Heidfeld: "Von Ferrari würde man mehr erwarten"
Nick Heidfeld im ausführlichen Interview über die Motorenprobleme von BMW, die Stärken der Konkurrenz sowie den Vorteil der Scuderia Toro Rosso
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Nick, du hast in Malaysia gesagt, dass euch noch viel auf Renault fehlt, aber alles sehr eng beisammen liegt. Ist das nicht ein Widerspruch?"
Nick Heidfeld: "Wir sind schon weit hinter Renault, aber im Mittelfeld ist es recht eng. Beim letzten Qualifying haben wir es nicht in die Top 10 geschafft, aber wären wir nur zwei Zehntel schneller gewesen, hätte es schon zu Platz sieben gereicht. Zwei Zehntel sind keine Welt, daher liegt alles recht eng beisammen."

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Nick Heidfeld glaubt, dass BMW die Motorenprobleme schon bald lösen wird
"Es gibt hier natürlich viele Diskussionen um die Reifenfrage, speziell bei Bridgestone. Ich denke, mit Michelin werden wir gut bedient sein. Anscheinend ist es dieses Jahr so, dass auch Bridgestone höhere Temperaturen braucht, was früher nicht der Fall war. Das werden wir dann ja am Sonntag herausfinden. Heute ist es noch recht warm, aber die Vorhersage für das Wochenende liegt eher um die 17 Grad."#w1#
Heidfeld schätzt Renault derzeit am stärksten ein
Frage: "Wie schätzt du nach den ersten beiden Rennen das Kräfteverhältnis ein?"
Heidfeld: "Ich denke nach wie vor, dass Renault mit Abstand am stärksten ist. Sie haben die ersten beiden Rennen gewonnen und sind vielleicht ein bisschen vor den anderen Teams, auch wenn Jenson (Button; Anm. d. Red.) beim letzten Rennen gar nicht so weit weg war. Es war trotzdem genug, dass Alonso von weiter hinten an ihm vorbeigekommen ist. Honda ist aber mit Sicherheit auch stark."
"Wer mich überrascht hat, ist McLaren-Mercedes, denn sie hatten beim Testen viele Probleme, konnten die aber offensichtlich rechtzeitig lösen. Bei den ersten beiden Rennen gab es da ja laut Montoya Motorenprobleme, aber ich denke schon, dass die richtig stark sein werden, wenn sie mal gut durchkommen. Williams ist auch überraschend stark. Bridgestone hätte man nach den Wintertests nicht so gut eingeschätzt, was aber darauf zurückzuführen ist, dass sie bei niedrigen Temperaturen im Gegensatz zu Michelin noch Probleme haben. Dahinter wird es eng, denn wie gesagt haben uns in Malaysia nur zwei Zehntel gefehlt, um in die Top 10 zu fahren. Beim ersten Rennen hätte ich ohne Schnitzer auf P5 oder P6 fahren können."
Frage: "Und was ist mit Ferrari?"
Heidfeld: "Ferrari war beim ersten Rennen stark, aber beim letzten Rennen haben sie mich in die andere Richtung überrascht - da hätte ich nicht gedacht, dass sie so schwach sind. Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) stand in der Startaufstellung hinter mir. Ich dachte, dass er mich rasch überholen und weit vor mir ins Ziel kommen würde, aber das war zum Glück nicht so. Ich hätte ihn ohne Motorschaden locker hinter mir gehalten, auch Felipe (Massa; Anm. d. Red.). Wir hatten eine Pace, die ein bisschen besser war als die von Michael, der ein paar Probleme hatte. Felipe wäre ohne Probleme vielleicht vor mir ins Ziel gekommen, denn nach dem ersten Boxenstopp war er in der ersten Kurve neben mir. Von Ferrari würde man aber mehr erwarten."
Frage: "Es hat in Malaysia weder bei Ferrari noch bei Renault eine Stallorder gegeben. Hat dich das überrascht?"
Heidfeld: "Ich bin ja schon ein paar Runden davor ausgeschieden und habe das gespannt beobachtet. Das war bei uns schon ein Thema, wahrscheinlich auch unter euch Journalisten, denn in der Vergangenheit hat sich da ja immer wieder was getan. Offensichtlich durfte Felipe vorne bleiben. Renault war in der Vergangenheit sowieso nicht so extrem wie Ferrari."
Williams-Leistungen kamen für Heidfeld unerwartet
Frage: "Williams ist für dich eine Überraschung, wie du vorhin gesagt hast. Ist diese Überraschung umso größer, weil du das Auto ja aus dem Vorjahr kennst?"
Heidfeld: "Ich hatte letztes Jahr zwar eine erfolgreiche Saison, aber wir waren bei weitem nicht so stark wie erhofft. Beim letzten Rennen sind sie mit beiden Autos aus der zweiten Reihe gestartet, beim ersten Rennen fuhren sie die schnellste Runde. Das hätte ich nicht erwartet."
Frage: "Kann man nach Australien das Kräfteverhältnis schon einschätzen oder wird es bis Imola noch einmal signifikante Verschiebungen geben?"
Heidfeld: "Ich glaube schon, dass man nach den ersten beiden Rennen ganz gut sagen kann, wer wo steht. Hier wird interessant, wie sich die Reifen bei niedrigen Temperaturen verhalten. Das könnte auch für weitere Rennen entscheidend sein, zum Beispiel Imola, wo es auch manchmal kühl ist. Dann hat man schon mal ganz gute Ansatzpunkte. In Imola könnte sich noch mal einiges ändern, denn das ist der Event, an dem einige Teams noch mal neue Pakete bringen, aber ich erwarte keine riesigen Verschiebungen mehr."
Frage: "Die Scuderia Toro Rosso war bei den ersten Rennen mit dem V10-Motor nicht so stark wie befürchtet. Glaubst du, dass die bluffen - oder funktioniert die Äquivalenzformel tatsächlich?"
Heidfeld: "Da gibt es viele Gerüchte, weil sie kurz vor dem ersten Qualifying sehr schnell unterwegs waren, danach aber nicht mehr. Ich denke aber nicht, dass sie noch großartig etwas zurückhalten. Man hätte gedacht, dass sie sich bei den Wintertests zurückhalten und dann bei den ersten Rennen den Hammer auspacken."
V10-Motoren im mittleren Drehzahlbereich im Vorteil
"Trotzdem finde ich es auffällig, dass sie die Autos sind, die am schwierigsten zu überholen sind. Nachdem mich Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) in Bahrain umgedreht hatte, war ich ja Letzter. Ich musste da verschiedene Motorenhersteller überholen - und bei den Toro Rossos war es am schwierigsten. Ihre Topspeeds waren zwar nicht die besten, aber im mittleren Drehzahlbereich war es fast ein bisschen frustrierend für mich. Ich habe einmal Liuzzi überholt und wäre unter normalen Umständen auch vor ihm geblieben, aber er konnte außen rum wieder an mir vorbeigehen. Das wäre ohne V10-Motor nicht möglich gewesen."
Frage: "Und was sagst du zu Red Bull Racing?"
Heidfeld: "Sie hatten auch bei den Wintertests einige Probleme, daher hätte ich sie nicht so stark erwartet. Vor dem ersten Rennen haben sie es ja nicht einmal geschafft, über eine Renndistanz zu kommen. Beim Barcelona-Test konnte man dann schon sehen, dass sie vom Speed her nicht schlecht sind, aber dass sie auch die Standfestigkeit haben würden, hätte ich nicht gedacht."
Frage: "Ihr hattet bei den ersten beiden Rennen Schwierigkeiten mit dem Motor. Ist das noch ein großes Problem oder glaubt ihr, alles im Griff zu haben?"
Heidfeld: "Wir arbeiten daran. Man ist dabei, das Problem einzuengen, zu verstehen und zu lösen. Wir sind nicht das einzige Team mit Motorenproblemen, was aber keine Ausrede sein soll und die Sache nicht beschönigt. Wir haben dadurch einige Punkte verloren - wahrscheinlich schon beim ersten Rennen, definitiv dann beim letzten Rennen, als ich Fünfter war. Das wären gute Punkte gewesen. Dementsprechend wichtig ist es natürlich, das Problem zu lösen."
Frage: "Was ist denn der Ansatzpunkt, über den ihr die Zuverlässigkeit verbessern wollt?"
Heidfeld: "Das hängt von BMW ab, was die in München machen. Sie analysieren das Problem, lassen die Motoren am Prüfstand laufen und müssen halt schauen, ob was geht. Es waren aber nur zwei Wochen Zeit zwischen den Rennen. Es ist nicht immer so einfach, von einen Tag auf den anderen alles besser zu machen."
Zuverlässigkeitsprobleme sollten bis Imola gelöst sein
Frage: "Glaubst du, dass euch diese Probleme die ganze Saison hindurch verfolgen werden oder könnte das schon bis Imola aus der Welt sein?"
Heidfeld: "Ich glaube schon, dass es bis Imola behoben sein sollte. Ich hoffe natürlich, dass mein neuer Motor, den ich jetzt habe, auch problemlos funktionieren wird. Zumindest in drei Wochen sollten wir das Problem aber gelöst haben."
Frage: "Haben die Tests zwischen Malaysia und hier eigentlich etwas gebracht?"
Heidfeld: "Klar! Wir haben in erster Linie Reifen getestet, Konstruktionen wie Mischungen. Auch am Auto gab es einige Neuerungen im Bereich der Aerodynamik und der Systeme. Jeder Test bringt etwas, sonst würde man es nicht machen."
Frage: "Aber ist es nicht sehr anstrengend, zwischen zwei Überseerennen zurück nach Europa zu fliegen?"
Heidfeld: "Es ist schon ein bisschen stressig, aber ich wollte sowieso unbedingt zurückfliegen, um bei der Kleinen und meiner Freundin sein zu können."
Frage: "Wie läuft es generell bei euch mit dem Aufbau des Teams?"
Heidfeld: "Es läuft sehr gut, aber ich bekomme davon am Rennwochenende eigentlich wenig mit. Ich weiß, dass permanent neue Leute anfangen. Beim letzten Test ist mir aufgefallen, dass einige neue Mechaniker da sind, die neu eingearbeitet werden. Ich denke mal, das funktioniert."
Frage: "Was erwartest du dir eigentlich von der Fußball-WM?"
Heidfeld: "Ich habe immer auf Brasilien gegen Deutschland und Weltmeister Deutschland im Finale getippt, aber im Moment würde ich eher auf Brasilien tippen..."

