Irres Regen-Qualifying in Brasilien: Verstappen, Sainz, Hamilton früh k.o.!

Sensationelles Ergebnis in Sao Paulo: Lando Norris hat die Nerven bewahrt und sich die Poleposition gesichert, während andere Favoriten strauchelten

(Motorsport-Total.com) - In einem völlig verrückten Regenqualifying mit fünf schweren Unfällen am Sonntagmorgen in Interlagos hat sich letztendlich Lando Norris (McLaren) die Poleposition gesichert. Gleichzeitig eroberte sein schärfster Rivale im Kampf um die Formel-1-WM 2024, Max Verstappen (Red Bull), nur den 17. Startplatz.

Titel-Bild zur News: Carlos Sainz

Carlos Sainz sorgte für einen der fünf (!) Unfälle im Sonntagsqualifying Zoom

Norris, der am frühen Sonntagmorgen ein Nutellabrot gefrühstückt hatte, nach dem wie er sagt "besten Schlaf der ganzen Woche", fuhr unter extremen Verhältnissen eine Bestzeit von 1:23.405 Minuten und verwies damit George Russell (Mercedes) um 0,173 Sekunden auf Platz 2. Die beiden behielten in der Schlussphase der turbulenten Session die Nerven, blieben fehlerfrei und starten daher am Nachmittag aus der ersten Startreihe.

Dahinter würfelte der Regen das Ergebnis ordentlich durcheinander: Yuki Tsunoda (Racing Bulls) wurde Dritter, Esteban Ocon (Alpine) Vierter und Liam Lawson (Racing Bulls) Fünfter. Ein paar Sekunden vor Schluss standen die beiden Racing Bulls sogar noch auf P2/3!

Helmut Marko lobte hinterher bei ServusTV eine "super Leistung" der beiden Junioren: "Lawson ist hier noch nie gefahren, schon im Sprint relativ gut. Also eine tolle Leistung vom Team. Wenn sie das im Rennen, falls es stattfindet, rüberbringen, dann ist wieder die Chance, dass wir den sechsten Platz in der WM zurückerobern."

Charles Leclerc (Ferrari) wurde Sechster, vor Alexander Albon (Williams), Oscar Piastri (McLaren), der seine letzte Runde versemmelte, Fernando Alonso und Lance Stroll (beide Aston Marton) auf Platz 10.

Wie viele Autos im Rennen überhaupt starten können, ist nach der Crashorgie aber unklar. Sieben Minuten vor Schluss musste Q3 bei strömendem Regen zum ersten Mal unterbrochen werden. Es war bereits die vierte rote Flagge des Vormittags. Verursacher diesmal: Alonso, der in Kurve 11 mit dem rechten Hinterrad voran in die Reifenstapel schlitterte.

Für Aston Martin der zweite Crash des Qualifyings - und insofern ein großes Problem, als es Stand jetzt vermutlich nicht möglich sein wird, beide Autos für das schon um 16:30 Uhr deutscher Zeit stattfindende Rennen zu reparieren.

Mit 3:31 Minuten auf der Uhr wurde Q3 erneut unterbrochen. Diesmal stand Albon beim Senna-S. Auch Williams hat also zweimal Blechschaden nach dem Qualifying - eine "Mission: Impossible" für die Mechaniker. Albon hat inzwischen bestätigt, dass er am Rennen nicht teilnehmen kann.

Dem Thailänder war beim Anbremsen des Senna-S das Heck weggegangen und erkundigte sich danach am Boxenfunk: "Haben die Bremsen versagt?" Danach hielt er sich am Handgelenk - aber das tut wahrscheinlich weniger weh als der Materialschaden. Bitter für Albon: Er lag zum Zeitpunkt seines Unfalls noch auf dem zweiten Platz.

"Ich denke, wir hatten ein Problem", sagt er. "Ich weiß es, wir müssen es uns nur genau anschauen. Als ich auf die Bremse stieg, hatte ich sofort einen Piepston im Ohr, was normalerweise irgendein Problem signalisiert. Dann blockierten die Hinterräder und ich flog ab. Das war's leider mit dem Rennen für uns."

Die extrem schwierigen Bedingungen wurden am frühen Sonntagmorgen auch einigen Mitfavoriten zum Verhängnis. Verstappen (12.) schied in Q2 aus, weil er wegen einer roten Flagge seine Runde nicht mehr zu Ende fahren konnte.

Carlos Sainz (Ferrari), vor einer Woche noch umjubelter Sieger in Mexiko, baute im Senna-S einen Crash und belegte Platz 14. Lewis Hamilton (Mercedes) wurde gar nur 16., fluchte nach seiner letzten Runde über sein Auto.

Und Nico Hülkenberg? Der Haas-Pilot, in Brasilien 2010 unter ähnlichen Bedingungen auf Poleposition, verlor das Qualifyingduell gegen seinen Teamkollegen und wurde 19. Nicht zuletzt wegen eines Ausritts auf seiner alles entscheidenden Runde.

Er habe aktuell "keine Antworten auf das, was gerade passiert ist", seufzt Hülkenberg. "Aber einfach keinen Grip gehabt am Ende. Weiß nicht, hat sich seltsam angefühlt. Die Hinterachse war überhaupt nicht präsent, speziell in den schnelleren Kurven. Es war sehr unbequem, sehr ungemütlich und hat sich auch nicht gut angefühlt."

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Q1: Wie kam's zur ersten roten Flagge?

Zur ersten roten Flagge kam es nach neun Minuten in Q1, als Franco Colapinto (Williams) ausgangs Senna-S in den Reifenstapeln festhing. Der Argentinier, dessen Großvater vor ein paar Tagen verstorben ist und der in Südamerika gefeiert wird wie ein Nationalheld, kam in Kurve 2 erstmals kurz ins Rutschen, war dann in Kurve 3 früh am Gas und verlor das Heck außer Kontrolle.

Colapinto schlug mit der rechten Seite voran in die Barrieren ein und bescherte damit seinen Mechanikern in der kurzen Pause bis zum Rennen zusätzliche Arbeit. Zum Zeitpunkt seines Crashs lag er an neunter Stelle.

"War zu 100 Prozent mein Fehler - einer, der nicht hätte passieren sollen", gibt Colapinto zu. "Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich hatte plötzlich Wheelspin, und dann konnte ich es nicht mehr einfangen. Sehr traurig, und tut mir sehr leid für das Team. Sie haben jetzt eine Menge Arbeit. Ich weiß nicht, ob wir das Rennen schaffen werden."

Es war eine Phase, in der Valtteri Bottas (Sauber) gerade als erster Fahrer Intermediates aufgezogen hatte und auch Russell an Mercedes funkte, dass er kaum noch stehendes Wasser sehe und man über Intermediates nachdenken könne.

Doch Colapintos Crash auf Full-Wets war der Beweis dafür, wie schwierig die Bedingungen immer noch waren. Und durch die Unterbrechung der Session ohne gleichzeitigen Fahrbetrieb regnete es natürlich wieder neu auf die Strecke drauf.

Nach der Unterbrechung war der Regen wieder etwas stärker, und alle verbliebenen Fahrer gingen mit Full-Wets auf Zeitenjagd. Eine Phase des Qualifyings, in der beide Mercedes außerhalb der Top 15 lagen. Zumindest Hamilton schob sich aber mit seinem ersten Versuch nach dem Neubeginn kurzzeitig auf Rang 14, und Russell fuhr wenig später sogar die zu dem Zeitpunkt zweitbeste Zeit.

Q1-Aus: Was war bei Hamilton und Hülkenberg los?

Norris hatte in Q1 Riesenglück, den Cut zu schaffen. Der McLaren-Pilot lag mit Ablauf der Zeit noch im roten Bereich, schaffte aber mit seiner allerletzten Runde den Sprung auf Platz 15, 0,206 Sekunden vor Hamilton. Der fluchte am Boxenfunk: "Dieses verdammte Auto, Mann!"

Bestzeit fuhr im ersten Segment Verstappen in 1:28.522 Minuten, eine halbe Sekunde vor Albon und Russell. Die schnellsten Zeiten fielen ganz am Ende der Q1-Session, weswegen sich Hamilton umso mehr ärgern wird, dass er sich nicht ausreichend steigern konnte.

Gemeinsam mit dem siebenmaligen Weltmeister scheiterten auch Oliver Bearman (Haas), Colapinto, Hülkenberg und Guanyu Zhou (Sauber) am Top-15-Cut. Bitter für Hülkenberg: Er rutschte auf seiner letzten schnellen Runde in der letzten Kurve von der Strecke. Theoretisch hätte er danach noch eine Runde fahren können, für die fehlte ihm aber der Schwung bei Start und Ziel. Letztendlich fehlten ihm 0,679 Sekunden auf die rettende Norris-Zeit.

Eine Woche nach Mexiko: Wie flog Sainz in Q2 raus?

Zu Beginn von Q2 war Piastri der Erste, der auf Intermediates rausfuhr - und relativ rasch war anhand seiner Rundenzeiten klar, dass auch alle anderen die Full-Wets erstmal zur Seite legen können.

Sechs Minuten vor Schluss gab's dann die zweite rote Flagge des Morgens, und wieder im Senna-S: Sainz ging in Kurve 2 etwas zu früh aufs Gas, dabei drehten die Hinterräder durch, er verlor die Kontrolle und rutschte weg. "Ich bin gecrasht. Sorry, Jungs", bedauerte der Mexiko-Sieger am Boxenfunk.

Am Ferrari war das rechte Hinterrad abgeschlagen und der Heckflügel komplett hinüber. "Das sieht richtig ungesund aus", analysierte der ehemalige Mercedes-Aerodynamiker Philipp Brändle im Live-Kommentar von ServusTV.

Was brach Verstappen in Q2 das Genick?

Als es in Q2 wieder losging, waren noch 5:51 Minuten Restzeit auf der Uhr. Und McLaren funkte an Piastri: "Oscar, wir haben leichten Regen in der Boxengasse. In vier Minuten wird der Regen wieder stärker." Sodass wieder ein spektakuläres Finish angerichtet war, zumal Norris zu dem Zeitpunkt noch auf Platz 11 lag. Aber die Strecke ließ noch Verbesserungen zu, und so schob sich Norris gleich mit seiner ersten Runde auf Platz 3.

Dann der nächste Crash, als Stroll im Senna-S aquaplante und abflog. Ein Unfall mit Konsequenzen, denn Rennleiter Niels Wittich sicherte die Situation nach kurzer Gelbphase mit der dritten roten Flagge des Qualifyings - noch bevor Verstappen seine Runde zu Ende fahren konnte.

Der WM-Leader war entsprechend sauer: "Stroll ist in die Mauer geflogen. Es war ganz klar, dass es vorbei war für den Aston Martin. Und dann warten die immer noch 30 oder 40 Sekunden ab für eine rote Flagge. All die anderen Autos sind dann natürlich eine Runde gefahren, und wir haben keine Runde. Und das verstehe ich nicht, weil sonst war eigentlich alles gut im Qualifying. Wir waren schnell, wir waren immer dabei. Aber das ist unglaublich."

48 Sekunden Restzeit waren nicht genug, um Q2 nochmal neu zu starten, und so schieden am Ende des zweiten Segments Bottas, Verstappen, Sergio Perez (Red Bull), Sainz und Pierre Gasly (Alpine) auf den Positionen 11 bis 15 aus.

Für Verstappen bedeutet das im Rennen, sollte es stattfinden, voraussichtlich den 17. Startplatz. Weil er ins Wochenende wegen Motor- und Auspuffwechsels (+5) vorbelastet gestartet ist.

Qualifying am Rennsonntag: Gab's das schon mal?

Brasilien 2024 geht als sechster Grand Prix in die Formel-1-Geschichte ein, bei dem das Qualifying erst am Rennsonntag stattfinden konnte. Zum ersten Mal war das beim Grand Prix von Japan 2004 der Fall, als Suzuka von einem Taifun heimgesucht wurde.

Spannende Statistik: Bei allen fünf bisherigen Sonntagsqualifyings sicherte sich am Ende ein deutscher Fahrer die Poleposition. Michael Schumacher (Ferrari) in Suzuka 2004, Sebastian Vettel (Red Bull) in Suzuka 2010 und Melbourne 2013, Nico Rosberg (Mercedes) in Austin 2015 und nochmal Sebastian Vettel (Ferrari) in Suzuka 2019.

Warum eigentlich Qualifying am Sonntagmorgen?

Zur eigentlich geplanten Zeit am Samstag regnete es im Großraum Sao Paulo stark, sodass ein sicherer Fahrbetrieb nicht gewährleistet und das Qualifying auf Sonntagmorgen um 7:30 Uhr Ortszeit verschoben werden musste. Angesichts der eher schlechten Wetterprognose für Sonntagnachmittag wurde gleichzeitig das Rennen vorverlegt, von geplant 14:00 auf 12:30 Uhr Ortszeit in Brasilien.

Wo kann man den Grand Prix von Brasilien live sehen?

Unabhängig von den Live-Übertragungen im TV gibt's auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de (Kanal jetzt kostenlos abonnieren!) jede Nacht eine Live-Zusammenfassung des Geschehens in Brasilien. Kevin Scheuren und Christian Nimmervoll präsentieren dort die F1-Show mit der Analyse der Sessions und den wichtigsten News und Infos aus dem Paddock, recherchiert mit Support des neunköpfigen Motorsport-Network-Teams im Autodromo Jose Carlos Pace.


In Deutschland wird das Rennen in Brasilien nicht im Free-TV übertragen. Lediglich Pay-TV-Dienste wie Sky (alle Sessions) zeigen die Formel 1 in Brasilien live. Das Rennen startet am Sonntag um 16:30 Uhr MEZ. (Hier geht's zur kompletten TV-Übersicht für Brasilien!)