Jacques Villeneuve im 'F1Total.com'-Interview (Teil 1)

Offen, unverblümt, direkt: Jacques Villeneuve sprach mit 'F1Total.com' über die Winterpause, seine Setup-Methoden und Funkstille mit BMW

(Motorsport-Total.com) - Sonntagabend in Paris, fernab von dröhnenden Motoren und Benzinlärm: Irgendwo sitzt Jacques Villeneuve in einem ruhigen Appartement - und weil sein PR-Agent Yan Lefort der 'F1Total.com'-Redaktion noch einen Gefallen schuldig war, nahm sich der Weltmeister von 1997 bei einer so ungewöhnlichen Gelegenheit Zeit, um zum Hörer zu greifen und sich einem Interview zu stellen.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Villeneuves Cockpit im Werksteam von BMW ist alles andere als sicher...

Das Schöne am 34-jährigen Kanadier ist, dass er mit seinem Schlabberlook und seinem eher unkonventionellen Auftreten nicht jedermanns Sache sein mag, aber zweifellos zu den wenigen Formel-1-Piloten zählt, die noch wirklich etwas zu sagen haben, wenn sie den Mund aufmachen - auch wenn ihm genau das manchmal auf den Kopf fällt. Die Fragen von 'F1Total.com' beantwortete er gerade heraus und scharfsinnig, sodass man als Interviewender das Gefühl hatte, nicht jeden zweiten Satz auf PR-Geschwafel hin untersuchen zu müssen.#w1#

Wenn Villeneuve den Mund aufmacht, hat er etwas zu sagen...

Doch Charakter hin, Intellekt her: Villeneuve hat sein Cockpit für kommende Saison trotz eines gültigen Vertrags mit Sauber beziehungsweise BMW noch nicht sicher. Seit dem Grand Prix von China hat sich bei ihm niemand mehr gemeldet, und weil BMW noch im November die Fahrer bekannt geben möchte, riecht es momentan wohl nicht unbedingt nach einer Weiterverpflichtung von "JV". Darüber und über vieles mehr sprach er mit 'F1Total.com' in einem zweiteiligen Interview.

Frage: "Jacques, was hast du in den zwei Wochen seit dem Saisonfinale in Shanghai gemacht?"
Jacques Villeneuve: "Eigentlich nicht viel. Ich habe mich erholt, ein bisschen Golf gespielt. Jetzt gerade bin ich mit ein paar Freunden in Paris. Es war eine lange Saison, sehr ermüdend - und das letzte Rennen war nicht gut. Daher war es genau der richtige Zeitpunkt, um endlich in den Urlaub zu gehen."

Frage: "Wahrscheinlich hattest du in diesen zwei Wochen auch mehr Zeit für deine Freundin Ellie, nicht wahr?"
Villeneuve: "Ja. Das Ende der Saison mit all den Überseerennen ist für eine Beziehung immer ziemlich hart."

Frage: "Ihr seid ja schon eine Zeit lang verlobt. Gibt es auch Heiratspläne?"
Villeneuve: "Da ist nichts geplant. Aber es stimmt, dass wir verlobt sind."

Frage: "Den meisten Journalisten geht es so, dass sie die Winterpause mit zunehmendem Alter immer mehr genießen. Für dich als Fahrer ist die Belastung während der Saison natürlich noch wesentlich höher. Geht es dir ähnlich wie uns?"
Villeneuve: "Ja, schon, aber eigentlich wünscht man sich nur während der letzten paar Rennen, dass die Saison endlich aufhört. Das ist klarerweise anders, wenn man um die Weltmeisterschaft fightet, aber in einer Situation wie dieses Jahr wartet man nur noch auf das neue Auto, den neuen Motor und das neue Paket. Darin liegt jetzt die Spannung für mich."

Sauber war mit Villeneuves Arbeitsweise nicht vertraut

"Für junge Fahrer ist das vielleicht die beste Arbeitsweise, weil sie nicht so viel Erfahrung haben, aber nicht für mich." Jacques Villeneuve

Frage: "Als deine Resultate zu Saisonbeginn nicht allzu überragend waren, hast du dich immer wieder darüber beschwert, dass du das Setup nicht nach deinem Geschmack einstellen konntest, weil es dir von den Ingenieuren nicht erlaubt wurde..."
Villeneuve: "Das Team war einfach nicht daran gewöhnt, auf diese bestimmte Art und Weise zu arbeiten - und damit meine ich, dass der Fahrer die Richtung vorgibt. Sie haben den Daten vertraut, den Computern, den Zahlen. Mir haben sie gesagt, dass dies und jenes die beste Lösung sei - und dass ich damit fahren soll. Für junge Fahrer ist das vielleicht die beste Arbeitsweise, weil sie nicht so viel Erfahrung haben, aber nicht für mich."

Frage: "Muss man sich das so vorstellen, dass du etwas vorschlägst, dann aber vom Team Daten vorgesetzt bekommst und du deine Ideen über Bord werfen musst?"
Villeneuve: "Es war schon etwas komplizierter. Ich bin ein Typ, der durch oftmaliges Versuchen Fehler herausfindet. Mein Gefühl sagt mir dann, in welche Richtung man gehen muss. Heutzutage ist es aber in der Formel 1 bei den meisten Teams so, dass einem die Zahlen voraussagen, was man sich wünschen wird. Als Fahrer muss man sich darauf einfach einstellen, denn theoretisch hat man dann das schnellstmögliche Setup. Wenn man mit diesem Setup aber nicht fahren kann, bringt das alles nichts. So ist das heutzutage eben. Im Verlauf der Saison hat sich das bei uns verändert, sodass wir das Auto mechanisch verbessern konnten."

Keine aerodynamischen Fortschritte mehr ab Saisonmitte

Jacques Villeneuve

Mit den Sauber-Ingenieuren kam Jacques Villeneuve anfangs nicht gut zurecht Zoom

"Ab Saisonmitte hatten wir aerodynamisch keine nennenswerten Fortschritte mehr zu verzeichnen, aber wir konnten trotzdem mit den anderen Teams mithalten, die sich aerodynamisch weiterentwickelt haben. Wir stellten das Auto nicht mehr in den Windkanal, sondern konzentrierten und schon voll auf nächstes Jahr. Trotzdem konnten wir die Pace mithalten, in erster Linie eben durch mechanische Veränderungen - und viele davon gehen auf meinen Input zurück. Das freut mich natürlich."

Frage: "Gab es ein Schlüsselerlebnis, einen Wendepunkt, an dem das Team auf dich zu hören begann?"
Villeneuve: "Ja, schon. Wir haben intern gestritten, und das Team hat dann einmal eine Richtung eingeschlagen, nur damit ich endlich meine Klappe halte, obwohl sie davon nicht überzeugt waren. Als sich dann herausgestellt hat, dass meine Lösung besser war, verlief die Kommunikation wesentlich einfacher."

Frage: "Man sagt dir nach, dass du in Sachen Setup sehr unkonventionell vorgehst, was auf deine Tage bei Williams mit Patrick Head zurückgeht. Findest du, dass dieser Ruf gerechtfertigt ist? Im Gegensatz zu mir kannst du ja deine Daten mit deinen Teamkollegen direkt vergleichen..."
Villeneuve: "Ach, Patrick hat das doch nur gesagt, weil wir nicht immer das getan haben, was er wollte. Das hat ihn wütend gemacht. An meiner Arbeitsweise ist nichts Unkonventionelles."

Frage: "Stimmst du dein Auto anders ab als deine Teamkollegen?"
Villeneuve: "Ja, schon, aber in jedem Team haben die beiden Fahrer unterschiedliche Setups. Ich stimme meine Autos nicht total anders ab als alle anderen. Bei Felipe (Massa; Anm. d. Red.) und mir gab es allerdings schon ziemlich große Unterschiede, speziell gegen Ende des Jahres."

Fahrer mit Gefühl werden vom Reglement nicht begünstigt

Frage: "Das war aber eine reine Frage des Fahrstils, oder?"
Villeneuve: "Unter anderem. Es hat aber auch damit zu tun, dass man nicht mehr viel unternehmen kann, wenn man einmal das Gefühl hat, nicht alles aus dem Auto herausholen zu können. Die Trainingsrunden an den Rennwochenenden sind heutzutage ja beschränkt. Wir haben auch so gut wie nie getestet. Das macht es für einen, der viel mit Gefühl arbeitet, nicht einfach, das Setup immer perfekt hinzubekommen. Das Team war auch nicht an mich gewöhnt, daher hat es länger gedauert, alles halbwegs abzustimmen. Aber wie gesagt, inzwischen funktionieren diese Dinge recht gut."

Frage: "Du hattest immer eine sehr spezielle Beziehung zu deinem früheren Renningenieur Jock Clear. Kannst du das mit deiner heutigen Situation mit Giampaolo Dall'Ara vergleichen?"
Villeneuve: "Wir haben eine gute Vertrauensbasis zwischen uns geschaffen. Das braucht man auch, damit der Ingenieur auf dich hört, wenn du etwas sagst. Umgekehrt muss ich als Fahrer dem Ingenieur vertrauen können, wenn er meinen Input umsetzt. Es geht beim Fahren nicht nur darum, das Auto möglichst gut abzustimmen, sondern man muss sich auch wohl fühlen, weil man sonst nicht ans Limit gehen kann. Beide Faktoren spielen eine Rolle."

Frage: "Fühlst du dich wohl im Team, was diese Dinge jetzt angeht?"
Villeneuve: "Ja. Am Saisonende hat alles wirklich gut funktioniert. Damit war ich zufrieden. Und als die Beziehung zum Team besser wurde, war plötzlich auch meine Pace okay."

Frage: "Um ein Thema komme ich nicht herum, auch wenn du schon 1.000 Mal danach gefragt wurdest: dein Vertrag für nächstes Jahr, mit dem ja eigentlich alles klar sein sollte..."
Villeneuve: "Richtig."

Warum weigert sich BMW, Villeneuve zu bestätigen?

Frage: "Aber wie kommt es dann, dass Mario Theissen recht offen darüber spricht, noch keine Entscheidung getroffen zu haben? Offensichtlich sieht dich BMW nicht als bestätigten Fahrer an. Ist das enttäuschend?"
Villeneuve: "Ich finde das überraschend, verstehe nicht, was da vor sich geht. Ich habe keine Ahnung, was los ist."

"Ich war immer einer, der sich an seine Verträge gehalten hat." Jacques Villeneuve

Frage: "Für die Formel 1 typisch, oder?"
Villeneuve: "Ich war immer einer, der sich an seine Verträge gehalten hat - und umso mehr überrascht es mich, wenn es die andere Seite nicht so sieht. Damit hätte ich nicht gerechnet. Mit mir hat noch niemand gesprochen, von daher habe ich wirklich keinen blassen Schimmer, was da los ist."

Frage: "Gab es in letzter Zeit Gespräche mit Mario Theissen? Was ist dein letzter Stand?"
Villeneuve: "Nichts. Null Gespräche."

Teil zwei des Interviews - unter anderem über die Zukunftsaussichten von BMW, späte Reue über die Jahre bei BAR und den manchmal schwierigen Umgang mit der schreibenden Zunft - kann ab morgen auf 'F1Total.com' nachgelesen werden.