• 01.11.2009 22:41

  • von Dieter Rencken

Interview: "Gemischte Gefühle" bei Toyota

Toyota-Technikchef Pascal Vasselon spricht über die knapp verpassten Ziele der Saison 2009 und die starke Vorstellung von Kamui Kobayashi

(Motorsport-Total.com) - Pascal Vasselon ist einer der angenehmsten und auskunftsfreudigsten Interviewpartner im Paddock, dennoch ist er in der Öffentlichkeit bei weitem nicht so präsent wie etwa Adrian Newey oder Mike Gascoyne. Dabei ist er als Technischer Direktor für den Chassisbereich bei Toyota so etwas wie der geistige Vater des aktuellen TF109.

Titel-Bild zur News: Pascal Vasselon

Ex-Michelin-Mann Pascal Vasselon ist mit der Saison 2009 nicht unzufrieden

Der Franzose arbeitete bereits in den 1980er-Jahren für Renault, wechselte später zu Michelin, wo er die Entwicklungsabteilung leitete. Vor einigen Jahren konnte er dem Lockruf von Toyota nicht widerstehen, als Radaufhängungsspezialist nach Köln zu wechseln. 2006 wurde er schließlich in seine heutige Position befördert. Nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi nahm sich Vasselon Zeit, um das Jahr 2009 für 'Motorsport-Total.com' zu analysieren.#w1#

Statistik fiel 2005 besser aus

Frage: "Pascal, fass doch mal bitte eure Saison zusammen! Wie beurteilst du sie?"
Pascal Vasselon: "Ich habe gemischte Gefühle. Es war von der Pace her bei weitem unsere beste Saison. Von der WM-Position und den Punkten her bleibt 2005 unsere beste Saison, aber damals hatten wir ganz andere Umstände. 2005 gab es mit McLaren und Renault zwei dominante Teams und unser Auto war eine Sekunde zu langsam. Diese Saison waren wir in den meisten Rennen bis auf ein paar Zehntel dran.

"Ein paar Mal hatten wir sogar den Sieg in Griffnähe, was in der Vergangenheit nie der Fall war. Wir waren überall außer in Monaco und Monza gut genug für Punkte aus eigener Kraft, waren sehr oft podiumsfähig - und zwei bis drei Mal waren wir Sieganwärter. Von der Pace her war es also definitiv unsere beste Saison."

"Spa wäre unser Rennen gewesen." Pascal Vasselon

"Andererseits hatten wir zwei Ziele: einen Grand Prix gewinnen und WM-Dritter zu werden. Beides ist uns nicht gelungen, aber es hat nicht viel gefehlt. Am meisten ärgere ich mich über das Rennen in Spa, denn das wäre unser Rennen gewesen. Jarno war dort der schnellste Mann und hätte gewinnen können. Mit dem Sieg in Spa hätten wir alle Ziele erreicht: Wir hätten ein Rennen gewonnen und wir wären WM-Dritter geworden. So gesehen habe ich gemischte Gefühle."

"Wir haben als Team Fortschritte gemacht und haben nun eindeutig eines der drei besten Autos, obwohl wir eine sehr schlechte Saisonmitte hatten - aus welchen Gründen auch immer. Die Pace war da, aber wir fuhren trotzdem oftmals an den Punkten vorbei. Das hat uns die Weltmeisterschaft kaputt gemacht."

Frage: "Im September 2008 hast du mir in Köln ein Interview gegeben. Damals hast du in Bezug auf die neuen Regeln gesagt, dass du wegen der vielen Neuerungen ein sehr weit auseinander gezogenes Feld erwartest. Genau das Gegenteil war der Fall..."
Vasselon: "Stimmt. Das hat alle überrascht. Alle sind davon ausgegangen, dass sich das Feld auseinander ziehen würde."

Geheimnisse: Diffusor und Frontflügel

"Ich muss zugeben, dass wir noch immer nicht alle technischen Gründe dafür kennen - es überrascht uns immer noch. Man kann aber sagen, dass es an den diesjährigen Autos ein paar Dinge gibt, die man hinbekommen muss - und wenn man die hinbekommt, ist man auf einem guten Niveau. Diese zwei Dinge sind der Diffusor und der Frontflügel."

"Als die Teams, die am Saisonbeginn in diesen Bereichen Schwächen hatten, mit einem neuen Diffsor und einem neuen Frontflügel ankamen, lagen auf einmal fast alle gleichauf. Natürlich gab es immer noch eine Hierarchie und natürlich waren wir mit einigen Ups und Downs neben McLaren das drittschnellste Team, aber diese zwei Features könnten die Erklärung für diese besondere Situation sein."


Fotos: Toyota, Großer Preis von Abu Dhabi, Sonntag


Frage: "Bei eurer Präsentation im Februar in Portimão habt ihr als klares Saisonziel ausgegeben, dass ihr ein Rennen gewinnen müsst..."
Vasselon: "Das ist wirklich frustrierend, denn wir waren nahe dran. Es gab drei Rennen, die wir hätten gewinnen können. Das erste war Sepang. Mit zwei Runden mehr hätte Timo gewonnen, denn als das Rennen abgebrochen wurde, war er viel schneller als Jenson."

"Dann noch Bahrain und Spa. Spa ist vielleicht das einzige Rennen, das wir mit Jarno sogar dominieren hätten können. Das tut weh. Wir waren sehr nahe dran, unser Ziel zu erreichen, aber an den Zahlen führt kein Weg vorbei: Wir haben es nicht geschafft."

Frage: "Du hast Zugang zu den Daten von Kamui Kobayashi. Was sagst du zu ihm?"
Vasselon: "Kamui war offensichtlich beeindruckend. In São Paulo ist er mir aus zwei Gründen sehr positiv aufgefallen: Er war im Nassen sehr konkurrenzfähig. Er fuhr ohne Fehler locker in die Top 10. Außerdem legte er einen unglaublichen Kampfgeist an den Tag, er verteidigte sich, überholte andere Fahrer."

Lob für Rookie Kobayashi

"Das einzige Fragezeichen war seine Pace im Trockenen, denn er war zu langsam und sein Reifenverschleiß war zu hoch. Wir mussten hinterfragen, ob er die Qualität hat, um einen Trockenreifen während eines Rennens zu managen. Das Erstaunliche ist, dass er hier deutlich besser war, was das angeht. Er hat ein sehr starkes Wochenende hingelegt."

"Da war ein kleiner Fehler am Ende des Qualifyings, durch den er nicht in die Top 10 gekommen ist - der hat in der letzten eineinhalb Zehntel gekostet. Von da an hat er keinen Fehler mehr gemacht. Sein Start war sehr gut, er hat Räikkönen risikofrei überholt und im ersten Stint eine sehr gute Pace an den Tag gelegt. Er war in der Runde vor dem Boxenstopp von Jenson Button noch auf Podiumskurs."

"Der Kampf mit Button hat ihn den vierten Platz gekostet." Pascal Vasselon

"Das einzige Problem war dann, dass er Jenson zwar brillant überholt hat, dafür aber von der Ideallinie weichen musste. Es hat vier Runden gedauert, bis seine Reifen wieder sauber waren. Wir haben gerade ausgerechnet, dass er wegen Button vier oder fünf Sekunden verloren hat. Barrichello und Heidfeld kamen drei Sekunden vor ihm wieder auf die Strecke. Der Kampf mit Button hat ihn also den vierten Platz gekostet."

Frage: "Ist er schon bereit für eine komplette Saison?"
Vasselon: "Er ist überraschend gut. Sein Reifenmanagement war in verschiedenen Situationen erstaunlich gut."

Frage: "Du als Reifenexperte musst das ja wissen..."
Vasselon: "Ja. Wir haben ihm ein wenig geholfen, aber er hat sehr gut reagiert, alle Instruktionen umgesetzt. Wir haben ihm einmal gesagt, er soll um drei Zehntel pro Runde schneller fahren. Prompt fuhr er um drei Zehntel pro Runde schneller."

Formel-1-Liveticker

Folgen Sie uns!

Folge uns auf Facebook

Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!