• 03.06.2010 12:38

  • von Stefan Ziegler

Hintergrund: Mehr Abtrieb ist gefragt

Ohne Abtrieb, keine Punkte: Dominik Harlow von Force India erläutert die schwierige Suche nach mehr aerodynamischem Abtrieb in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - "Wir brauchen mehr Abtrieb auf der Hinterachse" - so klingt ein Standardsatz von Rennfahrern, die mit der Leistung ihres Rennwagens nicht unbedingt zufrieden sind. Aber was genau meint ein Formel-1-Pilot damit, wenn er nach "mehr Abtrieb" strebt und was tun die Teams, um ihren Fahrern eben diesen Wunsch zu erfüllen? Force Indias Chefrenningenieur Dominic Harlow gibt Antworten auf diese Fragen.

Titel-Bild zur News: Vitantonio Liuzzi

Wenn Vitantonio Liuzzi nach mehr Abtrieb strebt, muss Force India kräftig entwickeln

Der Brite versucht sich zunächst an einer Begriffsklärung: "Abtrieb ist eine aerodynamische Kraft, die entsteht, wenn sich ein Fahrzeug durch die Luft, also durch ein Gas, bewegt. Wie die Bezeichnung 'Downforce' schon sagt, wirkt sich diese Kraft nach unten aus und drückt das Auto auf die Strecke. Dadurch können die Reifen Grip aufbauen", erläutert der Chefrenningenieur von Force India.#w1#

"Je größer der Abtrieb, umso mehr Grip steht den Fahrern zur Verfügung und umso besser kommen die Piloten auf der Bremse und in den Kurven zurecht", sagt Harlow. Soweit die Theorie - und was bedeutet das für die Fahrpraxis? "Durch das Bodywork des Autos und dessen Design kann man den Abtrieb erhöhen", meint Harlow und kommt auf die Entwicklungsarbeit seines Teams zu sprechen.

Was der Windkanal ausspuckt, kann helfen

"Du kannst direkt Einfluss auf die aerodynamische Kraft nehmen, die das Fahrzeug entwickelt. Es ist ein sehr detaillierter und genauer Prozess, um die maximalen Abtriebswerte zu erzielen. Die Teams arbeiten im Prinzip 24 Stunden am Tag daran, neue aerodynamische Komponenten zu entwickeln", stellt Harlow heraus. Dabei bedienen sich die Rennställe der Formel 1 verschiedener Hilfsmittel.

US-F1-Designshop

Per CFD überprüfen die Ingenieure der Formel-1-Teams die Strömung am Auto Zoom

"Der Windkanal sowie CFD (Computational Fluid Dynamiks; Anm. d. Red.) liefern uns die Vorgaben für das Design des Bodyworks", erklärt Harlow und fügt hinzu: "Wir beschäftigen uns 'virtuell' also ständig mit neuen Ideen, frischen Ansätzen und neuen Bauteilen. Sobald wir etwas gefunden haben, was die Leistung des Autos verbessern kann, setzen wir das betreffende Element in die Realität um."

Und - wie üblich in der Formel 1 - so ist der Ablauf dieses Vorgangs peinlich genau vorgegeben: "Ein Einzelstück wird für sieben bis zehn Minuten im Windkanal getestet. Dabei probieren wir verschiedene Einstellungen aus und notieren die entsprechenden Kräfte. Das geschieht in zehn unterschiedlichen Richtungen und rund einhundert Mal pro Sekunde - und bei zehn verschiedenen Fahrwerks-Höhen."

Die Simulation gibt neue Anhaltspunkte

"Anschließend haben wir sehr viele Informationen, die es zu filtern gilt", beschreibt Harlow die ersten Schritte bei der Entwicklung von neuen Aerodynamik-Bauteilen. Aber wird das Auto durch diese Modifizierungen auch zweifelsfrei schneller? Dies gilt es vorab zu überprüfen - erneut virtuell, wie Harlow betont. Bei der Umsetzung von Ideen sei es wichtig, diese immer wieder zu kontrollieren.

Vitantonio Liuzzi, Adrian Sutil

Force India legt sich für Adrian Sutil und Vitantonio Liuzzi mächtig ins Zeug Zoom

"Das bewerkstelligen wir anhand eines Simulationsprogramms, denn mit bloßen Berechnungen würden wir uns ansonsten viel zu lange aufhalten", meint der Chefrenningenieur von Force India. Erzielt der Rennwagen virtuell bessere Abtriebswerte, eine bessere Beschleunigung oder ein besseres Bremsverhalten, kann das indisch-britische Team die nächste Entwicklungsstufe zünden.

In der aktuellen Rennsaison gelang eben dies schon sehr oft, wie Harlow anmerkt: "Bislang hatten wir bei jedem Saisonrennen aerodynamische Verbesserungen am Start. Nehmen wir China als Beispiel her: Dort hatten wir einige Veränderungen am Bodywork des Autos und auch ein modifiziertes Flügelprofil dabei. Dadurch konnten wir den Abtrieb im Heckbereich steigern", erklärt der Brite.

Die Aerodynamik ist eine knifflige Angelegenheit

Doch so reibungslos lassen sich Neuerungen nicht immer in die Realität umsetzen - gelegentlich müssen sich die Teams eingestehen, dass ihre neuen Bauteile "nicht funktionieren". Welche Erfahrungen hat Force India in diesem Bereich gemacht? Harlow: "In der aktuellen Saison sind wir bis jetzt sehr zufrieden mit der Korrelation zwischen Windkanal, Simulation und Rennstrecke."

Mercedes-Heckflügel

Neuentwicklungen - wie hier bei Mercedes - sind das A und O in der Formel 1 Zoom

"Die Daten stimmen größtenteils überein. Das ist der Schlüssel zum Erfolg", meint Harlow. Vor Fehlern ist man aber nie gefeit, wie der britische Ingenieur aus Erfahrung weiß. "Die Strömung um das Fahrzeug ist ungeheuer kompliziert. An dieser Stelle hilft uns das CFD, um diese Vorgänge in ihrer Ganzheit zu verstehen. Auf diese Weise können wir den Luftfluss um das Auto erkennen."

"So etwas funktioniert nicht einfach nur auf Anhieb, sondern muss immer und immer wieder überprüft werden. Und wenn du Neuerungen einführst, besteht zudem die Chance, dass diese Elemente andere Bereiche des Wagens beeinflussen", erklärt Harlow. Um dies vor Ort festzustellen, bedarf es eines Trackside Aerodynamicists wie Nick Alcock, der bei beim Renault-Rennstall seinen Dienst verrichtet.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser...

Alcocks Aufgabe ist es, "die Verbindung zwischen der Aerodynamik-Abteilung und dem Rennteam herzustellen", beschreibt der britische Formel-1-Angestellte sein Tätigkeitsfeld. "Zunächst einmal geht es für mich darum, Basisinformationen zu sammeln und die Renningenieure beim aerodynamischen Setup des Autos zu unterstützen. Ich stelle sicher, dass die Abstimmung bestmöglich erfolgt."

McLaren-Box

An der Strecke wachen Techniker und Ingenieure über die Autos eines Teams Zoom

"Sobald Qualifikation und Rennen beginnen, geht es für mich vorrangig darum, die Fahrzeuge und ihr Verhalten auf der Strecke zu beobachten", hält Alcock fest und fügt hinzu: "Deutlich mehr Arbeit habe ich in den Freien Trainings, wenn wir mit dem Auto zugange sind und überprüfen können, wie sich die Aerodynamik verhält - ich kümmere mich um die Korrelation zwischen Rennstrecke und Windkanal."

"Das ist sehr wichtig für das Team", meint Alcock und ergänzt abschließend: "Ich gebe meine Eindrücke in der Fabrik an die Aerodesigner weiter und sage ihnen, wo die Stärken und Schwächen des Pakets liegen und in welche Richtung wir entwickeln sollten. Das sind alles helle Burschen, nur sind sie eben nicht an der Strecke. Sie haben die Dinge nun eben nicht vor Augen. Ich schon."