• 16.11.2015 08:52

  • von Roman Wittemeier

Kritik an Strategien: Die Funk-Fernsteuerung für die Fahrer

Fahrplan für ein berechenbares Rennen: Warum Mercedes keine Freiheiten bei der Wahl der Rennstrategien einräumt - Toto Wolff: "Haben Wachhunde, keine Welpen"

(Motorsport-Total.com) - Der Kampf um den Sieg beim Formel-1-Grand-Prix von Brasilien 2015 war nicht eben von großer Spannung geprägt. Die beiden Mercedes-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton fuhren einen weiteren Doppelerfolg für das deutsche Werksteam ein - ohne Überholmanöver, ohne intensive Attacken. Für viele Zuschauer entstand nicht zum ersten Mal der Eindruck, als sei die Reihenfolge der Silberpfeile nach der Zeitenjagd im Qualifying bis zum Ende des Rennwochenendes zementiert gewesen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton

So nahe kamen sich die beiden Silberpfeile im Rennen in Sao Paulo nur selten Zoom

"Ich bin hier, um ein Rennen zu fahren. Wenn aber beide die gleichen Ansagen bekommen, steht die Reihenfolge sowieso so ziemlich fest", kritisiert Weltmeister Lewis Hamilton. Der Brite hätte sich - ebenso wie beim Rennen zuvor in Mexiko - mehr Freiheiten bei der Wahl der Strategie gewünscht. Nur auf diesem Weg hätten sich womöglich Chancen auf einen Sieg ergeben. "Wir müssen auf das Team vertrauen", meint Hamilton in einem Anflug von PR-Sprache. Aber die Offenheit kehrt schnell zurück.

"Es gab einen Punkt im Rennen , wo ich dran war, aber nicht vorbeikam. Ich habe die schnellste Runde gedreht, was zeigt, das ich schnell genug war. Manchmal wäre es schön, wenn man die Chance bekäme, mal etwas anderes zu versuchen", sagt der Brite. "Es wäre besser, wenn man die Wahl hätte. Die Realität ist aber, dass unsere Strategen die besten Fahrpläne anschauen und sich dann für den vermeintlich besten entscheiden. Daran hält man dann halt fest."

Glück nur für den Tüchtigen aus dem Qualifying?

"Diese Diskussion hatten wir schon oft", winkt Rosberg nach seinem Sieg in Sao Paulo ab. "Es darf nicht sein, dass derjenige, der eigentlich Zweiter ist, nur aufgrund von Glück gewinnt, weil seine Strategie vielleicht besser ist. Das wäre nicht fair. Es macht außerdem keinen Sinn, wenn eigentlich nur wir beiden um den Sieg kämpfen. Dann wollen die Leute doch ein Duell von Lewis und mir sehen - ohne den Faktor Glück durch verschiedene Strategien darin."

"Ich stimme Lewis zu. Ein Fahrer muss mehr Einfluss auf die strategischen Entscheidungen haben. Er muss die Möglichkeiten bekommen, etwas anderes zu versuchen als sein Teamkollege. Wenn man so etwas unterbindet, dass ist die Reihenfolge eigentlich vom Start bis ins Ziel zementiert", sagt Ex-Weltmeister Damon Hill bei 'Sky Sports F1'. "Eine andere Strategie hätte Lewis vielleicht eine Chance eröffnet. Vielleicht wäre ein spannenderes Rennen entstanden."

Lewis Hamilton

Glücklich sieht anders aus: Lewis Hamilton nach Platz zwei im Brasilien-Rennen Zoom

"Natürlich haben die Teams Verpflichtungen gegenüber Partnern und Teilhabern, sie müssen das große Ganze sehen. Aber als Fan komme ich mir vielleicht verschaukelt vor. Wenn ich mir ein Ticket kaufe, will ich sehen, wie die Jungs ein echtes Rennen gegeneinander fahren", kritisiert Hill die Marschroute von Mercedes. Sportchef Toto Wolff versteht diese Ansicht, kann die Ansprüche und Erwartungen der Fans nachvollziehen. Eine Änderung der Herangehensweise wird es dennoch nicht geben.

Mercedes weicht nicht von bewährten Prinzipien ab

"Wir haben diesbezüglich unsere Prinzipien, an die wir uns seit 2013 konsequent halten. Das hat bisher gut funktioniert. Wir werden es nicht ändern", stellt der Mercedes-Motorsportchef klar. Im Rennen in Brasilien hätte sich Hamilton den Wechsel zu einer Dreistopp-Strategie gern offen gehalten, aber die Chefstrategen an der Box entschieden sich eindeutig gegen eine solche Variante. Die beiden Silberpfeile kamen jeweils in zwei aufeinanderfolgenden Runden zum Service - berechenbar für alle und wenig spannend.

"Wenn man anfängt, die Strategien zu splitten, dann wird es Diskussionen im Team geben, die irgendwann heftig werden könnten", meint Wolff. Er unterstellt den Piloten, keine ausreichende Grundlage für strategische Entscheidungen zu haben. "Der Fahrer hat nicht das komplette Bild vor Augen. Im fraglichen Moment bauten die Reifen von Lewis stark ab. Wir haben über eine Dreistopp-Strategie nachgedacht. Diese wäre zehn Sekunden langsamer gewesen, es wäre womöglich sogar der zweite Platz in Gefahr gewesen."

"Wir haben unsere Strategen im Team. Wenn die Fahrer ganz allein entscheiden würden, dann könnten sie jedes Rennen verlieren", sagt der Österreicher. Er erklärt: "Strategie ist nichts, was durch Instinkt entschieden wird. Manchmal mag der Instinkt eine richtige Entscheidung bringen, aber wenn man nicht alle Daten hat, wird man in den meisten Fällen danebenliegen. Deswegen bleiben wir bei unserer bewährten Marschroute."


Fotos: Großer Preis von Brasilien, Girls


Wachunde dürfen bellen: Fahrer-Frust ist normal

Wolff kann die teils emotionalen Aussagen von Hamilton verstehen, der sich offenbar vorkommt wie ein ferngesteuertes Duracell-Häschen. "Wir haben Wachhunde engagiert und keine kleinen Welpen", lacht der Mercedes-Rennleiter angesichts der Bissigkeit seiner Schützlinge. "Es ist doch schon viel besser als in den zurückliegenden Jahren, wo es in den Teams eine klare Nummer 1 und eine Nummer 2 gab, der niemals auch nur in die Nähe des Topmanns kam. Das läuft heutzutage anders."

"Es ist manchmal nicht ganz einfach, den Kampf von zwei Teamkollegen im Griff zu halten. Man könnte vielleicht einen Schritt weitergehen und auch die Strategen gegeneinander kämpfen lassen, aber das ist nicht der Weg, den wir wählen möchten", sagt er. "Wir wollen keinen Präzedenzfall kreieren, den wir nächstes Jahr dann wieder lösen und zwischen den beiden Fahrern vermitteln müssen, die dann vielleicht fragen, warum wir es in Brasilien getan hätten und jetzt nicht. Leider ist meine Position etwas langweilig."


Fotostrecke: GP Brasilien, Highlights 2015

"Manchmal komme ich mir vor wie ein Fußballtrainer", sagt Wolff, der seine Rolle als Dompteur in der Formel-1-Manege sehr ernst nimmt. "Es sind nicht bloß die Fahrer, sondern es ist das gesamte Team in der Garage und Fabrik etc. blablabla. Und wenn man einen Fahrer hat, der nach jedem zweiten Rennen angepisst ist, weil er Zweiter ist, dann muss man versuchen, das zu managen. Das haben wir getan", so Wolff. "Manchmal muss einfach über die Situation lachen und gut ist."

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