Das war das Formel-1-Rennen in Sao Paulo 2015: Rosbergs tolle Fahrt zum Vizetitel und Verstappens Weltklasse-Manöver gegen Sergio Perez
"Bei Lewis ist die Luft ein bisschen draußen. Wenn du Weltmeister bist, sind die Rennen danach nicht mehr ganz so wichtig", fürchtet Mercedes-Sportchef Toto Wolff vor dem Grand Prix von Brasilien - und behält mit seiner Prognose recht: Nico Rosberg gewinnt nach Mexiko das zweite Rennen hintereinander, feiert seinen 13. Sieg insgesamt in der Formel 1. Damit überholt er in der ewigen Bestenliste die Weltmeister Mario Andretti und Alan Jones und zieht mit Alberto Ascari gleich.
Tags zuvor holt Rosberg mit einer ebenso cleveren wie letztendlich souveränen Leistung die Pole-Position in Interlagos, "zwischen den Seen" in Sao Paulo; 0,078 Sekunden vor Teamkollege Lewis Hamilton, der auf Psychospielchen setzt: "Mein Job ist schon erledigt. Ich habe dieses Jahr die meisten Poles geholt und die Weltmeisterschaft gewonnen." Der drittplatzierte Sebastian Vettel im Ferrari hat mehr als eine halbe Sekunde Rückstand.
Star des Qualifyings ist aber Fernando Alonso: Nach einem weiteren Honda-Motorschaden, der sein Rückversetzungs-Konto 2015 auf 180 Startpositionen wachsen lässt, zieht es der McLaren-Star vor, sich betont lässig auf einem Campingstuhl zu sonnen, anstatt den Defekt gleich mit den Ingenieuren zu analysieren. Internet-User schneiden die Pose aus dem Foto aus - und platzieren sie in verschiedensten Popkultur-Motiven. Der Hashtag #PlacesAlonsoWouldRatherBe wird zum weltweiten Twitter-Trend. Und der einst so stolze "Mister McLaren" Ron Dennis wieder einmal gedemütigt.
Alonso kann das Rennen in Angriff nehmen, spielt als 15. mit einer Runde Rückstand, 9,3 Sekunden hinter Teamkollege Jenson Button, aber keine Rolle. Für seinen Landsmann Carlos Sainz ist der Arbeitstag schon vorbei, bevor er überhaupt beginnt: Kupplungsschaden auf dem Weg in die Startaufstellung, Start aus der Boxengasse, Ausfall. Und vor dem Saisonfinale 18:49 Punkte gegen Toro-Rosso-Sensation Max Verstappen, der das Glück im gemeinsamen Premierenjahr eher hold ist.
Rosberg hat das Starten wieder gelernt: Zum zweiten Mal nach Mexiko gibt er sich in der ersten Runde keine Blöße - Hamilton kommt auf der schmutzigeren Seite der Fahrbahn nicht einmal auf gleiche Höhe. Auch die beiden dahinter gestarteten Ferraris kommen ohne Probleme von der Linie weg. Aber am besten startet, zumindest von den Top 10, Williams-Hoffnung Valtteri Bottas.
Der Finne, wegen eines streitbaren Überholmanövers unter roter Flagge im Freien Training vom vierten auf den siebten Startplatz zurückversetzt, überholt schon vor dem Senna-S Nico Hülkenberg (Force India) und Daniil Kwjat (Red Bull).
Etwas weiter hinten machen erst Pastor Maldonado (Lotus), dann auch Alonso und Marcus Ericsson (Sauber) Bekanntschaft mit den Auslaufzonen. Zumindest die beiden Lotus-Piloten sollten als Achter (Grosjean) beziehungsweise Zehnter (Maldonado) trotzdem noch WM-Punkte sammeln.
Die Boxenstopps eröffnet Daniel Ricciardo (Red Bull) schon in der dritten Runde, mutmaßlich in der Hoffnung auf ein frühes Safety-Car. Das bleibt aber (trotz Sainz-Bergung) aus, ebenso wie der erhoffte PS-Gewinn durch die neueste Renault-Ausbaustufe. Ricciardo kann das Handicap der letzten Startreihe (Motorwechsel) nicht wettmachen, verpasst den zehnten Platz am Ende aber nur um 1,5 Sekunden.
Es dauert bis zur vierten Runde, ehe Rosberg seinen Teamkollegen aus der DRS-Sekunde abschütteln kann. Vettel verliert auf den Silberpfeil-Express weniger als befürchtet, sein Rückstand wird aber dennoch sukzessive größer. Immerhin: Von hinten droht durch Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari keine Gefahr.
Während sich das Feld vorne relativ rasch sortiert, wird im Mittelfeld teilweise herzhaft gekämpft. Zum Beispiel zwischen Lokalmatador Felipe Massa (Williams), Sergio Perez (Force India) und Verstappen um den achten Platz.
Hülkenberg ist in der neunten Runde der zweite Fahrer nach Ricciardo, der die Reifen wechselt, kommt einen Umlauf vor Kwjat zum Boxenstopp. Eine Rechnung, die aufgeht: Hülkenberg zieht durch die Strategie am Russen vorbei, ist nach dem ersten Stint Sechster - und gibt diese Position bis ins Ziel nicht mehr ab.
Ab Runde 20 scheint Leader Rosberg die Kontrolle zu verlieren: Nach dem ersten Boxenstopp erhöht Hamilton den Druck, taucht im Senna-S einmal neben seinem Teamkollegen auf - muss dann aber doch wieder abreißen lassen: "Unmöglich, da hinterherzufahren!" Seinem Wunsch, eine andere Strategie ausprobieren zu dürfen als Rosberg, kommt Mercedes aus teamtaktischen (Fairness-)Gründen nicht nach.
Verstappen holt als Neunter zwar "nur" zwei WM-Punkte, wird nach dem Rennen aber von Experten wie David Coulthard und Eddie Jordan mit Größen wie Michael Schumacher und Ayrton Senna verglichen. Auch wenn das riesige Fußstapfen sind: Das Manöver gegen Perez im Kampf um Platz neun erinnert in Sachen Kompromisslosigkeit durchaus an die großen Vorbilder. Und im Windschatten von Verstappen schlüpft auch noch Grosjean am zeitweise zahnlos agierenden Mexikaner, den man eigentlich viel aggressiver kennt, durch.
Die Mercedes-Crew fertigt Hamilton auch beim zweiten Boxenstopp schneller ab, doch der Weltmeister bleibt wieder hinter Rosberg. Und hat kurzzeitig auch noch Räikkönen als Puffer vor sich, weil der an der ursprünglichen Zweistoppstrategie festhält, während Vettel mit seinem Speed die Silberpfeile zum Wechsel auf drei Reifenwechsel zwingt. Wenig später lässt Räikkönen Vettel freiwillig durch - weil der um 17 Runden frischere und obendrein auch noch weiche Reifen hat.
HasMaldonadoCrashedToday? Yes! Diesmal schiebt der heißblütige Südamerikaner den kühlen Schweden Ericsson im Kampf um Platz 14 von der Strecke. Die FIA-Rennkommissare akzeptieren keine zweite Meinung und verhängen dafür eine Fünf-Sekunden-Strafe, die Maldonado noch während des Rennens absitzen muss. Ericsson kann sich davon nichts kaufen: Der Sauber-Fahrer wird 16.
Teamkollege Grosjean zeigt vor, wie es geht: blitzsauberes Überholmanöver gegen den entzauberten Verstappen, mit praktisch identischen Reifen. Die beiden fahren bis zur Zieldurchfahrt nach 71 Runden auf Augenhöhe, Grosjean bleibt aber voran.
Hamilton hat in der 51. Runde noch 1,5 Sekunden Rückstand, ist zwei Runden später aber wieder bis auf 0,8 Sekunden dran - und hat mit DRS-Vorteil bei Start und Ziel zehn km/h mehr Topspeed. Rosberg behält die Nerven, obwohl seine Boxencrew bei allen drei Reifenwechseln langsamer arbeitet als jene von Hamilton. Das kostet ihn mehr als eine Sekunde.
Die Entscheidung fällt 15 Runden vor Schluss: Hamilton, schon in den Trainings über die neuen Randsteine aggressiver unterwegs als Rosberg, verbremst sich - und funkt wenig später: "Ich habe mir den Unterboden beschädigt." Trotzdem liegen bei Rosberg die Nerven blank: "Redet nicht mehr mit mir", schnauzt er seinen Renningenieur an. Am Ende reicht es ganz souverän: 7,7 Sekunden vor Hamilton, 14,2 vor Vettel und 47,5 vor Räikkönen. Der Rest des Feldes ist überrundet.
Brasilien 2015 hat aber noch ein Nachspiel: Weil bei der FIA-Messung fünf Minuten vor dem Start die Temperatur des rechten Hinterreifens von Felipe Massa gleich um 27 Grad Celsius über der Pirelli-Maximalvorgabe von 110 Grad liegt (und 0,1 psi über dem mindestens vorgeschriebenen Reifendruck), wird der Lokalmatador vom achten Platz disqualifiziert. Williams legt gegen die Entscheidung Protest ein. Für Massa "business as usual": Zum dritten Mal hintereinander wird er beim Heim-Grand-Prix bestraft.
Rosberg beweist mit seinem fünften Saisonsieg nicht nur, dass er Hamilton noch schlagen kann, sondern er sichert sich vor allem zum zweiten Mal hintereinander den Vize-WM-Titel - 31 Punkte Rückstand sind für Vettel in Abu Dhabi nicht mehr aufzuholen. Weitere Entscheidungen: Williams fixiert den dritten, Force India erstmals den fünften Rang in der Konstrukteurs-WM.
Das war das Formel-1-Rennen in Sao Paulo 2015: Rosbergs tolle Fahrt zum Vizetitel und Verstappens Weltklasse-Manöver gegen Sergio Perez