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  • 26.11.2018 20:28

  • von Stefan Ehlen, Co-Autor: Jonathan Noble

Jimmie Johnson im Formel-1-Auto: Lebenstraum erfüllt, was gelernt

Win-Win-Situation: NASCAR-Champion Jimmie Johnson hat bei seinem Formel-1-Test mit McLaren in Bahrain auch einiges für seinen Fahrstil im Stock-Car gelernt

(Motorsport-Total.com) - "Du hast den Helm noch auf, aber ich sehe dein Grinsen trotzdem!" Das hat Fernando Alonso nach der ersten Ausfahrt von Jimmie Johnson in einem Formel-1-Auto gesagt. Und der zweimalige Weltmeister hatte Recht: Johnson hat seine Testrunden im McLaren MP4-28 in Bahrain genossen - und wie! Der siebenmalige NASCAR-Cup-Champion sprach anschließend von der Erfüllung eines Lebenstraums. Und davon, dass er selbst im Alter von 43 Jahren noch etwas dazugelernt habe.

Titel-Bild zur News: Jimmie Johnson

Jimmie Johnson bei seinem Test im McLaren MP4-28 von 2013 in Bahrain Zoom

Da wären zum Beispiel die Bremsen, die jeden Formel-1-Neuling vom Hocker hauen. Auch Johnson gibt sich beeindruckt - aber mehr von der Fahrtechnik im Formelsport und nicht so sehr von der Verzögerung. "Mit Cup-Autos bremst du in den Scheitelpunkt hinein. Ein Formel-1-Auto mag das gar nicht, man verbremst sich da leicht", sagt Johnson. Das sei einer seiner ersten Aha-Effekte im Grand-Prix-Rennwagen gewesen. Doch er habe sich rasch darauf ein- und das Differential umgestellt, nach Anweisung des Teams erst den Bremsvorgang abgeschlossen, dann das Auto "in den Scheitelpunkt hineingeworfen", wie er es beschreibt.

"Das ist der große Unterschied [zwischen Formel 1 und NASCAR]", erklärt Johnson, der "zweifelsohne" eine Lektion gelernt habe, die ihn selbst nach etlichen Siegen und Meistertiteln noch schneller machen werde. "Diese für mich neue Bremsphilosophie", sagt er, "dürfte mir bei Road-Course-Rennen helfen." Davon gibt es im NASCAR-Kalender immerhin drei - Sonoma, Watkins Glen und das Roval von Charlotte. Die restlichen der 36 Saisonrennen werden auf Oval-Rennstrecken absolviert. Mit Fahrzeugen, die für Ovalsport entwickelt wurden. Entsprechend groß war die Umstellung für Johnson im McLaren in Bahrain.

Premiere im Formelauto für Johnson

Er habe zuletzt 1994 ein Rennauto mit freistehenden Rädern bewegt, erklärt der US-Amerikaner. Dabei habe es sich um einen Wüstenbuggy gehandelt. Ein klassisches Formelauto hat er eigenen Angaben zufolge noch nie bewegt. Und dann das: Der MP4-28 stammt aus der Formel-1-Saison 2013, als McLaren noch mit Mercedes-V8-Motoren fuhr. Diese Triebwerke sind bis heute wesentlich einfacher einzusetzen als die komplexen Turbo-Hybrid-Antriebe der neueren Fahrzeuge, die aufgrund der strengen Testrestriktionen in der Formel 1 ohnehin nicht für die Johnson-Probefahrt in Frage gekommen wären.


Autotausch von Alonso & Johnson

Johnson war es egal. Er schwärmte vom schieren Speed der Formel 1 - und von den großen Auslaufzonen am Bahrain International Circuit, die es ihm bei seinem Autotausch mit Alonso einfacher gemacht hätten, sich beim Bremsen ans Limit heranzutasten. Lob hat er auch für den McLaren-Simulator übrig, den er vorab ausgiebig genutzt hat. Selbst seine "vielen Dreher" im virtuellen Rennauto verschweigt Johnson nicht. Doch eben die hätten ihm dabei geholfen, das Formel-1-Auto (etwa 800 PS auf 642 Kilogramm) im Grenzbereich besser einschätzen zu können. Gerade am Kurvenausgang verhalte sich das Formelauto wesentlich "steifer" und damit schwieriger als der Cup-Rennwagen (etwa 725 PS auf 1.451 Kilogramm), sagt Johnson. Aber das sei eine Frage der Gewöhnung.

Was ihn im Vergleich zur Vorbereitung am Simulator am meisten erstaunt habe? "Wenn auf einmal der Fahrtwind dazukommt, die Geschwindigkeit und die g-Kräfte, dann brauchst du eine Weile, um all das aufzunehmen", sagt der siebenmalige NASCAR-Champion. Doch mit jeder Runde habe er mehr Routine bekommen. "Jedes Mal bewegte sich meine Umgebung langsamer und ich fand es leichter, meine Bremspunkte zu finden. Am Ende brachte ich einige gute Runden zusammen. Das hat Spaß gemacht."

Johnson fast auf Alonso-Niveau

Offizielle Zeiten hat McLaren nicht veröffentlicht. Doch wie unsere Kollegen vor Ort beobachtet haben, war Johnson letztendlich nur 0,2 Sekunden langsamer als Alonso, der am Vormittag eine Einstellfahrt im MP4-28 vorgenommen und eine Richtzeit von 1:40.2 Minuten gesetzt hatte. "Schon sehr cool", meint Johnson zum Vergleich mit Alonso. Nur mit einem Autotausch sei es eben nicht getan. "Ich wusste nicht, wie nahe ich [an seine Zeit] herankommen würde. Aber als Racer konzentrierst du dich natürlich genau darauf. Daher hatte ich sofort gefragt: Was war seine Rundenzeit? Und kann ich mir seine Daten anschauen?"

Erst danach folgten Johnsons erste Runden im Formel-1-McLaren. Und die Erkenntnis: Fahren ohne Dach ist anders! "Gleich im ersten Stint rutschte mir mein Helm nach oben. So hoch, dass ich das Mikrofon vor Augen hatte", sagt Johnson. "Ich dachte mir: 'Eigentlich sollte ich anhalten. Aber eigentlich will ich gar nicht!' Doch nachdem wir den Helm unter Kontrolle hatten, gewöhnten sich meine Augen mehr und mehr daran, weit genug vorauszuschauen, in die Kurven hineinzusehen." Den Rest übernahm der Racer in Johnson.

Zumal er körperlich überhaupt keine Einschränkungen zu fürchten brauchte. Der 43-jährige Johnson hatte sich gewissenhaft auf seinen Einsatz im Formel-1-Auto vorbereitet. "Einen Monat lang hatte ich meine Frau in unserem Fitnessraum und die Trainer in allen möglichen Studios im ganzen Land verrückt gemacht, damit sie die Geräte so einstellen, dass ich meinen Nacken trainieren konnte", erklärt Johnson. Mit Erfolg: "Ich habe [im Auto] keine Polster gebraucht. Es hat gut geklappt." Er rechne trotzdem mit einem steifen Nacken. "Das ist unausweichlich. Denn diese Muskeln brauche ich sonst nicht oft."

Was Johnson in Zukunft vor hat

Und was nimmt Johnson außer ein paar Nackenbeschwerden und einer körperlichen Neuerfahrung ("Bergauf bei Kurve 11 habe ich einen neuen Muskel entdeckt!") noch mit zurück in die USA? Auf jeden Fall den Wunsch, bald wieder in einem Formelauto zu sitzen, wie er sagt. "Ich hatte schon mehrere Angebote für das Indy 500. Ich bin nicht unbedingt scharf auf schnelle Ovale, aber mit meinem Status und meinen Beziehungen sollte ich dazu in der Lage sein, ein paar Road-Course-Rennen bei den IndyCars zu bestreiten. Aber ich bin offen für alles - und noch lange nicht fertig. Ich will weitermachen."


Fotostrecke: Prominente Formel-1-"Testfahrer"

Weitermachen - das heißt in erster Linie: Bis einschließlich 2020 im NASCAR-Cup antreten. So lange läuft Johnsons aktueller Vertrag bei Hendrick-Chevrolet. Was danach kommt, ist offen. Aber vielleicht gibt es vor dem "Danach" ja schon ein "Nebenbei". Das schließt Johnson explizit nicht aus: "Meine Helden von früher, Parnelli Jones, Mario [Andretti], Dan Gurney, Emmo [Fittipaldi] - sie fuhren einfach überall. Ich weiß wirklich nicht, warum sich das verloren hat. Aber in den 1980er- oder 1990er-Jahren warst du entweder Formelfahrer oder Tourenwagenfahrer. Dabei glaube ich: Ein aufgeschlossener Racer kann alles fahren, sofern er sich dafür reinknien will. Und genau das liebe ich!"

Sein vergleichsweise hohes Rennfahreralter? "Nur eine Zahl", meint Johnson. "Aber natürlich: Irgendwann lässt es mal nach. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem du dich nicht mehr motivieren kannst. Aber an diesem Punkt bin ich noch nicht." Umso willkommener war ihm die Formel-1-Testchance in Bahrain. "Das war überwältigend", sagt Johnson. Wie sich die Erfüllung eines Lebenstraums eben anfühlt.