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Kurve 8 soll entschärft werden: Ist Baku zu gefährlich?

Nach zahlreichen Gelben und zwei Roter Flaggen soll Kurve 8 für morgen entschärft werden - Wieso es im Training von Baku so viele Ausrutscher gab

(Motorsport-Total.com) - "Es ist eine brutale Strecke", fasst es Nico Hülkenberg treffend zusammen. Der Baku City Circuit ist wahrlich eine der besonderen Herausforderungen im Formel-1-Kalender. Das hat sich heute am Trainingsfreitag in der aserbaidschanischen Hauptstadt deutlich gezeigt. Gefühlt wurde mehr Fahrzeit unter Gelb absolviert als mit freier Fahrt, weil es ständig Ausritte in die Auslaufzonen gegeben hat.

Titel-Bild zur News: Jolyon Palmer

Jolyon Palmer war eines der Opfer an einer der engsten Kurven der Formel 1 Zoom

In Zeiten, in denen die heutigen Formel-1-Kurse von weitläufigen Asphaltauslaufzonen dominiert werden, darf man die Frage stellen, wie Baku in den Kalender passt. Gut, Monaco ist ebenfalls haariger Leitplanken-Dschungel, doch im Fürstentum ticken die Uhren schon aus Tradition anders. Außerdem erreichen die Piloten in Monaco nicht die wahnwitzigen Geschwindigkeiten, die in Baku gefahren werden.

Als besonderes Gefahrenpotenzial wurde Kurve 8 ausgemacht. Sie ist eine der engsten Kurven in der Formel 1 und hat ihre Tücken heute gezeigt. Es galt als Wunder, dass 2016 niemand dort verunfallte, doch heute erwischte es mit Sergio Perez (Force India) und Jolyon Palmer (Renault) gleich zwei Piloten. Beide blieben mit ihren mittlerweile breiteren Boliden in der Streckenbegrenzung hängen und sorgten für Rote Flaggen.

Kurve 8: Randstein das Problem

"Er hat versucht, das Limit zu finden - und er hat es gefunden", nimmt Force Indias Co-Teamchef Robert Fernley den Unfall mit Humor. Kurve 8 ist für jeden Piloten in jeder Runde eine Herausforderung: "Man fährt 60 mal vorbei, und 30 mal denkt man, dass man irgendwie hängenbleibt, weil es unheimlich eng ist", beschreibt Sebastian Vettel (Ferrari) die Kurve. Auch den viermaligen Weltmeister hätte es beinahe erwischt.

"Ich habe ein paar Mal den Joker gezogen und bin geradeaus gefahren", sagt er, wie er sich vor dem Einschlag geschützt hat. "Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal den Rückwärtsgang gebraucht habe, und heute habe ich ihn dreimal gebraucht." Den Piloten reicht es. Sie haben bereits bei Rennleiter Charlie Whiting eine Änderung von Kurve 8 angefordert, die sich die FIA bis morgen anschauen möchte.

Sergio Perez

Auch Sergio Perez erwischte es in der berüchtigten Kurve 8 Zoom

Konkret geht es dabei um den Randstein an der Innenseite, denn der ist das große Problem daran. "Wir haben Charlie gefragt, ob man die Stelle nicht ändern kann, weil es ziemlich eng ist und man leicht Fehler machen kann", sagt Perez, der vom Randstein ausgehoben wurde und dann in die Strecke einschlug. "Wir hatten Diskussionen, dass es gut sein könnte, wenn sie den Randstein entfernen. Dann könnte es eine schönere Kurve sein", nickt sein Teamkollege Esteban Ocon.

Lieber geradeaus als Einschlag

Kurve 8 ist jedoch nicht der einzige schwierige Punkt, wie sich heute gezeigt hat. "Bis auf Kurve 15 habe ich fast alle Auslaufzonen mitgenommen", lacht Vettel nach dem heutigen Freitag. Beinahe in jeder Kurve standen in den beiden Trainingssessions Autos in der Auslaufzone. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen ist die Strecke auf einem Stadtkurs natürlich eng, zum anderen zu Eventbeginn mächtig schmutzig.

Kommen dann Bodenwellen hinzu, sind Fehler fast vorprogrammiert. Weil es ihnen an weitläufigem Auslauf wie auf anderen Kursen fehlt, fahren die Piloten im Zweifel lieber geradeaus, bevor sie in die Mauer fahren. Was passiert, wenn man sich zu spät dafür entscheidet, hat man am Ende der Nachmittagssession bei Max Verstappen (Red Bull) gesehen, der seinen Boliden in Kurve 1 in die Barriere feuerte.

Ein großes Problem sind jedoch vor allem die Reifen. Pirelli hat darauf verzichtet, den Ultrasoft mit nach Baku zu bringen, und den Piloten das Leben damit schwer gemacht. "Der Grip ist wirklich schlecht", meint Lewis Hamilton. Er hält die Reifen in Aserbaidschan für deutlich zu hart. "Alle haben Probleme, die Reifen zum Arbeiten zu bekommen. Hier ist es unheimlich warm, die Streckentemperatur beträgt 50 Grad - und trotzdem funktionieren die Reifen nicht. Das hat keinen Sinn", sagt er.

Teufelskreis Reifentemperatur

Wenn die Reifen nicht im Arbeitsfenster sind, dann erzeugt das Fehler, wie man im Training gesehen hat. Auf einer grünen Strecke ist es noch schwieriger, die Pneus in den richtigen Bereich zu bekommen. "Und wenn man keinen Grip hat, dann kann man nicht spät bremsen und dann bekommt man keine Energie in die Reifen. Und wenn sie nicht heiß werden, dann hat man keinen Grip. Man befindet sich in einem Teufelskreis", hat Ferraris Chefingenieur Jock Clear erkannt.

Hinzu kommt, dass Baku vor allem aus langen Geraden und 90-Grad-Kurven besteht. Auf den Geraden - und speziell auf der 2,2 Kilometer langen Zielgeraden - verschwindet die Temperatur aus den Reifen, sodass man beim nächsten Bremsen ein Problem bekommt und den Auslauf benutzen muss. Ein ähnliches Problem mit dem Aufwärmen der Reifen hat man schon das ganze Jahr über gesehen, doch in Baku kumuliert sich das Thema.


Fotostrecke: FIA-Fast-Facts Baku

"Ich denke aber, dass es morgen viel griffiger sein wird, und am Sonntag noch einmal mehr. Von daher erwarte ich weniger Probleme", sagt Clear. Das hat sich auch im Vorjahr gezeigt, als der Große Preis von Europa das wohl langweiligste Rennen des Jahres war - einen gröberen Vorfall gab es dort nicht zu sehen. Mit den breiteren Autos und aggressiveren könnte sich das jetzt aber ändern, denn die Strecke bleibt eng und herausfordernd.

Renault-Teamchef will mehr Gefahr

Die Bremspunkte werden auch am Sonntag schwierig zu setzen sein. Einerseits macht es der niedrige Sonnenstand schwierig, den Scheitelpunkt zu sehen, zum anderen gibt es im Betonkanal kaum Anhaltspunkte, an denen sich die Piloten beim Bremsen orientieren können. "Und wenn sie die Reifen blockieren, müssen sie die Lenkung aufmachen, weil man nicht versuchen kann, die Kurve noch zu bekommen", weiß Williams' Rob Smedley.

Doch genau das würde Renault-Teamchef Cyril Abiteboul noch verschärfen wollen. Er würde gerne mehr Mauern sehen, "um ein wenig Strafe zu schaffen und die Fahrer anzureizen, auf der Strecke zu bleiben", wie er sagt. Das sollte er aber lieber nicht seinem Fahrer Nico Hülkenberg vorschlagen, der schon Journalisten maßregelt: "Im Betondschungel sieht alles anders aus, als wenn man im Medienzentrum ruhig auf dem Stuhl sitzt." Das dürfte auch für den Platz am Kommandostand gelten.