Horner: "Du brauchst viel Gehirnschmalz"
Ausführliche Rennanalyse mit Christian Horner: Was der Teamchef zur Leistung von Sebastian Vettel sagt und wie seine Crew Ferrari reingelegt hat
(Motorsport-Total.com) - Nach der dominanten Vorstellung im Qualifying, in der Red Bull dem Rest der Welt eine Sekunde aufgebrummt hatte, musste sich Sebastian Vettel heute mächtig strecken, um in Barcelona gegen Lewis Hamilton zu bestehen. Mark Webber wurde gar nur Vierter. Teamchef Christian Horner analysierte nach dem Rennen die Gründe dafür und verriet, wie es Mark Webbers Boxencrew gelungen ist, die Kollegen von Ferrari an der Nase rumzuführen.

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Christian Horner vor dem Rennen im Gespräch mit Bernie Ecclestone
Frage: "Christian, das war ja ein Herzschlagfinale zwischen Sebastian und Lewis. Wir haben gesehen, wie deine Beine ganz nervös gezittert haben. Hast du es genossen?"
Christian Horner: "Sebastian hat gesagt, dass er Spaß hatte, aber ich ehrlich gesagt überhaupt nicht (lacht; Anm. d. Red.)! Es war ein wirklich interessantes Rennen, denn vor dem Start hätten wir eher damit gerechnet, dass es Lewis sein würde, wenn jemand aus dem Windschatten, der hier bis zur ersten Kurve ein sehr wirkungsvolles Werkzeug ist, überholen kann."
Von Alonso aufgehalten
"Aber Fernando bekam einen großartigen Start hin, hatte den Vorteil des Windschattens und ging an unseren beiden Jungs vorbei. Seine Pace war nicht überragend, aber dadurch steckten wir in seiner 'dirty Air', was wiederum die Reifen enorm belastete. Es staute sich hinter ihm, also entschieden wir uns mit Sebastian für einen wirklich aggressiv verkürzten ersten Stint, was auch ein gewisses Risiko darstellte. Er kam hinter Jenson und Massa wieder raus."
"Während der Out-Lap hat er sehr wenig Speed beim Überholen von Jenson und Massa verloren und konnte im letzten Sektor Zeit gutmachen, um Fernando zu attackieren und Lewis zu kontrollieren. Aber es war logisch, dass Ferrari reagieren würde, und obwohl wir in der nächsten Runde auch Mark hereingeholt haben, hat es zu dem Zeitpunkt nicht gereicht. Beim zweiten Stopp hat es dann für Sebastian geklappt, aber wegen der verkürzten Stints hatten die Reifen noch eine große Distanz vor sich."
"Von da an kam es darauf an, die zweite Rennhälfte zu managen, damit die Reifen nicht einbrechen, zu schnell verschleißen und man in Tränen endet. Das war heute hervorragendes Teamwork mit Sebastians Strategie, mit den Boxenstopps, mit seiner fahrerischen Leistung. Wir wurden dafür mit einem mehr als verdienten Sieg belohnt. Leider war das Ergebnis nicht perfekt, denn nach der Pole war der vierte Platz von Mark frustrierend. Ferrari hat uns geschickt abgedeckt, denn jedes Mal, wenn wir Mark reinholten, kamen sie auch in die Boxengasse."
"Am Ende drehten wir ihnen einen Köder an, als wir die Crew rausschickten. Sie gingen tatsächlich auch raus, holten Fernando rein - und so kam Mark dann vorbei. Leider hatte er da schon so viel Zeit verloren, dass er nicht mehr aufholen konnte. Es war ein faszinierendes Rennen, das wieder beweist, wie schnell das Kräfteverhältnis wechseln kann. Nur wir haben es geschafft, konstant vorne zu sein."
Enormer Druck von Hamilton
Frage: "Ihr habt vier der ersten fünf Rennen gewonnen. Kann es noch besser werden?"
Horner: "Ja, mit fünf Siege in fünf Rennen!
Frage: "Bist du überrascht, dass Lewis Sebastian so unter Druck setzen konnte?"
Horner: "Lewis schien im letzten Sektor sehr stark zu sein. Wenn du einmal innerhalb der DRS-Reichweite bist, bringt das fast vier Zehntel an Rundenzeit. Seb konnte ihn am Ende der Geraden beim Bremsen fast nicht mehr halten."
"Das Schwierige ist, dass du auch irgendwie gegen dich selbst fährst, weil du genau weißt, dass die Reifen am Ende eingehen könnten, wenn du sie zu sehr missbrauchst. Du brauchst enorm viel Gehirnschmalz, um damit umgehen zu können, insbesondere wenn du einen Grand Prix anführst. Er hat das extrem gut gemacht und wurde mit dem Sieg ganz fantastisch belohnt. Das Ergebnis ist wie gesagt leider nicht vollständig, weil wir Mark auch gerne da oben gehabt hätten."
Frage: "Wann hatte Sebastian während des Rennens kein KERS?"
Horner: "Er hatte es für weite Strecken des Rennens, aber dann gab es ein paar Ausfälle des Systems, die wir später wieder beseitigen konnten. Wir haben das System abgeschaltet und dann wieder eingeschaltet. In den kritischen Phasen stand es ihm zur Verfügung. Mit jedem Rennen sammeln wir noch mehr Daten, noch mehr Kilometer, noch mehr Erfahrung und gewinnen mehr Selbstvertrauen in das System."
Großes Lob für Sieger Vettel
Frage: "Sebastian hat das heute wirklich gut gemeistert, nicht wahr?"
Horner: "Da passiert eine Menge, denn KERS beeinflusst die Bremsbalance. Manchmal vergisst man, dass die Ingenieure sich mit dem Fahrer unterhalten, während er einen Grand Prix anführt und Lewis Hamilton weniger als eine Sekunde hinter sich hat! Er ist in solchen Situationen unvergleichlich und ist heute ein phänomenales Rennen gefahren."
Frage: "War die KERS-Situation für Mark gleich?"
Horner: "Ja, es gab am Ende auch für Mark die gleichen KERS-Probleme wie bei Sebastian. Wir haben es bei Mark aus Sicherheitsgründen sogar ganz abgeschaltet, denn im letzten Renndrittel hatte er ohnehin keine Chance mehr, Jenson noch herauszufordern, also dachten wir, dass das klüger ist als ein unnötiges Zuverlässigkeitsrisiko einzugehen."
Frage: "Hatte Mark heute noch andere Probleme?"
Horner: "Sein Rennen war durch Fernando dermaßen beeinträchtigt, dass er unglaublich viel Zeit verloren hat. Leider war der Flügel hier nicht ausreichend, um in Kurve eins zu überholen. Vielleicht können wir die DRS-Zone für nächstes Jahr noch ein bisschen verlängern, aber wann immer wir gestoppt haben, holte Ferrari auch Fernando rein. Am Ende haben wir sie reingelegt, aber Marks Rennen war eindeutig dadurch beeinträchtigt, dass er die ganze Zeit an Fernandos Auspuff hing."
Frage: "Wie erklärst du dir, dass McLaren im Qualifying um eine Sekunde langsamer ist, im Rennen aber fast gleich schnell?"
Horner: "Ich glaube, das liegt am Reifen. Uns ist es gelungen, auf eine Runde im Qualifying sehr viel aus den Reifen herauszuholen, sodass der Vorsprung gestern riesig war. Doch so kann man den Reifen im Rennen nicht missbrauchen."
Gegner wechseln sich ab
"Also kannst du entweder fünf Stopps einlegen oder die Stints an die Strategie anpassen und auf das Tempo der Gegner reagieren. McLaren war im Rennen sicher deutlich konkurrenzfähiger als von uns erwartet. Vor zwei Wochen war Ferrari unser Hauptgegner, aber heute haben wir sie überrundet. Stattdessen war McLaren an uns dran. Das variiert von Strecke zu Strecke."
Frage: "Bereitet es dir Kopfzerbrechen, dass der Unterschied zwischen Qualifying- und Rennpace so eklatant zu sein scheint?"
Horner: "Das ist überhaupt nicht besorgniserregend, denn wir haben den Grand Prix gewonnen. Unterm Strich wäre es sehr arrogant von uns, zu denken, dass wir einen Leistungsvorteil haben, der es uns ermöglicht, eine Sekunde pro Runde herauszuholen. Wir haben gestern einfach ein phänomenales Qualifying hinbekommen."

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Mark Webber verlor entscheidende Zeit hinter Fernando Alonsos Ferrari Zoom
"In China hat uns McLaren sehr unter Druck gesetzt und sie haben das Rennen gewonnen, ebenso wie sie heute konkurrenzfähig waren. Vor zwei Wochen in der Türkei nicht. Sie haben ein riesiges Upgrade hierher gebracht, fast ein B-Auto, aber die Upgrades, die wir eingeführt haben, haben uns auch nach vorne gebracht. Ich finde, wir sind in einer guten Situation. Die Form wird weiterhin von Strecke zu Strecke variieren und manche Teams werden im Rennen stärker sein, andere im Qualifying. Das haben wir dieses Jahr schon ein paar Mal erlebt."
Frage: "Seid ihr heute schon mit dem Plan für eine Vierstoppstrategie ins Rennen gestartet?"
Horner: "Es kam darauf an, wie lange wir mit den weichen Reifen fahren konnten, aber als wir sahen, dass die ersten Probleme schon in Runde neun, zehn einsetzten, wussten wir, dass es vier Stopps werden. Einmal sah es so aus, dass noch 30 Runden zu fahren sein würden, schon mit drei Boxenstopps hinter uns! Zwischendurch haben wir sogar fünf Stopps in Betracht gezogen, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt noch genug Reifen in der Garage gehabt hätten!"
Vorfreude auf Monaco
Frage: "Was erwartest du für Monaco?"
Horner: "Es wird faszinierend. Die Reifen sind ein entscheidender Faktor. Mit Sebastian haben wir die ersten Stints massiv verkürzt. Das setzte voraus, dass er die Überholmanöver hinkriegt, was heute schwierig war, aber nicht unmöglich. Wird man den Mut besitzen, so etwas auch in Monaco durchzuziehen, wo Überholen normalerweise unmöglich ist? Das wird eine faszinierende Dynamik geben, aber das Ermutigende für uns ist, dass es ein enger Kurs mit ganz anderen Eigenschaften ist, aber wir bisher auf allen Strecken konkurrenzfähig waren. Wir sind guter Dinge, dass wir diese Performance in weniger als einer Woche auch in Monaco umsetzen können."

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Sebastian Vettel fuhr erneut ein sehr gutes und intelligentes Rennen Zoom
Frage: "Glaubst du, dass es durch die Reifen und DRS chaotisch wird?"
Horner: "Ich glaube, es wird richtig interessant. Zu sehen, wie die Teams ihre Strategien anwenden, wird faszinierend. Wir haben heute eine mutige Entscheidung getroffen, die sich gelohnt hat. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch in Monaco funktionieren würde, denn dort hätten wir Jenson Button sicher nicht so schnell überholt wie heute. Ich glaube, es wird dort wieder in erster Linie um das Haushalten mit den Reifen gehen. Die Strecke ist ein bisschen weniger anspruchsvoll für die Reifen als hier. Es wird sicher faszinierend."
Frage: "Vor diesem Wochenende haben viele Experten gesagt, dass Barcelona der ultimative Test für das neue Reglement ist, weil die Rennen hier oft sehr langweilig waren. Heute haben wir einen wahren Thriller erlebt. Kann man das Reglement jetzt endgültig als Erfolg bezeichnen?"
Horner: "Ich glaube, sie funktionieren. Barcelona war oft eine Prozession. Nach so einer ersten Kurve wäre der Rennausgang früher schon fast vorbestimmt gewesen."
"Ich erinnere mich noch an das Rennen vor zwei Jahren, als Sebastian fast das ganze Rennen hindurch am Auspuff von Felipe Massa hing. Wir hatten nur einen Boxenstopp, um das umzudrehen. Jetzt hat sich die Dynamik komplett geändert, denn in Barcelona war es immer schwierig, jemanden zu überholen oder jemandem eng zu folgen. Heute hat diese Strecke einen absoluten Thriller produziert. Das ist auf die Regeln zurückzuführen."

