Interlagos im Technikfokus
Lesen Sie in der Analyse des Renault-Teams, auf was es beim Chassis und dem Motor im 'Autodromo Jose Carlos Pace' ankommt
(Motorsport-Total.com) - Die Strecke von Interlagos vereint gegensätzliche Extreme in sich: enge, langsame Kehren und eine der längsten Vollgaspassagen des Jahres. Der in einer Senke gelegene und für die Zuschauer daher sehr gut einsehbare Kurs ist berüchtigt für seinen welligen Asphalt.

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Eine 2004 aufgetragene neue Fahrbahndecke verbesserte die Lage etwas, und für dieses Jahr erhielt das 4,309 Kilometer lange Asphaltband erneut eine neue Deckschicht. Nicht nur die unangenehmen Schläge auf den Bodenwellen stellen hohe körperliche Ansprüche, auch die Tatsache, dass Interlagos entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren wird, setzt die Nackenmuskeln der Piloten einer ungewohnten Belastung aus.#w1#
Das Überholen ist auf der Strecke am Stadtrand von Sao Paulo durchaus möglich, vor allem beim Anbremsen von Turn 1. Der Setup-Kompromiss geht deshalb eher in Richtung einer höheren Endgeschwindigkeit, damit Piloten im Lauf der 71 Rennrunden ihre Position verteidigen oder Gegner überholen können. Für eine optimale Rundenzeit wäre dagegen etwas mehr Abtrieb optimal.
Chassis
Aerodynamik: Die gegensätzlichen Anforderungen der Strecke stellen die Ingenieure vor eine interessante Aufgabe: Der erste und dritte Sektor bestehen hauptsächlich aus schnellen Geraden, die nach guter Topspeed und entsprechend flachen Flügeln verlangen.
Der mittlere Sektor hingegen erfordert das genaue Gegenteil: viel Downforce für guten Grip beim Beschleunigen, Bremsen und Einlenken in die Abfolgen enger Haarnadelkurven. Von der Abstimmung, die theoretisch die beste Rundenzeit ermöglicht, weichen die Renningenieure jedoch etwas ab. Sie opfern etwas Abtrieb, um ihren Piloten durch höhere Geschwindigkeit auf den Geraden Vorteile im Zweikampf zu verschaffen. Das Abtriebslevel liegt deshalb etwa auf dem Niveau eines Kurses wie Bahrain.
Mechanische Abstimmung: Die Kombination schneller und langsamer Kurven erschwert die Suche nach einem funktionierenden Setup-Kompromiss. Genau wie bei der aerodynamischen Abstimmung genießen auch bei der Mechanik bestimmte Streckenteile Priorität - wenn auch andere. Die wichtigste Kurve in Interlagos ist Turn 12, denn hier entscheidet sich die Geschwindigkeit auf der bergauf führenden Zielgeraden, auf der die Piloten mehr als 16 Sekunden lang das Gas stehen lassen.
Bei der Abstimmung geht es deshalb um den optimalen Kurvenausgang an dieser Stelle - auch wenn dies in den langsamen Kurven des Mittelsektors zu Untersteuern führen kann. Ein eventueller Zeitverlust in diesen Passagen wird mehr als aufgewogen durch die höhere Endgeschwindigkeit und die Zweikampf-Vorteile auf den Geraden.
Der zweite wesentliche Aspekt im mechanischen Setup ist die wellige Fahrbahnoberfläche. Seit der Neuasphaltierung 2004 ist die Lage nicht mehr ganz so schlimm, und die Teams können mit etwas weniger Bodenfreiheit fahren. Es sieht so aus, als hätte sich die Situation für dieses Jahr erneut verbessert. Die Bremsen werden nicht übermäßig stark belastet, es fallen nur drei heftigere Verzögerungen pro Runde an. Die gesamte Bremsenergie liegt etwas auf dem Niveau von Barcelona.
Reifen: Interlagos weist kaum Highspeed-Kurven auf, in denen große laterale Kräfte auf die Reifen einwirken. Zudem ist der Streckenbelag, soweit bekannt, nicht besonders verschleißintensiv. Beides spricht für eher weiche Laufflächenmischungen, und in der Tat stellt Bridgestone beim Saisonfinale aus der vierstufigen Reifenpalette die Optionen weich und extraweich zur Verfügung.
Motor
Wegen der langen Geraden kommt es in Interlagos entscheidend auf die Spitzenleistung der Triebwerke an. Die längste Volllastpassage dauert mehr als 16 Sekunden. Zudem liegt Sao Paulo rund 800 Meter über dem Meeresspiegel. Der geringere Luftdruck kostet die Motoren etwa 7 Prozent Leistung.
In der Summe dieser Faktoren laufen die V8-Motoren 61 Prozent einer Runde bei voll geöffneten Drosselklappen. Umgerechnet auf einen vergleichbaren Kurs auf Meeresniveau betrüge der Vollgasanteil 57 Prozent - was etwa dem Wert von Budapest entspricht. Die Belastungen von Teilen wie den Kolben ist daher nicht übermäßig hoch, Komponenten wie die Kurbelwelle unterliegen aber immer noch beträchtlichen Kräften.
Ein wichtiger Aspekt ist die Fahrbarkeit des Motors, speziell im winkligen zweiten Streckenteil. In diesem Sektor sind die Piloten in den niedrigsten Gängen unterwegs, mit ständigen Richtungsänderungen und einem Wechselspiel von Gas und Bremse. Eine sanfte Kraftentfaltung trägt hier wesentlich zur konstanten Fahrzeugbalance bei und erlaubt es den Fahrern, in diesem wichtigen Streckenteil die optimale Linie zu halten.

