• 21.10.2006 00:11

  • von Inga Stracke

Henry-Biabaud: "Haben vor Jahren einen Fehler gemacht"

Der Michelin-Sportchef im 'F1Total.com'-Interview über die verpasste Chance, die Formel 1 zu einem Reifenreglement zu leiten, das zur Michelin-Philosophie passt

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Wir haben vorhin auch mit Nick Shorrock gesprochen und er meinte, dass er die herausfordernde Saison genossen hat. Stimmen Sie ihm diesbezüglich zu, oder wäre Ihnen eine leichtere Saison lieber gewesen?"
Frédéric Henry-Biabaud: "Es war in diesem Jahr eine wahre Herausforderung. Das vergangene Jahr war für uns eine gute Herausforderung, aber es wurde schnell klar, dass zwischen uns und unserem Wettbewerber in Bezug auf die Leistung eine Lücke klaffte. Das lief die ganze Saison über nach diesem Muster."

Titel-Bild zur News: Frederic Henry-Biabaud, Michelins Motorsport-Direktor

Frédéric Henry-Biabaud hofft, dass Michelin eines Tages zurückkehren kann

"Dieses Jahr war aus Sicht des Wettbewerbs wesentlich besser. Dies kam auch durch die Änderung des Reglements zustande. Diese diente dazu, den Wettbewerb zwischen den beiden Reifen-Firmen wieder ins Gleichgewicht zu bekommen."#w1#

"Wir hätten es natürlich gerne vorgezogen, beim letztjährigen Reglement zu bleiben." Frédéric Henry-Biabaud

"Wir hätten es natürlich gerne vorgezogen, beim letztjährigen Reglement zu bleiben. Aber als die Entscheidung gefallen war, dass Reifenwechsel während der Rennen erlaubt sein werden, mussten wir uns anpassen."

"Ich denke, dass wir bisher bewiesen haben, dass wir in der Lage sind, dies zu tun. Wenn man dann am Sonntag gewinnt, dann ist dies meiner Meinung nach noch eine größere Belohnung für uns."

Frage: "Viele Experten meinten ja, dass die Rückkehr der Reifenwechsel während der Rennen Ferrari und Bridgestone bevorzugt. Aber Ihr scheint damit recht gut zurecht gekommen zu sein..."
Henry-Biabaud: "Ja. Ich denke, dass wir uns sicher waren, dass wir konkurrenzfähig sein werden. Wir waren uns auch sicher, dass der Vorsprung, den wir im vergangenen Jahr hatten, nicht aufrechterhalten werden kann."

"Wir wussten aus diesem Grund nicht, wie die Saison aus Performance-Sicht verlaufen wird. Wenn der Ausgang der Saison jener sein wird, dass wir der Sieger sind, dann wird dies für uns ein wesentlich größerer Sieg sein als im vergangenen Jahr."

Frage: "Es gab zumindest in der ersten Saisonhälfte keine Regen-Rennen und kaum Regen-Tests. Wie können Sie dennoch einen Regenreifen entwickeln und wissen, dass er funktionieren wird?"
Henry-Biabaud: "Wir wussten, dass wir auf dem Gebiet der Regenreifen eine Schwäche haben. Wir begannen aus diesem Grund, daran mehr zu arbeiten als noch vor zwei Jahren. Nun haben wir in diesem Jahr eine gute Leistung gezeigt, dies ist jedoch das Ergebnis von ein paar Jahren Arbeit."

"Ich denke, dass sich vielleicht die andere Seite dazu entschieden hat, an dieser Stelle nicht allzu viel Arbeit zu investieren." Frédéric Henry-Biabaud

"Ich denke, dass sich vielleicht die andere Seite dazu entschieden hat, an dieser Stelle nicht allzu viel Arbeit zu investieren. Wir wussten jedoch, dass wir wesentlich besser sein werden als im vergangenen Jahr, wenn es regnen sollte. Wir haben das Programm vor einiger Zeit begonnen, das haben wir nun gut zu Ende geführt."

"Aber es ist schwierig, Regen-Tests zu organisieren. Man hat nie die gleichen Bedingungen und es ist schwierig, ein Testergebnis zu reproduzieren. Aber wie ich schon gesagt habe, das Ergebnis haben wir jahrelanger Arbeit zu verdanken, da haben wir vor einiger Zeit mit begonnen."

Frage: "Wie lange dauert es, von dem Zeitpunkt an, an dem man weiß, dass man etwas benötigt, bis zu dem Moment, wo man den Reifen am Auto hat?"
Henry-Biabaud: "Mindestens ein Jahr und bis zu anderthalb Jahren. Dazu braucht man mehr als nur einen anderen Gummi, die Architektur und das Profil muss anders sein. Wie Sie vielleicht gesehen haben, haben wir in diesem Jahr ein anderes Profil. Da steckt man viele Computer-Simulationen hinein, um sicherzustellen, dass man das richtige Profil hat."

Frage: "Wie viele Leute arbeiten bei Michelin an den Formel-1-Reifen?"
Henry-Biabaud: "Rund 35 bis 40 Leute kommen zu den Rennen vor Ort an die Strecke. Aber natürlich hat man dann noch die Leute aus der Entwicklung, die Chemiker und die Ingenieure. Sie machen das nicht Vollzeit."

"Wir ziehen es vor, die besten Experten zu haben, und sie zu einem bestimmten Prozentsatz für die Formel 1 arbeiten zu lassen, sodass sie neue Mischungen und Konstruktionen entwickeln können und sich nicht nur auf die Formel 1 konzentrieren."

"Es gibt wohl mehr Leute, die für die Formel 1 arbeiten als Leute, die zu 100 Prozent für sie arbeiten. Denn sie müssen offen sein für das, was im Markt im Hinblick auf die neue Mischungen und neue Architekturen passiert."

"Hier muss man die Verbindung zwischen der langfristigen Forschung und der kurzfristigen Forschung haben, die der Rennsport erfordert. Denn wenn du in einem Rennen verlierst, dann hast du nur ein paar Wochen Zeit, um das gutzumachen, was du beim vergangenen Rennen verloren hast."

"Man benötigt aus diesem Grund die Balance zwischen den Leuten, die mit einer langfristigen Sicht arbeiten, und jenen, die nur für die Formel 1 arbeiten. Wenn man von beiden Erfahrungen profitieren möchte, dann braucht man eine sehr starke, ich würde sagen freundschaftliche, Verbindung zwischen den beiden Bereichen. Das sind zwei ziemlich unterschiedliche Qualitäten, würde ich sagen."

Frage: "Wenn sie die andere Gruppe ansprechen, meinen sie dann die Straßen-Reifen von Michelin oder die Leute aus anderen Rennserien?"
Henry-Biabaud: "Wir haben die Formel 1, andere Rennserien und dann noch die Straßen-Reifen. Aber diese drei Bereiche müssen extrem stark miteinander verbunden sein. Denn ansonsten verpasst man die Möglichkeit, eine große Gruppe zu sein."

Frage: "Dies bedeutet aber auch, dass die Leute in ihrem Kopf sehr flexibel sein müssen..."
Henry-Biabaud: "Ja, dies trifft auf die Leute zu, die langfristig arbeiten, aber die Leute, die kurzfristig arbeiten, müssen immer auf die entsprechende Disziplin fokussiert sein."

Frage: "Ohne die Formel 1, auf was werden Sie sich dann konzentrieren?"
Henry-Biabaud: "Sicherlich auf die Langstrecken-Rennen, Le Mans, und all diese Serien. Denn hier wird eine starke Technologie erforderlich und es ist auch eine gute Technologie-Plattform für die Automobil-Hersteller."

"Wir denken, dass die Langstrecken-Rennen eine gute Plattform für neue Technologien sein werden." Frédéric Henry-Biabaud

"Wir denken, dass die Langstrecken-Rennen eine gute Plattform für neue Technologien sein werden. Das sehen wir an Audi und auch die Japaner werden kommen. Ich bin mir sicher, dass ein Unternehmen, das seit einigen Jahren nicht mehr dabei ist, zurückkehren wird. Dann müssen wir sicherstellen, dass wir sie ausrüsten und nicht jemand anderes, so dass wir weiterhin gewinnen..."

Frage: "Wie wichtig ist es für sie, die Formel 1 mit einem Sieg zu verlassen?"
Henry-Biabaud: "Das wäre für uns natürlich in diesem Jahr mit einem intensiven Gefühl verbunden, wenn wir dies schaffen sollten. Wir sind in vielen Serien nicht gegen ein Reifen-Monopol, aber wir denken, dass in einer Weltmeisterschaft nicht nur der Wettbewerb zwischen Fahrern und Autos existieren sollte, sondern auch Wettbewerb zwischen Motoren-Herstellern und Reifen-Herstellern."

"Wir arbeiten nicht von der Formel 1 weg, die Formel 1 arbeitet sich von uns weg." Frédéric Henry-Biabaud

"Ich drücke uns natürlich die Daumen, dass wir es schaffen werden. Es wäre für uns ein großartiger Motivationsschub, würden wir nach diesem Jahr des fantastischen Wettbewerbs gegen den anderen Reifen-Hersteller gewinnen. Wir arbeiten nicht von der Formel 1 weg, die Formel 1 arbeitet sich von uns weg, zumindest von unserer Philosophie-Sicht."

Frage: "Wären Sie dafür, dass in der Formel 1 mehr als nur zwei Reifenhersteller aktiv sind?"
Henry-Biabaud: "Mit Sicherheit. Wir würden das willkommen heißen. Wir haben aber auch gesagt, dass es Formel-Serien gibt, die es erlauben, die Kosten auf dem Reifen-Sektor zu senken und dennoch den Wettbewerb auf dem Reifen-Sektor zuzulassen."

"In diesem Fall muss irgendjemand die Arbeit erledigen, und dies sollte der Automobilweltverband sein. Sie müssen sagen, dass die Reifenhersteller willkommen sind, sie aber die Regeln akzeptieren müssen. Zum Beispiel, dass es keine Testfahrten mehr gibt, dass es nur zwei Reifen-Typen gibt und so weiter. Dann ist die Marke dabei und dann wird die Meisterschaft auf ein hohes Niveau gehoben."

"Es gibt also Wege und Mittel, um einen Reifen-Wettbewerb zu haben. Es gab Lösungen. Wir haben vor langer Zeit einen Fehler gemacht. Wir hätten stärkere Beziehungen zu unseren Kollegen aufbauen sollen, wie wir dies beispielsweise in der MotoGP getan haben. Wir hätten dann sagen müssen: 'Hey Jungs, wir müssen unsere Leidenschaft verteidigen. Wir müssen sicherstellen, dass der Reifen als ein sehr wichtiger Teil des Sieges betrachtet wird. Wenn du da zustimmst, warum unterzeichnen wir dann keine Vereinbarung, dass wir gegen das Reifen-Monopol kämpfen?'"

"Ich bin davon überzeugt, dass wir die Leute hätten überzeugen können, wenn wir dies vor ein paar Jahren getan hätten." Frédéric Henry-Biabaud

"Ich bin davon überzeugt, dass wir die Leute hätten überzeugen können, wenn wir dies vor ein paar Jahren getan hätten. Aber es passierte nicht, und als wir versuchten, dies zu tun, war es schon zu spät. Ich denke nicht, dass der andere Reifen-Hersteller noch daran interessiert war, vor allem nach der Niederlage im vergangenen Jahr."

"Aber ich denke, dass wir in der MotoGP mit Dunlop, Bridgestone und uns bewiesen haben, dass das funktioniert. Dort hat der Verband gesagt: 'Ihr seid die Experten, ihr geht jetzt in diesem Raum und kommt erst wieder raus, wenn ihr einen Kompromiss ausgearbeitet habt. Wenn wir damit einverstanden sind, dann werden wir unterzeichnen'. Das ist passiert, und das wird es nun im kommenden Jahr geben."

Frage: "Neben Euch wird auch Michael Schumacher die Formel 1 verlassen..."
Henry-Biabaud: "Es ist ein sehr respektvoller Fahrer und Mensch. Was er der Formel 1 gebracht hat, ist sehr essenziell. Er stand seinem Arbeitgeber sehr nahe, man kann deshalb nicht von Michael Schumacher sprechen, ohne von Ferrari zu sprechen. Es ist das Ende einer Karriere."

"Wir hoffen, dass wir die Möglichkeit erhalten werden, zurückzukommen." Frédéric Henry-Biabaud

"Ich weiß nicht, was er machen wird, aber was uns betrifft - wenn wir Regeln sehen, die zu uns passen, dann werden wir uns das sehr genau anschauen. Wir schließen die Türe mit Sicherheit nicht für immer. Wir hoffen, dass wir die Möglichkeit erhalten werden, zurückzukommen."

"Die Tatsache, dass wir gehen, hängt nicht damit zusammen, dass es uns an Aufmerksamkeit oder Siegen mangelt. Es hing auch nicht mit den Kosten zusammen, sondern lediglich mit der Tatsache, dass es nicht mehr zu unserer Philosophie passte."