• 12.08.2005 09:34

Hintergrund Logistik: Michelin auf Welttournee

Zum ersten Mal seit Mitte April hat Michelin am kommenden Wochenende im Motorsport frei - Logistik des Reifenherstellers im Fokus

(Motorsport-Total.com) - Die Motorsportexperten von Michelin sehen sich am kommenden Wochenende mit einer ungewohnten Situation konfrontiert: Zum ersten Mal seit Mitte April steht weder in der Formel 1 noch in der Rallye-WM oder MotoGP ein Saisonlauf auf dem Programm. Sportdirektor Pierre Dupasquier und seine Mannschaft wissen diese kurze Verschnaufpause zu schätzen - immerhin absolvierten die Reifenspezialisten aus Clermont-Ferrand in den vergangenen Wochen und Monaten einen wahren Veranstaltungsmarathon.

Titel-Bild zur News: Michelin-Mechaniker

Die Michelin-Mitarbeiter hatten zuletzt nicht allzu viel Zeit, einmal auszuspannen

Der verrückte Juni markierte für Michelin auch in diesem Jahr wieder den Auftakt zu ebenso abwechslungsreichen wie kurzweiligen Wochen: Alljährlich schwärmen zur Jahresmitte alle verfügbaren Kräfte der Motorsportabteilung aus, um auf Renn- und Rallyepisten in aller Welt die Partner der französischen Reifenmarke mit Pneus zu versorgen. Der in fast jeder wichtigen Motorsportklasse weltweit engagierte Hersteller beschickte allein im Juni mehr als 20 Events auf WM-Niveau und stellte dabei nicht weniger als 25.000 Rennreifen zur Verfügung, mobilisierte fast 200 Mitarbeiter und legte mit 70 LKWs über 300.000 Kilometer durch 15 Länder zurück - was einer Strecke von mehr als sieben Weltumrundungen entspricht.#w1#

Dicht gestaffeltes Programm für Michelin

Michelin verfolgt die Philosophie, den Automobil- und Motorradherstellern überall dort zur Seite zu stehen, wo diese werksseitig Motorsport betreiben. Statt sich die sportlichen Rosinen herauszupicken, tritt der "Bib" als Partner der Werke in so verschiedenen Serien wie Formel 1, Rallye-WM, MotoGP, Cross-Country-Weltcup, ALMS, FIA-GT, Motocross-WM, Enduro-WM, Supermoto-WM oder Trial-WM an - und gehört dabei stets zu den Favoriten. Allein zwischen Anfang Mai und Anfang August standen für Michelin unter anderem neun Formel-1-Grands Prix, sechs Rallye-WM-Läufe, acht MotoGP-Rennen, zwei Rallye-Raids, je fünf Runden zur FIA-GT und WTCC sowie die 24-Stunden-Klassiker von Le Mans und auf dem Nürburgring auf dem Programm.

In diesem alljährlichen logistischen Kraftakt erwies sich bereits Ende Mai der Michelin-Tross zur Marokko-Rallye als besonders eifriger Kilometerfresser: Ein eigens gemieteter 6x6-Service-Truck versorgte auf seiner 26.800 Kilometer langen Tour durch Frankreich, Spanien und Nordafrika die Werksteams auf zwei und vier Rädern mit Offroadpneus.

Kaum hatten die Raid-Teams ihren Cross-Country-Lauf absolviert, da rollten im türkischen Kemer die Michelin-Piloten zur Rallye Türkei von der Startrampe. Acht LKW-Züge - Reifentransporter, Werkstattmobil und Motorhomes sowie spezielle Kühlwagen für die Mousse-Einlagen der pannensicheren Michelin-ATS-Reifen - hatten gleich vom vorangegangenen WM-Schauplatz Zypern übergesetzt. "In Antalya gesellte sich ein weiterer Truck hinzu mit 800 Einheiten der neuen Michelin BTO an Bord - jene erfolgreichen Schotter-Neukonstruktionen, mit denen Sébastien Loeb bereits in Neuseeland sowie auf Sardinien und Zypern siegreich geblieben war", erklärt Jean-Marc Becker, Logistikmanager für Rallye-WM und Raid-Weltcup.

22 Michelin-Mitarbeiter bei jedem Motorrad-WM-Lauf

Währenddessen in Italien nahe Florenz: Zehn von 20 MotoGP-Bikes hämmern auf Michelin-Pilot-Pneus mit mehr als 340 km/h die 1,1 Kilometer lange Gerade von Mugello hinunter. Sechs Trailerzüge mit 2.000 der neuesten Entwicklungsreifen aus Clermont-Ferrand hatten sich am Montag vor dem Grand Prix von Italien auf den Weg gemacht, damit Valentino Rossi und Co. nicht mit blanken Felgen dastanden. "Die Decken müssen am Mittwochmittag vor dem Grand Prix im Fahrerlager sein", berichtet der bei Michelin für die MotoGP-Logistik verantwortliche Jean Valton. "Mit sechs Rennen binnen acht Wochen sind die Monate Juni und Juli eine echte Zerreißprobe." Der 13-malige MotoGP-Weltmeister Michelin entsendet zu jedem WM-Lauf der Königsklasse 22 Monteure und Techniker.

So vollgepackt der Juni mit Rennevents auch war - für ihr persönliches Saisonhighlight, die 24 Stunden von Le Mans, machten die Experten der französischen Marke gerne Überstunden. Dieser Termin stellt für den 13-fachen Sieger Michelin alljährlich den größten Aufwand dar, den ein technischer Partner in der gesamten Motorsportwelt zu leisten hat: Allein für das berühmte Langstreckenrennen brachte der Reifenspezialist Ende Juni 18 Lastzüge mit 5.700 Pneus auf den Weg. 19 Michelin-Techniker waren direkt in die Rennteams integriert.

Le Mans dieses Jahr eine besondere Herausforderung

Was die Vorbereitung auf Le Mans besonders erschwerte: Die Entwicklung der Reifen, die auf dem wechselhaften Asphalt bis zu vier Tankturns durchhalten, begann bereits im November mit Tests in Monza. Die erste und einzige Gelegenheit jedoch, das Verhalten der Pneus auf dem 'Circuit des 24 heures' auszuprobieren, ergab sich erst bei den offiziellen Vortests. Da diese ausnahmsweise Anfang Juni - und damit fünf Wochen später als üblich - stattfanden, blieb für die Produktion der tatsächlichen Rennreifen noch weniger Zeit. Dennoch flossen bis zur letzten Sekunde die neuesten Erkenntnisse in die Fertigung ein - teils so spät, dass in diesem Jahr die letzten Reifen erst am Freitag vor dem Start aus dem Backofen kamen.

Noch bevor die 18 Le-Mans-Trucks die Stadtgrenze von Clermont-Ferrand in Richtung des Departments Sarthe passierten, hatte ein anderes Team bereits 14 Container von je 28 Tonnen Gewicht auf den Weg gebracht, die für die Grands Prix von Kanada und der USA bestimmt waren - wobei der US-Grand-Prix in diesem Jahr mit dem Langstreckenklassiker zusammenfiel. Der Lufttransport erfolgte mit den von Formel-1-Vermarkter FOM gecharterten Boeing 747. Nicht nur für die Überseerennen ist der Aufwand beträchtlich: Zu jedem der 19 Grands Prix 2005 entsendet der französische Weltkonzern 35 Mitarbeiter - darunter einen Projektleiter, drei Entwicklungs- und jene sieben Renningenieure, die je einem Partnerteam zugeordnet sind.

Dass am dritten Juni-Wochenende auch noch die österreichische Runde zur Supermoto-WM stattfand, bei der Michelin den Titelverteidiger Thierry van den Bosch und andere Spitzenpiloten ausrüstet, fällt da kaum noch ins Gewicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahr präsentierte sich dieser Zeitraum mit Le Mans, Formel 1, Supermoto, Trial-WM und der Motocross-WM MX3 geradezu entspannt - 2004 fielen auch noch die 24 Stunden am Nürburgring und ein MotoGP-Lauf auf diesen Termin...

Juni und Juli die hektischsten Monate im Motorsport

Von Atempause konnte natürlich trotzdem keine Rede sein. Etwa zur selben Zeit, als die Maschine mit dem Formel-1-Material aus den USA zurückkehrte, wurden am Stammsitz sechs LKWs für den MotoGP-Lauf in Assen beladen, die am letzten Juni-Wochenende stattfindende Dutch TT. Zur gleichen Zeit kämpften die weltbesten Rallye-Piloten bei der Akropolis in Griechenland um WM-Punkte. Parallel dazu standen im tschechischen Brünn und im mexikanischen Puebla die jeweils fünften Rennwochenenden der FIA-GT und der WTCC, die Michelin exklusiv ausrüstet, auf dem Programm.

In ähnlich rasantem Tempo ging es im Juli weiter. Allein die Formel 1 machte an vier der fünf Wochenenden des siebten Monats nacheinander in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Ungarn Station. Als ähnlich fleißig erwiesen sich die MotoGP-Asse, die im selben Zeitraum dreimal - in Laguna Seca (USA), Donington (Großbritannien) und auf dem Sachsenring - antraten. Als geradezu harmlos erwies sich im Vergleich dazu das Arbeitspensum in der Rallye-WM: Nach dem Lauf in Argentinien Mitte Juli läutete die Finnland-Rallye am vergangenen Wochenende die kurze Pause ein.

Sportliche Erfolge von Michelin lesen sich beeindruckend

Die konnten Pierre Dupasquier und seine Mannschaft unter anderem dazu nutzen, den verdienten Lohn der Anstrengungen in aller Ruhe zu genießen: Zum Beispiel entschieden Michelin-Partner von den neun angesprochenen Formel 1-Grands-Prix des heißen Sommers acht für sich. Bei den sechs WM-Rallyes desselben Zeitraums führte fünfmal kein Weg am amtierenden Weltmeister Sébastien Loeb und seinem Michelin-bereifen Citroën Xsara WRC vorbei. MotoGP-Star Valentino Rossi siegte bei sieben der acht zurückliegenden Läufe. Nicky Hayden sorgte mit seinem Erfolg in Laguna Seca dafür, dass Michelin in der Königsklasse des Motorradsports in dieser Saison weiterhin eine weiße Weste behält.

Bei den 24 Stunden von Le Mans trugen die französischen Pneus maßgeblich dazu bei, dass sich der Däne Tom Kristensen mit seinem insgesamt siebten Sieg - diesmal an der Seite seiner Audi-R8-Teamkollegen J.J. Lehto und Marco Werner - als alleiniger Rekordhalter in die Geschichtsbücher des Langstreckenklassikers eintragen konnte. Für Michelin war es an der Sarthe bereits der achte Sieg in Folge. Und bei den mit ausgesprochen wechselhaften Wetterbedingungen aufwartenden 24 Stunden am Nürburgring wiederholten Michelin und das Werksteam von BMW ihren gemeinsam errungenen Vorjahressieg.

Bereits in gut einer Woche geht es wieder Schlag auf Schlag weiter: Dann beginnt mit dem Grand Prix der Türkei die zweite heiße Phase der Motorsportsaison 2005, die erst am 13. November mit der Zieldurchfahrt bei der Australien-Rallye ihr Ende findet.