht, dann wird das zu einem möglichen Stolperstein.

Hinzu kommt, dass der DRS-Effekt durch die ohnehin schon schmalen Heckflügel ziemlich gering sein wird. "Du gewinnst nur ein oder zwei Zehntel", meint Russell und möchte daher versuchen, bei den Boxenstopps an Ferrari vorbeizukommen.


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"Ich erwarte, dass wir einen besseren Reifenabbau haben werden, also ist unsere einzige Chance, schneller bei den Boxenstopps zu sein und etwas anderes als sie zu machen."

Hamilton hat eher andere Gegner im Blick. Vor allem der Williams von Alexander Albon, der zwei Positionen vor Hamilton starten wird, könnte für den Briten zu einer Wand werden: "Williams wird fast unmöglich zu überholen sein. Er ist der Schnellste auf den Geraden", meint er. "Aber ich werde versuchen, morgen irgendwie nach vorne zu kommen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."