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  • 11.06.2017 23:54

  • von Dominik Sharaf

Hamiltons Kanada-Triumph: Er schaute jede Runde Fernsehen

Lewis Hamilton hatte auf dem Weg zum Sieg genug Zeit, Lance Stroll aufzumuntern und bei Sebastian Vettels Rennen mitzufiebern - Erleichterung nach Monaco-Debakel

(Motorsport-Total.com) - Es sah so aus als gäbe es nichts Einfacheres als den Kanada-Grand-Prix zu gewinnen: Mit gefühlt einer Hand am Lenkrad siegte Lewis Hamilton am Sonntag in Montreal und funkte während seiner Zieldurchfahrt: "It was a walk in the park" - es sei ein Spaziergang gewesen. Valtteri Bottas war als Zweiter mit 19,783 Sekunden Rückstand nicht in der Lage, den Teamkollegen ohne Fernrohr zu erkennen. "Ich bin entspannt und total glücklich. Jetzt kann ich in den See springen", jubelt Hamilton.

Vor Freude mit ihm im Olympischen Ruderbecken auf der Ile de Notre Dame baden könnte die gesamte Mercedes-Mannschaft, der mit dem Kantersieg die Rehabilitation für das Debakel von Monaco gelang. "Ich bin beeindruckt von dem, was das Team geleistet hat und wie stark wir uns verbessert haben - in zwei Wochen", schwärmt Bottas von einem Auto, das keine Set-up-Probleme offenbarte, die Reifen auf Temperatur brachte und die Konkurrenz wieder in Grund und Boden fuhr.

Auch Toto Wolff klopft seinen Jungs auf die Schulter: "Wenn ich Niki (Lauda; Anm. d. Red.) wäre, würde ich die Kappe ziehen", lobt der Sportchef und würdigt die harte Arbeit, die in Brackley und in Brixworth investiert wurde: "Vergangene Woche konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Fabrik gehen, es war immer das Licht an." Lauda betont, dass die Überlegenheit des Montreal-Triumphes es sei, das ihn und Wolff so beruhigen würde: "Mercedes war diesmal besser", stellt er klar.

Langer Ultrasoft-Stint gab Zeit für Strategieplanung

Und zwar von Anfang an: Hamiltons Start war tadellos, mit freier Bahn zog er dem Feld auf Ultrasoft davon. Sein erster und einziger Reifenwechsel war für Runde 21 geplant, doch er blieb draußen. "Als jeder gestoppt hatte, war ich noch auf der Strecke und bin gute Zeiten gefahren", erinnert er sich. Also entschied sich Mercedes, ihn bis zum 36. Umlauf auf der Bahn zu belassen und sich in der Zwischenzeit anzusehen, ob die Konkurrenz auf Supersoft oder Soft schneller unterwegs ist.

Hamilton erklärt: "Mit den Reifen hatte ich überhaupt keine Probleme. Die Soft-Mischung war zuvor jedoch niemand gefahren und wir wussten nicht, ob sie funktionieren würde und ob sie schnell wäre." Es stellte sich heraus: Der gelbe Pneu war unter anderem auf dem Schwesterauto von Bottas 0,7 Sekunden pro Runde langsamer und der Supersoft ließ sogar lange Stints zu, was Sebastian Vettel im Ferrari vormachte. Ergo bekam auch Hamilton die roten Gummis und cruiste nach Hause.

Hamilton vertrieb sich die Zeit mit der TV-Leinwand

Als er Williams-Youngster Lance Stroll überrundete, hatte er sogar Zeit für einen nach oben gereckten Daumen in Richtung des Kanadiers: "Er macht eine schwierige Saison durch. Er wurde ins kalte Wasser geworfen, wird kritisiert und hat alle Probleme, die man als 18-jähriger Neuling hat", muntert Hamilton den Konkurrenten auf. "Ich hatte das Gefühl, er würde einen guten Job abliefern. Ich wusste nicht, wo er lag, wollte aber Anerkennung zeigen. Manchmal müssen Menschen das tun."

Jedoch wusste Hamilton, wo WM-Rivale Sebastian Vettel lag. "In Kurve 10 gibt es eine Videoleinwand. Man erkennt die Bilder nicht, aber die Platzierungen. Von daher war mir klar, wo er war. Als er Sechster war, dachte ich: 'Großartig!'. Als er Fünfter war, hoffte ich, dass er dort bleiben würde. Als er Vierter war, murmelte ich: 'Verdammt!'" Und natürlich schonte Mercedes das Material, wie Hamilton leise einräumt: "Ja, mein Motor sieht noch sehr gut aus", bekennt er schmunzelnd.

Auf dem Weg zum Ziel ließ er an seinen ersten Grand-Prix-Sieg, den er vor zehn Jahren in Montreal feierte, Revue passieren: "Ich hatte viel Zeit nachzudenken, als ich vorne lag: die Erinnerungen an 2007 und die vielen Jahre, in denen ich hierher gekommen bin. Ich habe es genossen, das Auto zu fahren und das Publikum zu sehen." Nur die Windböen und die Traktionsprobleme zwangen ihn, die Konzentration beizubehalten. Sonst lief alles wie am Schnürchen für Hamilton.

Keine Chance: Bottas' Probleme summierten sich

Gleiches galt für Bottas, auch wenn der Finne am Sonntag eine Klasse schlechter unterwegs war als sein Stallgefährte. Die Misere begann, als ihn Max Verstappen am Start überholte und er nach seinem Stopp hinter Esteban Ocon zurückfiel. "Es war knifflig, als ich hinter dem Red Bull lag. Dann bin ich von einem Force India aufgehalten worden", bläst Bottas die Backen auf, der auch noch die schlechteren Reifen erwischte: "Wir hatten die Strategie gesplittet - und ich habe Soft aufgezogen."

Da der drittplatzierte Daniel Ricciardo sein Tempo nicht mitgehen konnte und der zweite Rang ungefährdet war, besann sich der Finne auf Sicherheitsrunden und kontrollierte ähnlich wie Hamilton. "Ich wusste, was ich am Ende zu tun hatte, nämlich das Auto nach Hause zu bringen", sagt Bottas.

Wolff bilanziert, dass der Sieg ein Beweis für die Güte des W08 gewesen wäre, sofern alles mit dem Set-up stimmt. "Aber auch mit dem Glück des Tüchtigen, wenn man bedenkt, was Sebastian alles passiert ist", ergänzt er und erwähnt, dass im Qualifying nur der "Hamilton-Faktor" den Ausschlag gegeben hätte. Der Superstar sei "jeden Cent wert", schwärmt Wolff, um gleich darauf daran zu denken, dass er möglicherweise noch einen Vertrag mit seinem Juwel aushandeln muss: "Das sollte ich besser nicht im Fernsehen sagen."

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